Perspektive

Die Hexenjagd auf den britischen Guardian

Die Hetz- und Einschüchterungskampagne gegen die britische Tageszeitung Guardian, welche die Enthüllungen des ehemaligen National Security Agency (NSA)-Mitarbeiters Edward Snowden publiziert hatte, ist ohne Beispiel in einem vorgeblich demokratischen Land.

Überfälle auf Zeitungsbüros, die erzwungene Zerstörung von Computerfestplatten und Verhaftungsdrohungen gegen Journalisten, sind Vorgehensweisen, die üblicherweise mit Militärdiktaturen in Verbindung gebracht werden. Genau das aber wurde dem Guardian angetan und ihm noch Schlimmeres in Aussicht gestellt.

Für Dienstag war vom konservativen Hinterbänkler Julian Smith eine Parlamentsdebatte über die Frage veranlasst worden, ob die Zeitung sich des Verrats schuldig gemacht habe, indem sie die illegalen Spähprogramme der NSA und des Britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) publik machte. Smith schrieb bereits die Metropolitan Police an und rief sie auf, den Guardian auf Grundlage des Official Secrets Act and the Terrorism Act 2000 [Terrorismusgesetz aus dem Jahr 2000] strafrechtlich zu belangen.

Zuvor hatte verlangte Premierminister David Cameron, auf dessen Veranlassung der Guardian im Juli Computerdateien zerstören musste, welche Snowdens Dokumente enthielten, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu der Zeitung. Diese Forderung wurde auch vom Vizepremier und Vorsitzenden der Liberaldemokraten Nick Clegg begrüßt.

Unmittelbar darauf gab auch die Opposition ihr Einverständnis: Keith Vaz von der Labour Party erklärte, der Innenausschuss, dem er vorsteht, werde diese Untersuchung einleiten.

Die Enthüllungen des Guardian sollen außerdem in den Aufgabenbereich des parlamentarischen Geheimdienst- und Sicherheitsausschusses (ISC) fallen, womit die Behauptungen bestärkt werden, dass die Zeitungsberichte die nationale Sicherheit bedroht hätten. Hazel Blears, Labours Vertreterin im ISC, sagte, selbst wenn sie nicht bestätigen könne, dass der Ausschuss einen formalen Beschluss erzielen würde, ob der Guardian „die nationale Sicherheit bedroht“ habe, so werde der ISC sich dahin begeben, „wohin uns die Tatsachen führen.“

Diese Schritte stellen eine bedeutende Verschärfung der Hexenjagd dar, die im August gegen die Zeitung eröffnet worden ist. Sie begann zu diesem Zeitpunkt mit der Festnahme von David Miranda, dem Partner des Snowden-Mitarbeiters und damaligen Guardian-Journalisten Glenn Greenwald, am Flughafen Heathrow.

Für diese Eskalierung gaben die Geheimdienste selbst grünes Licht. Zu Beginn dieses Monats gab MI5-Chef Sir Andrew Parker in einer Rede das Startsignal zu dieser Hetze. Er warf als erster der Zeitung vor, sie unterstütze Terroristen, indem sie Snowdens Enthüllungen öffentlich machte.

Die antidemokratischen Konsequenzen dieses Angriffs sind sehr weitreichend. Der Guardian, seit langer Zeit als geachtetes Sprachrohr des britischen Liberalismus angesehen, wird für nichts anders belangt, als was von Zeitungen eigentlich erwartet wird: Für die Veröffentlichung von Informationen. Die gegenwärtigen Machthaber sehen in dieser Veröffentlichung – weil sie die illegalen Aktivitäten des Staates betrifft – eine verräterische Handlung dar.

Das Einschießen auf den Guardian spielt sich vor dem Hintergrund ab, dass die Parteien des Establishments erstmals seit 300 Jahren versuchen, in Großbritannien eine gesetzliche Pressekontrolle einzuführen. Ihre Pläne laufen auf eine offizielle staatliche Zensur hinaus, insbesondere des Internets. Wie die gegen den Guardian unternommenen Schritte deutlich machen, wird dies mit drohender Strafverfolgung und Freiheitsentzug einhergehen.

Nicht allein, dass der Guardian innerhalb des politischen Establishments praktisch isoliert wurde, macht diese Ereignisse so außergewöhnlich, sondern insbesondere, dass einige seiner niederträchtigsten Gegner aus der Medienbranche selbst kommen.

Diese sind nicht etwa beschränkt auf Publikationsorgane, die der Konservativen Partei nahestehen. Chris Blackhurst, ehemaliger Herausgeber des unter falscher Flagge segelnder ZeitungIndependent[Unabhängige] und jetziger Direktor eine Gruppe von vier Zeitungen schrieb kürzlich in einer Gastkolumne: Snowdens Enthüllungen „könnten gefährlich sein.“ Und setzte hinzu: „Ich hätte sie nicht veröffentlicht.“

„Wenn der MI5 die Warnung ausspricht, dass dies nicht im öffentlichen Interesse sei – wer bin ich denn, ihm nicht zu vertrauen?“ erklärte der Journalist.

Blackhursts unterwürfige Verlautbarung macht die sozialen Impulse kenntlich, die zur Isolierung des Guardian geführt haben. In seiner Jugend, erklärt er, sei er „fixiert“ auf staatliche Übergriffe gewesen und als junger Journalist habe er „erregt“ auf Ungerechtigkeiten reagiert. Aber jetzt könne er nicht mehr so „überdreht“ reagieren.

Seine Bemerkungen legen das Ausmaß bloß, in welchem die Medien sich bewusst als verlängerter Arm des Staates verstehen. Man kann die Veränderungen, die sich zwischen Blackhursts Jugend und heute ereignet haben, nicht allein in Jahren bemessen. Weit bedeutender sind die lukrative Karriere, der soziale Komfort und die Privilegien, die er sich erworben hat, indem er bereitwillig die staatlichen Übergriffe abzudecken hilft. Kann noch irgendein Zweifel daran bestehen, dass Blackhurst, zurückversetzt in das Deutschland der 1930er Jahre, schwerlich durch moralische oder politische Skrupel daran gehindert worden wäre, direkt oder indirekt für Goebbels‘ Propagandaministerium zu arbeiten?

Das Fehlen jeglicher Besorgnis um Bürgerrechte innerhalb der herrschenden Elite ist das Ergebnis eines Niederganges demokratischer Normen, der sich schon über einen längeren Zeitraum erstreckt.

Dieser Prozess beschleunigte sich seit dem Zusammenbruch der Wirtschaft im Jahr 2008 und der zunehmenden sozialen Ungleichheit, die darauf folgte. Es ist kein Zufall, dass die Hexenjagd gegen den Guardian sich inmitten wachsender Anzeichen weit verbreiteter Opposition gegen die Austeritäts- und Kriegspolitik der Regierung ereignet. Sie erfolgt nur wenige Wochen nach der parlamentarischen Niederlage der Regierungsresolution für einen Krieg gegen Syrien und fällt zusammen mit einer Reihe von Streiks und Protesten gegen den Ausverkauf von Arbeitsplätzen, Sozialhilfe und Sozialdiensten.

Die Ausspähungsaktivitäten der britischen Geheimdienste haben wenig mit einem Kampf gegen Terrorismus zu tun, wie die spärlichen Dokumente aufzeigen, die Snowden dem Spiegel zugespielt hatte. Diese beschuldigen GCHQ eines umfassenden Angriffs auf die Datennetze des teilstaatlichen belgischen Telekommunikationsunternehmens Belgacom, zu dessen Kunden das Europäische Parlament zählt.

Der für diesen Angriff gewählte Codename “Operation Socialist” bestätigt nur den viel fundamentaleren Zweck der Aktivitäten des GCHQ: die Kontrolle und Unterdrückung der heimischen Bevölkerung. Denn letztlich kann die von der herrschenden Elite beschlossene Verarmung der Massen nur durch diktatorische Mittel herbeigeführt werden.

Die Socialist Equality Party verteidigt bedingungslos den Guardian und sein Recht, frei von staatlichen Eingriffen zu publizieren. Doch wir beharren darauf, dass die Verteidigung der Pressefreiheit, der freien Rede und der demokratischen Rechte keinem Teil der Bourgeoisie anvertraut werden kann. Nur eine Massenbewegung der Arbeiterklasse kann diese Aufgabe in einem Kampf gegen das Profitsystem und seine politischen Verteidiger übernehmen.

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