Russland hinterfragt UN-Bericht über Gasangriff in Syrien

Der russische Außenminister Sergei Lawrow widersprach am Mittwoch den Vorwürfen der USA und ihrer Verbündeten, laut denen der UN-Bericht über den Chemiewaffenangriff in Syrien am 21. August beweise, dass die Verantwortung bei Bashar al-Assads Regierung liege.

Lawrow bezeichnete den Bericht als einseitig und befangen und behauptete, es gebe genug Beweise dafür, dass Assad-Gegner an Chemiewaffenangriffen beteiligt waren. Er erklärte, er werde dem UN-Sicherheitsrat Beweise liefern, dass syrische Oppositionsmilizen den Angriff in Ghuta in den Vororten von Damaskus verübt hatten.

Auch der stellvertretende Außenminister Sergei Rjabkow, der sich am Dienstag mit Präsident Assad in Damaskus traf, kritisierte den UN-Bericht als verzerrt und fügte hinzu, die Ermittler hätten die Beweise der syrischen Regierung völlig ignoriert. Er sagte: „Die Grundlage der Informationen, auf denen sie aufbauen, reicht nicht aus, und wir müssten in jedem Fall mehr darüber erfahren und wissen, was vor und nach dem Vorfall am 21. August passiert ist.“

Der Bericht der UN wies zwar keiner Seite die Schuld zu, doch die USA und ihre Verbündeten haben Aspekte aus seinen technischen Anhängen dafür genutzt, dem Assad-Regime die Verantwortung für den Angriff in Ghuta zuzuschreiben. Die USA, Großbritannien und Frankreich behaupten, die Auswahl der Waffen und ihre Flugbahn würden auf Regierungstruppen hindeuten.

Die amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power erklärte: „Technische Details zeigen, dass nur das Regime einen so großen Chemiewaffenangriff hätte ausführen können.“ Anonyme Regierungssprecher behaupteten in den Medien, der Bericht deute darauf hin, dass Eliteeinheiten der syrischen Regierung die Raketen abgefeuert hätten.

Der Bericht der UN behauptet nichts dergleichen. Er deutet an, dass bei zwei der fünf untersuchten Einschlagstellen die Geschosse aus östlich-südöstlicher Richtung kamen. Er nannte keine geografische Örtlichkeit, von der die Raketen abgeschossen wurden. Rjabkow erklärte: „Wir sind überrascht, dass auf der Grundlage von dürftigen Informationen eine so weitreichende Analyse erstellt wurde.“

Das Assad-Regime hätte weder politisch noch militärisch etwas davon gehabt, am 21. August Chemiewaffen einzusetzen. Seine Truppen waren in der Offensive, und die UN-Inspektoren hielten sich gerade in Syrien auf. Wie immer mehr Beweise nahelegen, ist es viel wahrscheinlicher, dass Assad-Gegner den Angriff inszeniert haben, und dass reaktionäre Islamisten, die mit Al Qaida verbündet sind, damit den Vorwand für eine Militärintervention unter Führung der USA schaffen wollten.

Robert Fisk, der langjährige journalistische Erfahrungen im Nahen Osten hat, schrieb am Mittwoch im Independent über die Kommentare eines syrischen Journalisten, der in der Nacht zum 21. August Regierungstruppen bei einer Offensive begleitete. Fisk erklärte, sein Freund sei in dem Vorort Moadamiyeh gewesen, wo einer der Chemiewaffenangriffe stattfand, und er habe keine Beweise für den Einsatz von Gas gesehen. „An was er sich aber erinnert, war die Besorgnis der Regierungstruppen, als sie die ersten Bilder von Gasopfern im Fernsehen sahen: Sie befürchteten, sie müssten in giftigen Dämpfen kämpfen.“

Westliche Regierungsvertreter nutzten die im UN-Bericht erwähnten, an den Einschlagstellen gefundenen Raketenteile mit kyrillischer Schrift, um zum Schluss zu kommen, dass Russland die Waffen geliefert habe. Aber wie der syrische Journalist Fisk erklärte, besteht das Problem darin, „dass seit Libyen so viele russische Waffen und Artillerie nach Syrien geschmuggelt werden, dass keiner mehr weiß, wer was hat. Die Libyer können nicht genug Öl fördern, aber sie können sämtliche Waffen von Gaddafi verkaufen“.

Die Kommentare weisen auf eine weitere Quelle hin, aus der Assad-Gegner Chemiewaffen hätten erhalten können. Letzten Mai meldete Carla Del Ponte, ein ranghohes Mitglied der UN-Kommission, die sich mit Menschenrechtsverletzungen in Syrien beschäftigt, dass laut ihren Ermittlungen Oppositionskräfte Nervengas eingesetzt haben könnten. Im Juli reichte das russische Außenministerium einen hundertseitigen Bericht an die UN ein, in dem es Beweise ausführte, dass Assad-Gegner für einen Angriff mit Sarin-Gas im letzten März bei Aleppo verantwortlich waren.

Während Russland den UN-Chemiewaffenbericht kritisiert, verhandeln die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates (die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China) weiterhin über eine Resolution, die das Abkommen zur Zerstörung von Syriens Chemiewaffen formalisieren soll, das Moskau und Washington letztes Wochenende getroffen haben.

Moskau besteht darauf, dass die Resolution kein Schlupfloch hat, das den USA juristische Rückendeckung für einen Angriff auf Syrien liefern könnte. Die Regierungen Russlands und Chinas sind sich bewusst, dass die Obama-Regierung schon einmal eine UN-Resolution für eine Flugverbotszone über Libyen ausgenutzt hat, um einen offenen Luftkrieg zu beginnen und den libyschen Staatschef Muammar Gaddafi zu stürzen.

Die USA sind jedoch bereit, Syrien mit oder ohne ein rechtliches Feigenblatt des UN-Sicherheitsrates anzugreifen. Obama hat zwar angesichts des überwältigenden Widerstandes der Bevölkerung kurzfristig von einem Angriff abgesehen, aber dieser bleibt weiterhin auf der Tagesordnung. Das Pentagon zieht die vier Lenkraketenzerstörer aus dem östlichen Mittelmeer nicht zurück, von wo aus sie Ziele in Syrien angreifen könnten.

US-Verteidigungsminister Chuck Hagel erklärte am Mittwoch: „Wir müssen die militärische Option beibehalten. Wir haben dem Präsidenten versichert, dass unser Aufgebot gleich bleibt.“ Auf der gleichen Pressekonferenz erklärte Hagel auch, die Regierung erwäge, ob das Pentagon der CIA die Bewaffnung der Assad-Gegner aus der Hand nehmen solle. Damit könnten ihnen früher oder später fortschrittlichere Waffen zur Verfügung gestellt werden.

Jeder Vorwand könnte benutzt werden, um einen Angriff der USA zu rechtfertigen. Die Obama-Regierung könnte das amerikanisch-russische Chemiewaffen-Abkommen leicht nutzen, um zu behaupten, die Assad-Regierung erfülle ihre Verpflichtungen nicht. Die erste Frist, in der Damaskus alle seine Chemiewaffen auflisten muss, läuft bereits am Samstag ab.

Der Abschuss eines syrischen Helikopters durch türkische Kampfflugzeuge am Montag zeigt den provokanten Charakter der amerikanischen Verbündeten im Nahen Osten. Die syrische Regierung hat bestätigt, dass der Helikopter in türkischen Luftraum eingedrungen war, warf der Türkei jedoch vor, die Spannungen vorsätzlich zu erhöhen, indem sie ihn abschossen, als er schon nach Syrien zurückkehrte. Der Helikopter stürzte über syrischem Gebiet ab.

Wie leichtsinnig die Kriegspläne der Obama-Regierung sind, zeigen auch die Kommentare von Robert Gates am Mittwoch. Der ehemalige Verteidigungsminister unter George W. Bush und Obama kritisierte Obamas Syrienpolitik und erklärte: „Was ich sagen will, ich halte es für keine gute Strategie, ein paar Tage lang ein Paar Sachen in die Luft zu jagen, um einen Standpunkt zu unterstreichen oder zu bestätigen.“

Gates erklärte mit Blick auf die höchst angespannte Lage in der Region, dass amerikanische Raketenangriffe auf Syrien die hochkomplexe Lage im Nahen Osten noch komplizierter machen würden: „Haben wir aus dem Irak, aus Afghanistan und aus Libyen nichts über die unbeabsichtigten Folgen gelernt, die Militärschläge haben können, wenn sie einmal begonnen haben?“

Dennoch hat die Obama-Regierung letzten Endes die gleiche strategische Entscheidung wie zuvor die Bush-Regierung getroffen: Sie versucht, den Niedergang des amerikanischen Imperialismus durch den aggressiven Einsatz militärischer Gewalt auszugleichen. Zehn Jahre nach der Invasion im Irak bereiten die USA einen neuen verbrecherischen Krieg vor, der die Gefahr eines verheerenden Konfliktes in der Region birgt und möglicherweise den Iran, Russland und China hineinzieht.

Das zeigten auch die Kommentare des ehemaligen Verteidigungsministers Leon Panetta, der in am gleichen Anlass wie Gates sprach und darauf beharrte, dass Obama den Krieg gegen Syrien beginnen solle. Panetta erklärte: „Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten eine rote Linie zieht, hängt die Glaubwürdigkeit dieses Landes davon ab, dass er sein Wort hält.“

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