Deutschland: Die Strukturen eines Polizeistaats

In der vergangenen Woche hat eine sechsköpfige Regierungskommission ihren Bericht zur Sicherheitsarchitektur in Deutschland veröffentlicht. Er macht deutlich, dass seit den Anschlägen vom 11. September 2001 die Strukturen eines Polizeistaats geschaffen wurden. Zugleich schlägt der Bericht vor, diesen Sicherheitsapparat gesetzlich zu legitimieren und seine Befugnisse so zu zementieren.

Die Regierungskommission aus je drei Vertretern des Justiz- sowie des Innenministeriums hatte im Januar damit begonnen, die neuen Sicherheitsgesetze der letzten zwölf Jahre systematisch zu überprüfen und einzuschätzen. Das Justizministerium entsandte den FDP-Politiker Burkhard Hirsch, den Mannheimer Jura-Professor Matthias Bäcker sowie Ex-Ministerialdirektor Volkmar Giesler. Vom Innenministerium wurden Professor Heinrich Amadeus Wolff (Frankfurt/Oder), die frühere Generalbundesanwältin Monika Harms sowie Ministerialdirektor Stefan Kaller eingesetzt.

Zwar waren sich beide Seiten der Kommission in zahlreichen Detailfragen uneins, was in den Medien breit thematisiert wurde. Die Ausrichtung ihrer Vorschläge aber war eindeutig: die in den letzten Jahren errichtete Sicherheitsarchitektur ist grundsätzlich nicht in Frage zu stellen.

Kritisiert wurden die enge, vom Grundgesetz untersagte Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten sowie die ausufernden Befugnisse des Bundeskriminalamts. Doch alle Vorschläge der Kommission laufen darauf hinaus, diese verfassungswidrigen Praktiken nun endlich zu legitimieren.

Dabei deckt der Bericht auf, dass in den vergangenen zwölf Jahren ein Apparat errichtet worden ist, dessen Befugnissen an die Geheime Staatspolizei (Gestapo) der Nazis erinnert. Die im Grundgesetzt verankerte Trennung von Polizei und Geheimdiensten – eine wesentliche Lehre aus den Erfahrungen des Dritten Reiches – ist faktisch aufgehoben worden. Darüber hinaus hat das Bundeskriminalamt eine bis vor wenigen Jahren undenkbare Machtfülle angehäuft.

Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung hatte sich vor allem die rot-grüne Bundesregierung von Gerhard Schröder schon kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 damit hervorgetan, die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten massiv auszudehnen. Unter dem damaligen Innenminister Otto Schily (SPD) wurde im Januar 2002 das so genannte Terrorismusbekämpfungsgesetz eingeführt. Es erweiterte die Möglichkeiten des Verfassungsschutzes in großem Umfang und erlaubte diesem fortan, Auskünfte über Konto- und Überweisungsdaten, Postwege und nicht zuletzt Telekommunikationsdaten einzuholen, sowie Handys zu orten. Ursprünglich auf fünf Jahre befristet, wurde es inzwischen mehrfach verlängert und gilt bis heute.

Der erste größere Schritt zur Aufhebung des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten wurde 2004 ebenfalls noch unter Rot-Grün vollzogen. Mit dem Aufbau des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) wurden Vertreter aller deutschen Sicherheitsbehörden unter einem Dach vereinigt.

In einem eigens dafür errichteten Gebäude in Berlin-Treptow arbeiten das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizei, der Militärische Abschirmdienst (MAD), das Zollkriminalamt, die Bundesanwaltschaft, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie alle 16 Landesämter für Verfassungsschutz und alle Landeskriminalämter Hand in Hand.

Die genannten Behörden wirken dabei in zahlreichen Arbeitsgemeinschaften (AGs) zusammen. Neben der täglichen Lagebesprechung gibt es etwa AGs für Gefährdungsbewertung, Fallauswertung und Strukturanalysen. Zudem existiert ein Bereich für „operativen Informationsaustausch“. Sämtliche beteiligten Behörden haben Zugriff auf die sogenannte „Anti-Terror-Datei“ des BKA. Wie der Bericht der Regierungskommission bemerkt, existieren zurzeit keine gesetzlichen Einschränkungen für die Weitergabe von Daten zwischen den Behörden.

Bezeichnenderweise lobt das Bundesamt für Verfassungsschutz die Überwindung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten in den höchsten Tönen. „Wesentlich für den Erfolg des GTAZ“ sei „die Kooperation zwischen nachrichtendienstlichen und polizeilichen Institutionen und Akteuren“, heißt es auf seiner Website. Die „Stärkung behördenübergreifender Zusammenarbeit“ und die „Intensivierung der Kooperation mit Vertretern der Strafverfolgung“ führten zu einer „Kultur des Vertrauens“, die für die frühzeitige Erkennung und Abwehr von Gefahren „unabdingbar“ sei.

Der Bericht der Regierungskommission sorgt sich, dass diese Kooperation von Polizei und Geheimdiensten ohne gesetzliche Grundlage stattfindet. Die Zusammenarbeit im GTAZ habe inzwischen „eine Verfestigung, ein Ausmaß und eine Bedeutung erlangt“, die ein eigenes Gesetz nötig machten. Bisher steht die Arbeit des GTAZ nicht einmal auf einer eigenständigen juristischen Grundlage, sondern ist nur durch Verordnungen geregelt.

Einzelne Vertreter der Kommission mahnten, die Arbeit im GTAZ sei „verfassungsrechtlich nicht unproblematisch“. Daraus schließen sie, dass man Rechtssicherheit brauche, um die so genannte „Superbehörde“ auch in Zukunft legitimieren zu können. Der Bericht vermerkt ausdrücklich, dass „die Arbeit im GTAZ [...] von keinem der Kommissionsmitglieder grundsätzlich infrage gestellt“ wird.

Ursprünglich war das GTAZ – zumindest offiziell – nur für die Bekämpfung von islamistischem Terrorismus aufgebaut worden. Inzwischen hat das Innenministerium die rassistische Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) genutzt, um die neuen Sicherheitsstrukturen auch gegen politische Gegner einzusetzen.

Kurz nach dem Auffliegen des NSU-Netzwerks im November 2011 hob Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in aller Eile das Gemeinsame Zentrum gegen Rechtsextremismus (GAR) aus der Taufe. Dieses geht inzwischen sehr gezielt auch gegen andere Formen von „Extremismus“ vor.

Im November letzten Jahres wurde dann das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) gegründet. Es bildet inzwischen das Dach für alle anderen Zentren, in denen Polizei und Geheimdienste eng zusammenarbeiten, darunter auch das GTAZ. Es richtet sich explizit gegen Rechts-, Links- und Ausländerextremismus und -terrorismus sowie gegen Spionage und Proliferation.

Damit ist unter dem Deckmantel des Kampfs gegen NSU und islamistischen Terrorismus eine neue „Superbehörde“ entstanden, deren Führung sich vor allem der Verfassungsschutz und das BKA teilen. Auch hier arbeiten alle bereits genannten 40 Sicherheitsbehörden unmittelbar zusammen, hinzu kommen Vertreter von Europol sowie des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

Das BKA hat sich inzwischen zu einer Behörde entwickelt, die in weiten Teilen völlig unkontrolliert agiert. Seit 2009 verfügt das BKA auch über geheimdienstliche Befugnisse wie die akustische und optische Überwachung von Wohnungen sowie die Überwachung der Telekommunikation. Darüber hinaus ist es ihm inzwischen erlaubt, bereits lange vor dem Versuch einer Straftat ohne Verdacht zu ermitteln – und dies ohne Auftrag der Bundesanwaltschaft. Erst wenn sich bei den „Vorfeldermittlungen“ ein konkreter Verdacht ergibt, muss dieser dem Generalbundesanwalt gemeldet werden. Bis dahin agiert das BKA vollkommen in Eigenregie und im Geheimen. Jeglicher Willkür sind Tür und Tor geöffnet.

Ein Teil der Regierungskommission schlägt nun vor, das BKA vom Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) überprüfen zu lassen. Damit akzeptiert sie stillschweigend, dass eine Polizeibehörde inzwischen den Rang eines Geheimdienstes hat. Vor allem aber entstünde so lediglich ein etwas größerer Kreis von verschwiegenen Mitwissern im Parlament, der unter Verweis auf seine Geheimhaltungspflicht nichts an die Öffentlichkeit weitergibt. Die Machenschaften einer Geheimpolizei sollen mit einem pseudodemokratischen Schleier umhüllt werden.

Auch in einem weiteren Vorschlag der Kommission spielt das PKG eine wichtige Rolle. Zukünftige Whistleblower sollen die Möglichkeit erhalten, sich an die Mitglieder des Kontrollgremiums zu wenden, wenn sie Fehlentwicklungen im Inneren der Geheimdienste anprangern wollen. Es ist ein durchschaubarer Versuch, aufrichtige Mitarbeiter davon abzuhalten, sich mit der Enthüllung illegaler Machenschaften direkt an die Öffentlichkeit zu wenden.

Auch die weiteren Vorschläge der Regierungskommission haben den Zweck, einen verfassungswidrigen Sicherheitsapparat nachträglich zu legitimieren. So sollen bespitzelte Bürger im Nachhinein öfter über die Überwachung informiert werden. Zudem sollen Antiterrorermittlungen des BKA künftig nicht mehr vom Amtsgericht Wiesbaden, sondern vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) kontrolliert werden.

Der stille Aufbau eines Polizeistaats unter dem Vorwand der Terror- und „Extremismus“-Bekämpfung richtet sich direkt gegen die Arbeiterklasse und politische Gegner der bürgerlichen Ordnung. Angesichts wachsender sozialer Gegensätze, einer tiefen internationalen Wirtschafskrise und imperialistischen Aggressionen wie in Syrien rechnet die herrschende Klasse mit Widerstand und Opposition.

Gleichzeitig zeigt der Aufbau eines riesigen Sicherheitsapparats unter Verletzung elementarer Verfassungsgründsätze, dass es in der herrschenden Klasse keine Grundlage für die Verteidigung demokratischer Rechte mehr gibt. Alle Bundestagsparteien, einschließlich der Linken, treiben die Aufrüstung des Staatsapparats offensiv voran oder tragen sie mit. Es gibt keine bürgerliche Institution mehr, die die im Grundgesetz festgelegten Prinzipien tatsächlich achtet. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April zur Legitimierung der Anti-Terror-Datei zeigt dies in aller Deutlichkeit.

Loading