Die Bundesregierung und die rot-grüne Opposition unterstützen einen Kriegseinsatz gegen Syrien. Mitten im Bundestagswahlkampf fürchten sie allerdings, eine allzu offene Kriegspropaganda könnte sie am 22. September Stimmen kosten.
2002 hatte der bevorstehende Irakkrieg den Ausgang der Bundestagswahl entschieden. Der amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte sich im Wahlkampf gegen den Krieg ausgesprochen, während die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel ein militärisches Eingreifen befürwortete. Merkel verlor deshalb den bereits sicher geglaubten Wahlsieg und wurde erst drei Jahre später zur Kanzlerin gewählt.
Wie damals den Irakkrieg, lehnt heute eine überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Syrienkrieg ab. In einer Umfrage des Forsa-Instituts sprachen sich 69 Prozent gegen einen Militärschlag aus. Nur 23 Prozent waren dafür, und von diesen lehnte ein Drittel eine deutsche Beteiligung ab.
SPD und Grüne fürchten diese weitverbreitete Antikriegsstimmung. Wie die gegenwärtige Regierung planen sie, im Falle eines Wahlsiegs in Syrien und auf anderen Kriegsschauplätzen eng mit den USA zusammenzuarbeiten, wie sie dies bereits in Jugoslawien und Afghanistan getan haben. Deshalb haben sie sich mit der Regierung darauf geeinigt, das Thema so weit wie möglich aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth bezeichnete es als „unredlich, die komplexe Lage in Syrien für den Wahlkampf zu instrumentalisieren“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich bereits am Montag offen hinter die Kriegspläne der USA und Großbritanniens gestellt. In Syrien habe „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ ein Giftgas-Angriff stattgefunden, ließ sie ihren Regierungssprecher Steffen Seibert erklären. „Er darf nicht folgenlos bleiben.“ In einem Telefongespräch mit dem britischen Premier David Cameron einigte sich Merkel auf eine „harte Antwort“, wie die britische Nachrichtenagentur PA meldete.
Ähnlich äußerte sich Außenminister Guido Westerwelle. Er bezeichnete den Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen als „zivilisatorisches Verbrechen“ und folgerte: „Wenn sich ein solcher Einsatz bestätigen sollte, muss die Weltgemeinschaft handeln. Dann wird Deutschland zu denjenigen gehören, die Konsequenzen für richtig halten.“
Merkel und Westerwelle schoben damit allen Spekulationen einen Riegel vor, sie könnten sich wie vor zwei Jahren in Libyen aus dem Krieg heraushalten. Damals hatte sich Deutschland im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über eine Libyen-Resolution gemeinsam mit Russland und China der Stimme enthalten.
In führenden politischen Kreisen gilt das heute als schwerer Fehler. Vertreter aller politischer Lager sind zur Auffassung gelangt, dass sich – zumindest gegenwärtig – die imperialistischen Interessen Deutschlands am besten verfolgen lassen, wenn sie eng mit den USA zusammenarbeiten.
Merkels Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) verkündete umgehend seine volle Übereinstimmung mit Merkel. „Die Bundesregierung sagt, dass ein solches Menschheitsverbrechen wie der Giftgasangriff zu Konsequenzen führen muss. Das teile ich“, sagte er am Dienstag der Stuttgarter Zeitung. „Die westliche Völkergemeinschaft muss ihre moralischen Werte und politischen Überzeugungen zum Ausdruck bringen und kann deshalb einen solchen Giftgasangriff nicht stillschweigend hinnehmen.“
Steinbrück befürwortete auch einen Militärschlag ohne UN-Mandat. Wenn China und Russland in der UNO ihr Veto einlegten, sei über ein Eingreifen der Nato zu beraten, sagte er.
Ähnlich wie Steinbrück äußerte sich die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth. Sie bezeichnete den mutmaßlichen Giftgas-Einsatz in Syrien als humanitäres Verbrechen, das „nach scharfer Kritik und konkreten Folgen verlangt“. Sie bezeichnete es als „gefährlich“, dass sich „bereits alles aufs Militär verengt“, schloss einen Militärschlag aber ausdrücklich nicht aus.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auch andere führende Vertreter der Grünen, wie Fraktionschef Jürgen Trittin, Verteidigungsexperte Omid Nouripour und der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele äußerten sich in diesem Sinn. Sie banden ihre Zustimmung zu einem militärischen Eingreifen zwar an ein UN-Mandat, tatsächlich hatten die Grünen aber schon 1999 dem Jugoslawienkrieg zugestimmt, ohne dass ein solches Mandat vorlag.
Eine besondere Rolle in dieser großen Koalition der Kriegsbefürworter spielt die Linkspartei. Inhaltlich unterscheidet sich ihre Haltung kaum von jener der SPD und der Grünen, mit denen sie nach der Wahl eine Zusammenarbeit anstrebt. Sie hat selbst eine maßgebliche Rolle beim Aufbau der pro-imperialistischen syrischen Opposition gespielt. Trotzdem gebärdet sie sich im Wahlkampf als Anti-Kriegspartei. Sie versucht so, die weitverbreitete Antikriegsstimmung in harmlose Kanäle zu lenken und zu verhindern, dass eine Antikriegsbewegung entsteht, die die Interessen der herrschenden Klasse gefährdet.
Seit dem Irakkrieg vor zehn Jahren hat sich die Welt stark verändert. Die Weltwirtschaft steckt seit 2008 in einer tiefen Krise, die sozialen Gegensätze haben sich enorm verschärft und in Ägypten hat sich vor zwei Jahren die Arbeiterklasse als mächtiger Faktor zu Wort gemeldet. Das ist der Grund, weshalb die etablierten Parteien die Reihen schließen und sich gemeinsam hinter den Syrienkrieg stellen.
Ihre Empörung über die angeblichen Giftgasangriffe ist dabei pure Heuchelei. Sie wissen, dass ein Militärschlag Tausende, wenn nicht Millionen Opfer fordern wird. Selbst die konservative Welt warnt davor, das Militär Assads entscheidend zu schwächen, weil sich sonst die al-Qaida-nahen Islamisten durchsetzen, die „die Oberhand unter den Rebellen gewonnen“ haben. „Sie sind berüchtigt für Folter, Exekutionen und ihren Wunsch, alle nicht-sunnitischen Minderheiten in Syrien auszulöschen“, schreibt die Welt. „Sollten diese Gruppen die Mittelmeerküste mit den Städten Latakia und Tartus erobern, wäre ein Blutbad mit Tausenden von Toten unausweichlich.“
Die bürgerlichen Parteien von rechts bis links unterstützen den verbrecherischen Krieg gegen Syrien, weil die Bourgeoisie wie schon im letzten Jahrhundert keinen anderen Ausweg aus der Krise des kapitalistischen Systems kennt, als Krieg und soziale Konterrevolution. Mit derselben Brutalität, mit der sie Syrien überfallen, werden sie auch ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse in Deutschland und ganz Europa verstärken.