Chinesische Ausbeutungsverhältnisse in der deutschen Fleischindustrie

Ende vergangenen Jahres sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit dem Wirtschaftsblatt Financial Times ungewöhnlich offen über die wirtschaftspolitischen Ziele der herrschenden Elite in Europa. Zur Sicherung der „Wettbewerbsfähigkeit“ sagte sie den europäischen „Wohlfahrtsstaaten“ den Kampf an und stellte klar, an welchen Volkswirtschaften sich Europa dabei orientieren müsse: Die neuen Maßstäbe bei Löhnen und Arbeitsbedingungen würden von Indien und China gesetzt. (Siehe: „Merkels Weihnachtsbotschaft“)

Wie weit die Bundesregierung auf ihrem Weg zu „chinesischen Verhältnissen“ zur Befriedigung der nimmersatten Banken und Großkonzerne bereits gegangen ist, zeigt eine vor kurzem in der ARD ausgestrahlte Dokumentation über die Ausbeutungsverhältnisse in der Fleischindustrie. Die Zustände in der Fleischindustrie reihen sich ein in Skandale wie die Ausbeutung und Überwachung von ausländischen Leiharbeitern bei Amazon und die Aushebelung von Tarifverträgen bei Mercedes durch Leiharbeit und Werksverträge.

Die Enthüllungen der ARD über den Menschenhandel und die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie zeigen, dass in dieser Branche kriminelle Verhältnisse herrschen. Die Journalisten Michael Nieberg und Marius Meier konzentrieren sich bei ihren Recherchen auf den größten deutschen Geflügelfabrikanten Wiesenhof. Sie berichten von Unterkünften – ehemaligen Kasernen hinter Stacheldraht, Campingplätzen und umgebauten Ställen – in denen Arbeiter zusammengepfercht werden. In einer Doppelhaushälfte waren bis zu 18 Personen untergebracht.

Arbeiter aus Osteuropa, die aus Angst vor Gewalt unerkannt bleiben wollten, berichteten in der Doku von Stundenlöhnen zwischen 4 und 5,50 Euro brutto. Laut Gewerkschaftsangaben sind auch Stundenlöhne von 1,90 und 3 Euro für die schwere physische Arbeit keine Seltenheit.

Eine ehemalige Arbeiterin, die 2009 bei Wiesenhof im niedersächsischen Lohne am Band stand, zeigte den Journalisten ihre Lohnabrechnungen. Abzüglich Miete und der Strafabgaben für ein offen gelassenes Fenster kam sie auf einen Monatslohn von weniger als 500 Euro. Als sie krank wurde, setzte man sie so lange unter Druck, bis sie schließlich ihre Kündigung unterschrieb.

Eine andere Arbeiterin, die gegen die Zustände protestieren wollte, berichtete, man habe ihr und ihrer Familie mit dem Tod gedroht, falls sie Hilfe hole oder an die Öffentlichkeit gehe.

Bevor sie nach Deutschland zum Arbeiten fahren wird den Arbeitern aus Osteuropa das Blaue vom Himmel versprochen. Über den genauen Inhalt der Verträge erhalten sie keine Auskunft oder sie werden gezielt belogen. Viele Arbeiter wissen auch während ihrer Arbeitszeit in Deutschland nicht, was eigentlich in ihrem Vertrag steht. Sobald sie erst einmal da sind, haben sie keine andere Wahl als die katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, weil sie sowohl unter finanziellem Druck als auch dem Druck der Arbeitgeber stehen.

Die von der Doku geschilderten Zustände erinnern an die Ausbeutung von Arbeitern in der amerikanischen Fleischindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wie sie von Upton Sinclair in seinem Roman „Der Dschungel“ angeprangert werden.

Hinter der brutalen Ausbeutung der Arbeiter stehen kriminelle Strukturen. Über ein Geflecht von osteuropäischen Subunternehmen, die in den meisten Fällen über kaum mehr als einen Briefkasten verfügen, werden Werkverträge ausgehandelt. Die Arbeiter sind formal bei den osteuropäischen Firmen angestellt und bekommen den in ihren Herkunftsländern üblichen Hungerlohn. Sozialversicherung, Kündigungsschutz oder Urlaubsgeld gibt es nicht. In Deutschland werden sie dann von Wiesenhof und kleineren Fleischfirmen schwarz oder über Werk- und Subunternehmerverträge beschäftigt.

Ende Juni führte die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft eine Razzia gegen 22 Beschuldigte an insgesamt 90 Orten durch, darunter auch gegen die Unternehmen, die Gegenstand der NDR-Recherche waren. Die Ermittlungen von Zoll- und Steuerfahndung und der Kriminalpolizei deckten ein illegales Firmengeflecht auf, das aus mehr als zwei Dutzend Unternehmen und Subunternehmen sowie insgesamt zwölf Schlachthöfen bestand und sich über die gesamte EU erstreckte.

Die Kriminalität in der Branche hat System. Eine Richterin des Düsseldorfer Landesgericht musste schon Ende 2010 zugeben: „Der Umfang illegaler Tätigkeiten und deren Selbstverständlichkeit sind erschreckend. Das Gewerbe scheint von diesen Straftaten durchdrungen zu sein.“

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder illegale Unternehmensgeflechte in der Fleischindustrie und der systematische Einsatz von Leih- und Schwarzarbeitern aus Osteuropa aufgedeckt, durch den laut Gewerkschaftsangaben in den letzten Jahren ein Fünftel aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in der Industrie zerstört wurden. Insgesamt arbeiten in der Fleischindustrie rund 30.000 Menschen.

Diese Verhältnisse entlarven einmal mehr den arbeiterfeindlichen Kern der EU-Osterweiterung.

Die Wiedereinführung kapitalistischer Ausbeutung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war in ganz Osteuropa mit der Zerschlagung der sozialen Infrastruktur, Lohnkürzungen und massiver Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden. Die EU-Ostererweiterung in den Jahren 2004 und 2007 verschärfte die soziale Krise in den neuen Mitgliedsländern weiter.

Bulgarien und Rumänien sind durch das Spardiktat der EU zu den Armenhäusern Europas gemacht worden. Das Nettodurchschnittsgehalt in Rumänien lag im Dezember 2011 bei knapp über 350 Euro. In Bulgarien, dem ärmsten Land Europas, lebt jeder Fünfte unter der Armutsgrenze von monatlich 110 Euro. Jeder Dritte verfügt über weniger als 260 Euro im Monat.

Westeuropäische Unternehmen nutzen die Hungerlöhne in Osteuropa einerseits zur verstärkten Ausbeutung der dortigen Arbeitskräfte und andererseits zu Lohnsenkungen und sozialen Angriffen auf die Arbeiter in Westeuropa.

Insbesondere die deutsche Wirtschaft hat vom sozialen Ruin Osteuropas und den verschärften Ausbeutungsbedingungen profitiert. Die Fleischindustrie ist dabei nur ein besonders krasses Beispiel. Durch den Einsatz von regelrechter Sklavenarbeit können deutsche Fleischunternehmen Billigprodukte anbieten, mit denen Konzerne aus anderen EU-Ländern kaum konkurrieren können.

Die kriminellen Machenschaften und Ausbeutungsbedingungen in der Fleischindustrie sind den Gewerkschaften seit Jahren bekannt und werden von ihnen gedeckt. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk gab der Chef der zuständigen Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, am 25. Juni zu, dass er die Namen der Köpfe der „halb legalen, illegalen mafiösen Strukturen“, wie er sie selbst nennt, kennt.

Im selben Atemzug weigerte sich Möllenberg, Informationen an die Öffentlichkeit zu geben. Er wolle „keinen Pranger haben“, sei aber bereit, die Sache mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen zu besprechen – hinter verschlossenen Türen, versteht sich. Diese Fragen müssten zwischen Unternehmern und Politikern ausgehandelt werden.

Der NGG-Chef gestand offen ein, dass die Gewerkschaft nie Anstalten gemacht hat, die Arbeiter aus Rumänien zu organisieren („Ich spreche auch kein Rumänisch, muss ich leider zugeben“), und dies auch nicht vorhat.

Auf die Frage, wie es denn mit der Solidarität stehe, antwortete er: „So was gibt es auch“, konnte aber kein einziges praktisches Beispiel nennen. Diese Haltung entlarvt die lauten Empörungsrufe der Gewerkschaften in den letzten Jahren als zynische Heuchelei. In Wahrheit decken sie die systematische Einführung chinesischer Ausbeutungsverhältnisse und blockieren jeden Arbeitskampf der wütenden Belegschaft, gleich welcher Nationalität und Herkunft.

Die Politik der Gewerkschaften ist den Interessen der Arbeiter diametral entgegengesetzt. Sie haben die Umstrukturierung des Arbeitsmarktes unter Rot-Grün mit durchgesetzt und die EU-Osterweiterung unterstützt, um die Interessen der deutschen Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse und internationale Konkurrenz zu verteidigen. Mit ihrer nationalistischen Politik und Rhetorik spalten sie die Arbeiterklasse, um einen effektiven Kampf gegen die Angriffe der Bourgeoisie zu verhindern.

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