Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am Donnerstag in Brüssel beschlossen, sechs Milliarden Euro für arbeitslose Jugendliche bereit zu stellen. Damit soll, wie es offiziell hieß, ein „Signal gegen die Jugendarbeitslosigkeit“ gesetzt werden. Tatsächlich bedeutet die Entscheidung das Gegenteil. Sie ist eine Provokation, die einer ganzen Generation zu verstehen gibt, dass sie im kapitalistischen Europa keine Zukunft hat.
In den 27 Mitgliedsländern der EU ist jeder vierte Jugendliche unter 25 Jahren arbeitslos, das sind 5,6 Millionen junge Menschen. Die wirkliche Zahl liegt noch höher, denn in der offiziellen Statistik wird nur berücksichtigt, wer in den vergangenen vier Wochen einen Job gesucht hat und eine Stelle innerhalb von zwei Wochen antreten kann.
Die sechs Milliarden Euro sollen im Lauf der Jahre 2014 und 2015 ausgegeben werden. Umgerechnet auf die Gesamtzahl der arbeitslosen Jugendlichen ergibt dies eine durchschnittliche Summe von 45 Euro im Monat. Das ist weniger als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.
Selbst führende Vertreter von Wirtschaft und Politik geben zu, dass es sich dabei „wohl eher um Symbolpolitik“ handelt (Thomas Mayer, Chefsvolkswirt der Deutschen Bank) und dass die Summe „nicht reichen wird“ (Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments).
Zur Sicherung des europäischen Bankensystems sind nach Angaben der EU-Kommission seit 2008 rund 4,5 Billionen Euro Steuergelder bewilligt worden. Die Zukunft der Jugend ist denselben europäischen Regierungen dagegen lediglich ein winziger Bruchteil von 0,13 Prozent dieser Summe wert. Dieses Verhältnis zeigt anschaulich, welche Bedeutung die herrschende Elite Europas den Banken und welche Bedeutung sie der jungen Generation zumisst.
Die sechs Milliarden Euro werden nicht zusätzlich aufgebracht, sondern im Rahmen des bestehenden Haushalts umgeschichtet. Der EU-Gipfel hat sich am Donnerstag nach jahrelangem Gefeilsche auf einen Rahmenhaushalts geeinigt, der sich für die Jahre 2014 bis 2020 auf 960 Milliarden Euro summiert. Das ist weit weniger, als für die Bestreitung der laufenden Ausgaben nötig wäre. Um die zusätzlichen sechs Milliarden aufzubringen, wird es daher zu Einsparungen bei anderen Fördertöpfen der EU kommen, mit einem entsprechenden Verlust von Arbeitsplätzen.
Wie genau die sechs Milliarden Euro eingesetzt werden, legte der Gipfel nicht fest. Es hieß lediglich, Jugendlichen solle innerhalb von vier Monaten nach Abschluss ihrer Ausbildung oder nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes eine neue Arbeit oder eine Weiterbildung angeboten werden.
Dass solche Garantien wertlos sind, machte der dienstälteste Teilnehmer des Gipfels, der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker, deutlich. Er erinnerte daran, dass ein EU-Gipfel unter seinem Vorsitz bereits 1997 einen nahezu gleich lautenden Beschluss gefasst hatte – ohne dass etwas geschah.
Voraussichtlich wird die EU einige Um- und Weiterbildungsmaßnahmen finanzieren, die Jugendliche vorübergehend aus den Arbeitslosenschlangen herausnehmen, um sie dann umso brutaler wieder hineinzustoßen. Um Arbeitslosen einen dauerhaften und vernünftig bezahlten Arbeitsplatz zu sichern, sind solche Maßnahmen dagegen völlig ungeeignet.
Allein in Spanien sind 2,7 Millionen Menschen unter 35 Jahren arbeitslos. Über 60 Prozent von ihnen haben einen Schulabschluss, der dem deutschen Abitur entspricht, oder sogar einen oder mehrere Universitätsabschlüsse. Trotzdem finden sie keine Arbeit. Als kürzlich das Museum Prado in Madrid elf Saalwächterstellen zu einem Monatsgehalt von 930 Euro ausschrieb, meldeten sich 18.500 Bewerber.
In Italien sind 40 Prozent aller Jugendlichen unter 25 und jeder fünfte Akademiker arbeitslos. Auch ihnen werden Umschulungsmaßnahmen wenig helfen. In Griechenland und Portugal liegt die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 63 und 43 Prozent.
Notdürftige Umschulungsmaßnahmen dienen nicht dazu, Jugendlichen eine Zukunft zu sichern, sondern der Wirtschaft junge Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die sie als Praktikanten, als Leiharbeiter oder mithilfe staatlicher Subventionen billig ausbeuten kann.
Wirtschaftszeitungen drängen deshalb darauf, das Sechs-Milliarden-Programm mit „Arbeitsmarktreformen“ zu begleiten, die es den Unternehmen leichter machen, ältere Arbeiter aus den Betrieben zu drängen und durch schlechter bezahlte, jüngere zu ersetzen.
„Um mehr als eine Subvention für kurzzeitige Beschäftigungsschübe zu sein, muss die Garantie von grundlegenden Reformen der Arbeitsmärkte der Empfängerländer begleitet werden“, schreibt beispielsweise die Financial Times.
Die Massenarbeitslosigkeit unter Jugendlichen und Erwachsenen kann nur überwunden werden, wenn Millionen neue, gut bezahlte Arbeitsplätze in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen wie Gesundheit, Altenpflege, Umwelt und Kultur entstehen. Das erfordert massive öffentliche Investitionen.
Solche Investitionen lassen sich nicht verwirklichen, solange die Kontrolle über den gesellschaftlichen Reichtum in den Händen einer kleinen Finanzelite bleibt, die sich auch in der Krise maßlos bereichert. Sie erfordern die Errichtung einer Arbeiterregierung, die der Finanzelite die Macht entreißt, die Banken und großen Konzerne enteignet und unter demokratische Kontrolle stellt.
Die EU hat sich auch deshalb zu einer symbolischen Maßnahme gegen die Jugendarbeitslosigkeit entschlossen, weil sie fürchtet, dass sich Jugendliche radikalisieren und einer sozialistischen Perspektive zuwenden werden. Viele Beobachter sind sich dieses Zusammenhangs bewusst.
So warnte der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Madrid, Thomas Stehling, auf tagesschau.de, die Betroffenen verlören zunehmend das Vertrauen in das herrschende System. „Was will man denn von diesen Menschen erwarten? Dass sie jubelnd über die Straßen laufen und rufen: ‚Soziale Marktwirtschaft hat sich bewährt’?“, fragte er.
Der OECD-Experte Stefano Scarpetta verglich die Situation im Guardian mit den Revolutionen in Ägypten und Tunesien. Auch dort habe es eine Generation gut ausgebildeter junger Menschen gegeben, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt habe.
Und die Financial Times schrieb in einem Kommentar zum EU-Gipfel: „Hohe Arbeitslosigkeit ist eine Brutstätte für Unzufriedenheit unter Jugendlichen. … Bisher gab es nur selten Proteste, die meist friedlich waren. Aber das sollte kein Grund zur Selbstzufriedenheit sein. Die Politiker der EU müssen nur einen Blick auf die Türkei und Brasilien werfen, um zu sehen, dass wenig nötig ist, bis die Unzufriedenheit junge Leute auf die Straßen treibt.“
Jugendliche müssen das Programm der EU zurückweisen. Sie dürfen nicht zulassen, dass ihre Not ausgenutzt wird, um sie als Lohndrücker und billige Arbeitskräfte einzusetzen. Sie müssen gemeinsam mit allen Arbeitern für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft kämpfen. Das erfordert den Aufbau einer neuen, internationalen sozialistischen Arbeiterpartei – der Partei für Soziale Gleichheit und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.