Seit dem Angriffskrieg der Bush-Regierung im Jahr 2003 gegen den Irak bis hin zur Unterstützung des Krieges für einen Regimewechsel in Syrien zehn Jahre später hat Washington seine räuberische Politik im Nahen Osten immer unter den falschen Vorwänden von „Menschenrechten“ und „Demokratie“ betrieben.
Diese Behauptungen sind zum Einen durch das immense Leid und die Unterdrückung, die der US-Militarismus in der Region verursacht hat, grundlegend widerlegt. Schätzungen zufolge hat die amerikanische „Befreiung“ des Irak eine Million Menschenleben gekostet, hat weitere Millionen zu Flüchtlingen gemacht und die Infrastruktur und sozialen Institutionen des Landes zerstört. In Syrien hat die Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten für einen sektiererischen Bürgerkrieg mehr als 80.000 Menschenleben gekostet, weitere Millionen Flüchtlinge produziert und eine ganze Gesellschaft zerstört.
Genauso entlarvend ist die Wahl der Verbündeten, auf die sich Washington bei der Verfolgung seiner strategischen und Profitinteressen in der arabischen Welt stützt. Dabei handelt es sich überwiegend um reaktionäre Monarchien, die jeden Widerstand in ihren eigenen Ländern gnadenlos unterdrücken: Saudi-Arabien, Katar, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jordanien. Diese Verfechter der Demokratie und Verbündeten der USA setzen Enthauptungen, Folter, willkürliche Verhaftungen und religiösen Obskurantismus ein, um ihre parasitären Dynastien zu erhalten.
Jetzt haben die sozialen Unruhen bei Washingtons wichtigstem Verbündeten in der Region die falschen demokratischen Vorwände zerstört und die Heuchelei der amerikanischen Politik in der Region enthüllt.
Die Obama-Regierung hat die brutale Unterdrückung der Regierung von Premierminister Recep Tayyip Erdogan gegen hunderttausende Jugendliche, Arbeiter, Intellektuelle und andere türkische Bürger, die in Istanbul, Ankara und zahlreichen anderen türkischen Städten auf die Straße gehen, stillschweigend unterstützt. Das brutale Vorgehen hat mindestens fünf Todesopfer gefordert, 5.000 Menschen mussten in Krankenhäuser, tausende weitere wurden festgenommen.
Das Weiße Haus und das Außenministerium haben sich nach dem brutalen Angriff auf friedliche Demonstranten auf dem Taksim-Platz am 11. Juni diskret ausgeschwiegen. Während schwer bewaffnete Bereitschaftspolizisten mit Tränengas, Wasserwerfern und Blendgranaten gegen Demonstranten vorgingen und hunderte von ihnen verletzten, äußerte niemand in der Obama-Regierung ein Wort über Menschenrechte oder Demokratie.
Eine Woche später veröffentlichte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, eine verhaltene Stellungnahme, in der er Washingtons platonischen Einsatz für „freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit“ bekräftigte und die Demonstranten ermahnte, keine „Gewalt zu provozieren.“
Nachdem er klargestellt hatte, dass sich Obama weder über die Unterdrückung äußern noch mit Erdogan darüber sprechen werde, sagte der Sprecher weiter: „Die Türkei ist ein sehr wichtiger Verbündeter. Alle Demokratien haben Probleme, die sie lösen müssen... Ich glaube, dass wir mit der Türkei auch weiterhin in einer Reihe von Fragen zusammenarbeiten werden – als Nato-Verbündeter und als wichtige Kraft in der Region – und wir freuen uns darauf.“
Wenn Carney die Türkei als „wichtige Kraft in der Region“ bezeichnet, bezieht er sich damit offensichtlich auf ihre Rolle als Zufluchtsort und vorgeschobener Stützpunkt für die islamistischen Milizen, die Washington auf Syrien losgelassen hat. Ausländische Kämpfer aus Ländern wie Tschetschenien, dem Balkan und Westeuropa werden über die türkisch-syrische Grenze ins Land geschleust. Die Türkei beherbergt auch eine CIA-Station, die die Verteilung von Milliarden Dollar Hilfsgelder und Waffen regelt, die von Saudi-Arabien, Katar und anderen Staaten bereitgestellt werden, um das Gemetzel in Syrien zu unterstützen.
Washington behauptet also scheinheilig, der Krieg zum Regimewechsel in Syrien sei eine Reaktion auf Assads Unterdrückung der bewaffneten islamistischen Oppositionsgruppen, unterstützt jedoch Erdogans Unterdrückung von friedlichen Protesten, die die amerikanischen Kriegspläne gefährden könnten.
Nichts davon hindert die pseudolinken Organisationen – von der International Socialist Organization in den USA, über die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich bis hin zur deutschen Linkspartei – daran, den imperialistischen Krieg in Syrien, den sie unterstützt haben, als „Revolution“ zu bezeichnen.
Die Ereignisse in der Türkei und Syrien sind jedoch eng miteinander verbunden. Erdogans Teilnahme an dem amerikanisch geführten Krieg gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist in der türkischen Bevölkerung äußerst unpopulär. Laut Umfragen sind zwischen 70 und 80 Prozent der Bevölkerung gegen diese Intervention.
Die Befürchtung, dass der Krieg, den Erdogan in Syrien propagiert, die Türkei selbst mit einbeziehen wird, ist weit verbreitet. Im letzten Monat kamen bei zwei Autobombenanschlägen in Reyhanli an der Grenze zu Syrien 50 Menschen ums Leben, in der gleichen Region wurden daraufhin zwölf Mitglieder der Al Nusra-Front verhaftet, die mit Al Qaida verbündet ist; nach ersten Berichten hatten sie Sarin-Gas bei sich.
Die Kriegspolitik der türkischen Regierung ist besonders bei den religiösen und ethnischen Minderheiten in der Türkei, wie den Aleviten, unpopulär. Erdogans Unterstützung für sunnitische islamistische Fanatiker in Syrien, die mit Al Qaida verbunden sind, ist eine Ausweitung seiner islamistischen Sozialpolitik in der Türkei. Seine Entscheidung, eine neue Brücke über die Meerenge am Bosporus nach einem osmanischen Sultan aus dem 16. Jahrhundert zu benennen, der zehntausende Aleviten ermorden ließ, verstärkt diese Sorge.
In einem grundlegenderen Sinn entsprechen die Entwicklungen in der Türkei denen innerhalb der USA selbst, wo die Wende zu Militarismus und Interventionen im Ausland die Zunahme von Angriffen auf demokratische Rechte und weitere Polizeistaatsmaßnahmen begünstigt. In beiden Ländern orientiert sich die Außen- und Innenpolitik an den Interessen der Wirtschafts- und Finanzcliquen und geht auf Kosten der breiten Masse der Bevölkerung.
Der Fall der Türkei zeigt, dass die moralische Scharade, die die Obama-Regierung und ihre pseudolinken Anhängsel um „Menschenrechte“ und „Demokratie“ in Syrien veranstalten, völlig heuchlerisch ist. Sie sollen die Bevölkerung über den kriminellen Charakter der eskalierenden militärischen Aggression Washingtons zur Sicherung der amerikanischen Hegemonie über die ölreichen Regionen des Nahen Ostens und Zentralasiens hinwegtäuschen. Das kann die türkische Bevölkerung, die ganze Region und die ganze Welt in einen blutigen Krieg treiben.
Der Kampf für die demokratischen und sozialen Rechte der arbeitenden Bevölkerung in Syrien, der Türkei und auf der ganzen Welt kann nur durch die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf gegen Imperialismus und das kapitalistische Profitsystem geführt werden.