Am Montag hat die griechische Polizei 88.000 Gymnasiallehrern zivile Mobilisierungsbefehle zugestellt. Die Regierung verpflichtet die Lehrer damit zu Zwangsarbeit, um einen möglichen Streik in der Zeit der Examen zu verhindern, der sich gegen von der EU diktierte Sparmaßnahmen wendet. Zuvor hatte das oberste griechische Gericht einen Antrag der Gewerkschaft OLME auf eine einstweilige Verfügung gegen den Befehl abgelehnt.
Tausende Menschen versammelten sich am Montagabend vor dem Gewerkschaftshaus der OLME in Athen und marschierten zum Parlamentsgebäude auf den Syntagmaplatz, um gegen die Maßnahmen der Regierung zu demonstrieren. Zu Protesten kam es auch in anderen Städten wie Patras und Thessaloniki.
Einige Lehrer hatten alte Uniformen der Militärjunta angezogen, die Griechenland von 1967 bis 1974 regierte. „Sie befehlen uns wieder, Uniform zu tragen“, hatte eine Frau auf ein Schild geschrieben. „Heute ich, morgen alle“, eine andere. Die Lehrer machten darauf aufmerksam, dass zuletzt unter der Diktatur der Obristen Arbeitskämpfe mit Waffengewalt unterdrückt und junge Menschen massenhaft mobilisiert wurden.
Von diesen Zuständen ist Griechenland tatsächlich nicht mehr weit entfernt. Bereits im Januar hatte die Regierung aus konservativer Nea Dimokratia (ND), sozialdemokratischer PASOK und der SYRIZA-Abspaltung Demokratische Linke (DIMAR) streikende U-Bahnfahrer per Mobilisierungsbefehl und Polizeigewalt zurück an die Arbeit gezwungen. Im Februar folgten die Seeleute, die sich unter anderem deshalb im Ausstand befanden, weil ihre Löhne seit Monaten nicht ausgezahlt worden waren.
Nun geht die Regierung noch einen Schritt weiter. Sie befahl die zivile Mobilisierung, noch bevor die Lehrer überhaupt über einen Streik abgestimmt hatten. Lediglich die Gewerkschaftsführung der OLME hatte sich auf einen möglichen Streik zum Beginn der Abschlussprüfungen am kommenden Freitag verständigt. Sollten sich die Lehrer nun dennoch für einen Streik entscheiden, drohen ihnen bis zu fünf Jahre Haft und die fristlose Entlassung.
Dass die Regierung noch am Sonntag präventiv gegen den Arbeitskampf vorging und damit ihre Bereitschaft verdeutlichte, jeden Widerstand gegen das Spardiktat zu unterdrücken, ist kein Zufall. Am Montagabend trafen sich die Finanzminister der Eurogruppe, um über die Auszahlung zweier fälliger Kredittranchen an Griechenland zu entscheiden.
Die Erhöhung der Wochenarbeitszeit der Lehrer um zwei Stunden sowie die Streichung von 10.000 Lehrerstellen, gegen die sich der Streik richten sollte, gehörten zu den Bedingungen von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) für die Auszahlung der insgesamt 7,5 Milliarden Euro. Die Finanzminister gaben die Tranchen schließlich frei und attestierten Athen „wichtige Fortschritte“ bei der Durchsetzung der Sparprogramme.
Es besteht kein Zweifel, dass die diktatorischen Maßnahmen des griechischen Regierungschefs Andonis Samaras (ND) eng mit seinen europäischen Kollegen abgesprochen waren. Ähnliche Maßnahmen werden auf dem ganzen Kontinent ergriffen. Erst letzten Monat sperrte die dänische Linksregierung kurz vor den Abschlussprüfungen mehr als 70.000 Lehrer für vier Wochen aus, um ebenfalls eine Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich durchzusetzen.
In Griechenland begründete der Bildungsminister Constantinos Arvanitopoulos die Mobilisierungsorder in zynischer Art und Weise mit den anstehenden Examen. „Wir sind entschlossen, die innere Ruhe der Schüler und Eltern zu schützen“, sagte er.
Tatsächlich sind die Kürzungen und Entlassungen, gegen die sich die Lehrer zur Wehr setzen, Teil der Demontage des gesamten öffentlichen Bildungssystems. Hunderte Schulen und Dutzende Universitäten sollen zusammengelegt oder geschlossen werden. Neben den 10.000 Lehrerstellen werden weitere 140.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst gestrichen. Schon jetzt sind zwei Drittel der griechischen Jugendlichen arbeitslos.
Die Regierung kann diese barbarischen sozialen Angriffe durchsetzen, weil sie die volle Unterstützung der Gewerkschaften genießt. Der Chef der OLME, Nikos Papachristos, hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass die Gewerkschaft sich einem Mobilisierungsbefehl nicht widersetzen werde. Schon bei den U-Bahnfahrern und Seeleuten hatten die Gewerkschaften das Streikverbot der Regierung durchgesetzt.
Der Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst, ADEDY, hat sich am Montag geweigert, am Freitag einen Solidaritätsstreik für die Lehrer zu organisieren, um die Examen doch noch zu stören. Stattdessen rief sie für Dienstag zu einem Streik auf und kündigte für Donnerstag gemeinsame Aktionen mit dem Gewerkschaftsverband der Privatwirtschaft GSEE an.
Das Europäisches Gewerkschaftskomitee für Bildung und Wissenschaft (ETUCE), dessen Teil die OLME ist, äußerte sich überhaupt nicht zu dem Mobilisierungsbefehl. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hüllt sich in Schweigen.
In Griechenland spielt die größte Oppositionspartei, die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), eine Schlüsselrolle dabei, den Regierungskurs zu stützen. In mehreren Pressemitteilungen erklärte die Partei, dass die Regierung den Mobilisierungsbefehl und die Maßnahmen gegen die Lehrer zurückziehen solle, um nach den Examen in „offene Verhandlungen“ mit den Lehrern zu treten. Sie will die Angriffe offenbar auf die Zeit nach den Examen verlegen. Den Mobilisierungsbefehl hatte Parteisprecher Panos Skouletis für „außergewöhnliche Umstände“ bereits gerechtfertigt.