Die soziale Krise in den USA

Die amerikanischen Aktienmärkte verbuchten am vergangenen Freitag ein neues Rekordhoch, weil die Händler an der Wall Street einen eher schwachen Bericht vom Arbeitsmarkt zum Anlass für eine neue Spekulationsorgie nahmen.

Nach offizieller Darstellung der US-Regierung befindet sich das Land mitten in einem Aufschwung. Für die Wirtschafts- und Finanzelite, die Amerika regiert, und die Teile der oberen Mittelschicht, die an ihren Rockzipfeln hängen, bedeutet ein wachsender Aktienmarkt in der Tat wirtschaftlichen Gewinn. Für die große Mehrheit der Bevölkerung ist das Leben fünf Jahre nach dem Börsenkrach von 2008 jedoch vom tagtäglichen Überlebenskampf geprägt.

Die offiziellen Statistiken zu Armut, Arbeitslosigkeit, Verschuldung und sinkenden Löhnen geben Einblick in eine soziale Wirklichkeit, die die Medien nach Kräften zu verbergen versuchen.

Am Donnerstag wurde eine Statistik veröffentlicht, die auf die tatsächlichen sozialen Verhältnisse hinweist, die sich hinter der Euphorie an der Wall Street verbirgt. Laut dem Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention ist die Selbstmordrate in den USA in den vergangenen zehn Jahren stark angestiegen.

In der Altersgruppe zwischen 35 und 64 Jahren hat die Zahl der Selbstmorde zwischen 1999 und 2010 um fast 30 Prozent zugenommen. Es gibt heute in Amerika mehr Tote durch Selbstmord als durch Autounfälle. Die Ursache dafür ist kein Geheimnis: Es ist die Wirtschaftskrise, durch die Arbeitslosigkeit, Armut, Unterernährung, Krankheit, Obdachlosigkeit und alle Arten damit zusammenhängender persönlicher und familiärer Probleme zugenommen haben.

Die soziale Krise zieht alle Teile der arbeitenden Bevölkerung in Mitleidenschaft – Junge und Alte, Beschäftigte und Arbeitslose – ungeachtet ihrer Rasse, ihres Geschlechtes und ihrer Herkunft.

Für Millionen von älteren Arbeitern verdüstert sich die Hoffnung auf wirtschaftliche Sicherheit im Alter und die Aussicht auf eine angemessene Rente, da sie gezwungen sind, ihre Ersparnisse aufzubrauchen und sich weiter zu verschulden. Die Verschuldung der Amerikaner wächst laut Zahlen der Federal Reserve in der Altersgruppe zwischen 65 und 74 Jahren schneller als in allen anderen Altersgruppen. Die Haushaltsschulden eines typischen Haushaltes eines über 65-jährigen sind von 2000 bis 2011 um mehr als 50 Prozent angestiegen.

Die Bezüge aus Social Security und Medicare, den staatlichen Renten- und Gesundheitsprogrammen, werden gekürzt, obwohl sie ohnehin kaum ausreichen. Immer weniger Rentner haben sichere Renten. Viele müssen sich Geld leihen und zahlen Wucherzinsen an skrupellose Geldverleiher.

Die New York Times schrieb letzte Woche, dass Unternehmen, die Rentenvorschüsse zahlen, Zinsen zwischen 27 und 106 Prozent erheben. Laut dem Employee Benefit Research Institute haben ältere Haushalte im Jahr 2010 7,1 Prozent ihrer Einkommen ausgegeben, um Schulden abzuzahlen. Drei Jahre zuvor waren es noch 4,5 Prozent.

Wells Fargo meldete Anfang des Monats, dass die Zahl der älteren Arbeiter, die von ihren 401(k)-Rentenkonten Geld leihen müssen – und dafür Strafgebühren zahlen – Ende 2012 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 28 Prozent gestiegen ist.

Am unteren Ende des Altersspektrums sind die Bedingungen auch nicht besser. Fast sechzehn Millionen Kinder, oder 22 Prozent, leben laut dem National Center for Children in Poverty in Familien, deren Einkommen unterhalb der staatlichen Armutsgrenze liegt. Letzten Monat veröffentlichte der Kinderfonds der Vereinten Nationen einen Bericht, laut dem die USA in einem Ranking der Kinderarmut in den Industrienationen auf Platz 26 von 29 liegen, hinter Griechenland und noch vor Litauen, Lettland und Rumänien.

Jedes Jahr brechen 1,3 Millionen Schüler die High School ab. Laut dem National Center for Education Statistics ist die Zahl der armen Schüler, die den Abschluss nicht schaffen, sechsmal so hoch wie bei denen mit besser verdienenden Eltern.

College-Studenten müssen sich zunehmend mit Studiendarlehen belasten, die sie nie abbezahlen werden können. Zwischen 2003 und 2012 stieg die Zahl der 25-jährigen mit Schulden aus dem Studium von 25 auf 43 Prozent.

Angesichts von Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen werden für viele auch eine Ehe und der Kauf eines Hauses zu teuer. Die Zahl der Hausbesitzer ist auf den niedrigsten Stand seit achtzehn Jahren gesunken, der Anteil außerehelich geborener Kinder ist laut dem Census Bureau von 31 Prozent im Jahr 2005 auf 36 Prozent im Jahr 2011 gestiegen.

Im Bericht des Census Bureau hieß es: „Unehelich geborene Kinder leben eher in Armut und haben eher Entwicklungsprobleme.“ Im Jahr 2010 lebten laut dem Demos Project 42,3 Prozent aller Familien mit alleinstehenden Müttern in Armut.

Insgesamt liegt die Armutsrate bei schätzungsweise 16,1 Prozent. Das ist der höchste Stand seit 1965. Laut der zusätzlichen Armutsmessung des Census Bureau leben ganze 49,7 Millionen Menschen in den USA in Armut. Mehr als 48 Prozent der Bevölkerung sind arm oder „nahe an der Armut,“ d.h. sie verdienen weniger als doppelt soviel wie die offizielle Armutsgrenze.

Die Armut ist auch nicht auf Arbeitslose beschränkt. Laut einem Bericht des US Census Bureau, der letzten Monat veröffentlicht wurde, ist der Anteil der Erwerbsarmen an der Bevölkerung stark angestiegen – von 5,1 Prozent im Jahr 2006 auf sieben Prozent im Jahr 2011. Ein Viertel aller Armen, etwa 10,4 Millionen Menschen, ist beschäftigt.

Die meisten neuen Arbeitsplätze entstehen im schlecht bezahlten Dienstleistungsgewerbe. Sogar Industriearbeiter verdienen Niedriglöhne von teilweise zehn Dollar die Stunde – ein Armutslohn für eine vierköpfige Familie.

Die Folgen der Armut sind zahlreich. Laut einer aktuellen Studie haben in den USA 80 Millionen Erwachsene, etwa 43 Prozent der Gesamtbevölkerung, im Jahr 2012 keine medizinische Versorgung erhalten, weil sie sie sich nicht leisten konnten. Das ist eine schockierende Steigerung im Vergleich zum Jahr 2003 – damals waren es siebzehn Millionen.

Wachsende Armut und soziales Elend sind in den Massenmedien im Wesentlichen nicht vorhanden. Laut einer aktuellen Studie des Pew Research Center ging es nur in einem Fünftelprozent der Berichte in den amerikanischen Medien um Armut. „In keinem Jahr der Krise befasste sich auch nur ein Prozent aller Meldungen mit Armut,“ sagte Mark Jurkowitz, der leitende Direktor der Nieman Foundation der Harvard-Universität.

Früher wären solche Anzeichen für soziales Elend als nationale Schande betrachtet worden. Heute wetteifern Republikaner und Demokraten - und beiden voran die Regierung Obama - um die besten Wege, Social Security, Medicare und andere wichtige Sozialprogramme zu zerschlagen, anstatt Maßnahmen gegen die soziale Krise vorzuschlagen.

Es gibt eine tiefe und anschwellende Wut auf das ganze Gesellschaftssystem und eine herrschende Elite, die durch die Verarmung der breiten Masse der Bevölkerung reich wird. Diese Stimmung findet im Rahmen des bestehenden politischen Systems jedoch keinen Ausdruck.

Die wichtigste Frage in den kommenden Massenkämpfen gegen wirtschaftliche Unterdrückung ist der Aufbau einer revolutionären Führung, um die Bewegung mit einem bewussten sozialistischen und revolutionären Programm auszustatten. Das bedeutet den Aufbau der Socialist Equality Party und ihrer Jugendbewegung, der International Youth and Students for Social Equality.

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