Die Zahlen über den Zustand der europäischen Wirtschaft, die im Laufe der letzten Woche veröffentlicht wurden, sind nicht nur Ausdruck einer zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Krise. Sie haben eine tiefergehende historische Bedeutung und zeigen den Bankrott der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.
Der Internationale Währungsfonds sagt vorher, dass die gesamte Wirtschaft der Eurozone in diesem Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen und dass Frankreich nach Italien und Spanien als drittes großes Land in eine Rezession rutschen wird. Diese Kontraktion ist an sich schon bedeutend, aber die Tatsache, dass sie sich fast fünf Jahre nach der Finanzkrise ereignet, deutet auf wesentliche ursächliche Prozesse hin und zeigt: Die europäische Wirtschaft ist in einer zunehmenden Abwärtsspirale gefangen.
In Spanien liegt die Arbeitslosenquote mit 27 Prozent auf Depressionsniveau, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt sogar 57 Prozent. Mehr als sechs Millionen spanische Arbeiter sind ohne Job. In Frankreich ist die Zahl der Arbeitssuchenden, die im Vormonat nicht gearbeitet haben, auf 3,2 Millionen angestiegen. Insgesamt sind in der Europäischen Union 26 Millionen Menschen – zwölf Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung – ohne Beschäftigung.
In Großbritannien betrug das Wirtschaftswachstum im letzten Quartal nur 0,3 Prozent. Dieses Ergebnis ließ die herrschenden Kreise Großbritanniens zwar erleichtert aufatmen, denn Großbritannien konnte einen dritten wirtschaftlichen Abschwung in Folge vermeiden, aber die britische Wirtschaft liegt immer noch 2,6 Prozent unter den Vorkrisenwerten.
Großbritanniens Bruttoinlandsprodukt ist so tief und so lange gesunken wie seit einem Jahrhundert nicht mehr. In der Großen Depression, beim Abschwung der 1970er und in der Rezession Anfang der 1990er hatte vier Jahre nach Beginn der Krise längst ein neuer Wirtschaftsaufschwung eingesetzt.
Was noch wichtiger ist: Die wirtschaftlichen Prognosen für Europa verschlechtern sich. Der leitende Direktor des Internationalen Währungsfonds, David Lipton, warnte letzte Woche davor, dass Europa ein „Stagnationsszenario“ drohe: „Die Investitionen gehen zurück, die Arbeitslosigkeit steigt weiter, und die Finanzmärkte bleiben zersplittert.“
Die Lage in Europa ist jedoch nur der deutlichste Ausdruck des Zustands des Weltkapitalismus in seiner Gesamtheit. In den USA beträgt das Wirtschaftswachstum nur 2,5 Prozent, während die Arbeitslosenquote nahe am Depressionsniveau verharrt und Armut und soziale Ungleichheit zunehmen. Während die Federal Reserve Geld in die Finanzmärkte pumpt und die Gewinne der Unternehmen so steigert, sinken die Realeinkommen der Masse der Bevölkerung weiterhin.
Für die bürgerlichen Medien und ihre Sprachrohre und Experten ist die zunehmend schlechter werdende soziale Stellung der breiten Masse der Bevölkerung nur ein weiterer Ausdruck der „neuen Normalität.“ Keiner von ihnen hält es für nötig zu erklären, warum trotz der größten wissenschaftlichen und technischen Fortschritte der Geschichte immer größere Teile der Bevölkerung verarmen.
Karl Marx hat vor mehr als 160 Jahren die Bedeutung dieser Entwicklung vorhergesagt. Er erklärte, dieses Phänomen zeige, dass die Bourgeoisie nicht mehr in der Lage sei, die herrschende Klasse der Gesellschaft zu sein und der Gesellschaft ihre Existenzbedingungen als vorrangiges Gesetz aufzuzwingen.
IWF-Chefökonom Olivier Blanchard erklärte vor kurzem auf einem Forum in London, das von der Bank von England organisiert wurde, was er als Lehren aus der Krise bezeichnete. Es war ein Eingeständnis intellektuellen und politischen Bankrotts.
Blanchard gab zu, vom Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 völlig überrascht worden zu sein, da er glaubte, so etwas könne nicht mehr passieren. Er hatte die Verknüpftheit der Weltwirtschaft nicht berücksichtigt, die im Jahr 2009 zu einem Zusammenbruch des Welthandels führte.
Außerdem gab er zu, dass „die traditionellen Währungs- und Finanzwerkzeuge nicht ausreichen, um mit den speziellen Problemen des Finanzsystems fertig zu werden,“ und dass er unsicher sei, ob sogenannte makroprudenzielle Maßnahmen zur Regulierung des Finanzsystems tatsächlich funktionieren können.
Blanchard steht damit sicherlich nicht alleine da. Letzten September gestand Richard Fisher, ein Mitglied des Federal Open Market Committee angesichts der Entscheidung der Federal Reserve, ihre Politik der quantitativen Lockerung auszuweiten, dass „niemand wirklich weiß, womit sich die Wirtschaft wieder auf Kurs bringen lässt,“ und dass keine Zentralbank über Erfahrungswerte verfügt, um erfolgreich aus der aktuellen Lage herauszukommen.
Die gleiche Verwirrtheit zeigte sich bei einem Treffen hochrangiger Ökonomen, das der IWF nach seinem Frühjahrstreffen in Washington im letzten Monat einberief. Der Nobelpreisträger George Akerlof verglich die Wirtschaftskrise mit einer Katze, die auf einen Baum geklettert ist, aber nicht wieder herunterkommt und jetzt kurz vor dem Absturz steht. Ein anderer Ökonom erklärte, nach fünf Jahren sei es vielleicht Zeit, die Katze vom Baum zu holen; Nobelpreisträger Joseph Stiglitz erklärte: „Es gibt keine gute wirtschaftliche Theorie, die erklärt, warum die Katze immer noch im Baum sitzt.“
Der Bankrott der mittelalterlichen Scholastik und der feudalen Gesellschaftsordnung, auf der sie beruhte, zeigte sich in den Diskussionen darüber, wie viele Engel auf einem Nadelkopf tanzen können.
Wenn die Diskussionen der heutigen Theologen des Kapitalismus über Katzen auf Bäumen genauso lächerlich erscheinen, liegt das nicht an ihren Persönlichkeiten. Letzten Endes sind sie nicht in der Lage, die schwerste Krise seit einem Dreivierteljahrhundert zu erklären, weil die sozio-ökonomische Ordnung, die sie verteidigen, jeden weiteren historischen Fortschritt verhindert.
Die Ideologen der herrschenden Klasse benutzten zwar den Zusammenbruch der UdSSR, um das Ende des Sozialismus zu verkünden, aber die Ökonomen und Medienexperten sagen nichts über das Versagen des Kapitalismus.
Unter der Oberfläche ihrer Verwirrung verbirgt sich die wachsende Angst davor, dass dieser wirtschaftliche Zusammenbruch eine enorme Zunahme sozialer Auseinandersetzungen und heftiger Klassenkämpfe hervorbringen wird. Vor kurzem erschien in der Zeitschrift Time ein längerer Artikel, in dem auf Marx' Theorie hingewiesen wurde, dass das kapitalistische System die Massen der Welt unweigerlich in die Armut stürzen würde, da sich der Reichtum in den Händen einiger weniger gieriger Individuen konzentrieren würde, was zu Wirtschaftskrisen führen würde... Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass er möglicherweise recht hatte.“
Die zahlreichen Statistiken aus Europa und der Welt zeigen, dass der Kapitalismus in einer tödlichen Krise mit revolutionären Folgen steckt.
Die intellektuelle Desintegration der Verteidiger der bürgerlichen Ordnung zeigt, dass ein bewusster politischer Kampf der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines Programms des sozialistischen Internationalismus neue Wege eröffnen wird. Sie werden die Gesellschaft aus der Abwärtsspirale des sozialen Verfalls führen, der den Zusammenbruch des Profitsystems kennzeichnet.