Die Gewerkschaft IG Metall wirbt dafür, im Opel-Werk Bochum erneut über den sogenannten „Mastervertrag“ abstimmen zu lassen. Der Vertrag, der die Stilllegung des Bochumer Werks regelt und den Arbeitern Zugeständnisse bei Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen abverlangt, war Ende März von drei Vierteln der Bochumer Belegschaft abgelehnt worden.
Das Opel-Management reagierte auf die Ablehnung, indem es das Ende der Produktion in Bochum um zwei Jahre vorzog. Statt Ende 2016, wie im Mastervertrag vage in Aussicht gestellt, soll die Montage des Modells Zafira im Bochumer Werk nun schon Ende 2014 eingestellt werden.
Mitte vergangener Woche berichteten mehrere Medien über einen angeblichen Meinungswechsel in der Belegschaft. Sie beriefen sich dabei auf den Bezirksleiter der IG Metall in NRW, Knut Giesler, der behauptete, seine Gewerkschaft werde „von zahlreichen Mitgliedern bei Opel angesprochen, die zwischenzeitig das Verhandlungsergebnis neu bewerten“.
Die IG Metall, die den Mastervertrag ausgehandelt und in den Werken Rüsselsheim, Eisenach und Kaiserslautern durchgepeitscht hat, käme eine nachträglich Zustimmung in Bochum sehr gelegen. Die Stilllegung des Werks wäre dann vertraglich geregelt und die Belegschaft unterläge der Friedenspflicht.
Das Opel-Management lehnt bisher eine Neuabstimmung allerdings ab. Jede neue Diskussion koste nur „wertvolle Zeit“, schrieb der Bochumer Werksleiter Manfred Gellrich der Belegschaft. Auch aus der Opel-Zentrale in Rüsselsheim verlautete, eine erneute Abstimmung sei unsinnig. Das Management kündigte stattdessen an, neben der Autoproduktion mit 3.500 Arbeitsplätzen auch das Zentrallager mit 420 Arbeitsplätzen in Bochum stillzulegen, das Händler in ganz Europa mit Ersatzteilen versorgt. Opel würde sich damit ganz aus der Ruhrgebietsstadt zurückziehen.
Der Vorschlag für eine erneute Abstimmung kam ursprünglich von Bob King, dem Chef der amerikanischen Autoarbeitergewerkschaft UAW (United Auto Workers), der seit etwa einem Jahr auch im Aufsichtsrat von Opel sitzt. King meldete sich am Dienstag vergangener Woche im Handelsblatt zu Wort. Er erklärte, die frühzeitige Schließung des Bochumer Werks ließe sich „vielleicht noch abwenden“, und riet den Opel-Beschäftigten, den Mastervertrag doch noch zu akzeptieren.
Er behauptete, wenn das Werk länger offen bleibe, erhielten die Beschäftigten womöglich später ihre Jobs wieder, wenn die Wirtschaft wieder anziehe. Als Beleg für solch eine Möglichkeit verwies er auf das Schicksal eines Werks von General Motors im US-Bundesstaat Tennessee. Die UAW habe das für die Schließung vorgesehene Werk erfolgreich gerettet. „Die Opelaner in Bochum hätten dieselbe Chance, dies sei ihnen aber vielleicht gar nicht richtig bewusst“, sagte King laut Handelsblatt.
Details zu dem „Erfolg“ in Tennessee nannte er nicht. Wir fragten daher bei den WSWS-Redakteuren in den USA nach, was es mit der „Rettung des Werks“ in Tennessee auf sich hat. Die Fakten, die sie uns mitteilten, machen deutlich, worum es King und der IG Metall bei einer Neuabstimmung wirklich geht.
Nach der Insolvenz von GM und der Übernahme des Konzerns durch die US-Regierung im Jahre 2009 hatte GM den größten Teil seines Werks in Spring Hill, Tennessee, geschlossen. Rund 2.000 Arbeitsplätze wurden auf einen Schlag vernichtet.
Zwei Jahre später, 2011, unterzeichnete die UAW dann einen Vertrag mit GM, der neue Maßstäbe setzte. Über 1.200 Arbeiter wurden zurück in die Fabrik geholt. Doch der Vertrag beinhaltete „innovative Vereinbarungen für die Beschäftigten“, wie GM-Chef Dan Ammann betonte. Der Manager meinte damit, dass der Autokonzern von der Grenze beim Einsatz von Niedriglohnarbeitern befreit wurde.
Die Niedriglohnarbeit hatten die UAW und die US-Autokonzerne in Zusammenarbeit mit der Obama-Regierung vereinbart. Die Löhne für Neueingestellte wurden halbiert. Statt der alten Tariflöhne, die bei rund 30 Dollar liegen, erhielten sie im Rahmen eines „Zwei-Stufen-Lohnmodells“ nur noch 15 Dollar (ca. 11 Euro) die Stunde.
Im Werk Spring Hill in Tenessee können nun laut dem von der UAW vereinbarten Vertrag 100 Prozent der Belegschaft aus solchen Niedrigverdienern bestehen. Den höher bezahlten Arbeitern wurde ein Ultimatum gestellt, entweder ebenfalls auf die Hälfte ihres Lohns zu verzichten oder aber in ein anderes GM-Werk zu wechseln, das meist mehrere hundert Kilometer entfernt liegt – oder aber „freiwillig“ zu kündigen.
Mehr noch: Der Vertrag, den King als „Erfolg“ preist, erlaubt es GM Subunternehmen im Werk zu beschäftigen, deren Arbeiter gerade einmal 9 Dollar (unter 7 Euro) in der Stunde erhalten. Diese übernehmen die Produktion von Bauteilen und -gruppen sowie den innerbetrieblichen Transport.
Als die UAW 2009 erstmals einen derartigen Vertrag für ein Werk in Lake Orion, Michigan, abschloss, hatte King behauptet, er sei einmalig und mit den speziellen Bedingungen des Werks verknüpft. In Lake Orion werden Kleinwagen produziert. Die Einsparungen auf Kosten der Arbeiter sollten helfen, die Produktion von Kleinwagen aus Mexiko und Südkorea zurück in die USA zu holen.
Nur zwei Jahre später setzte die UAW im Werk Spring Hill, Tennessee, sowie in weiteren Werken, die vorher Mittelklasse-Wagen hergestellt hatten, auf dasselbe Modell. Sie bezeichnete das als Anreiz, die Werke wieder zu eröffnen.
Der Vertrag, den die UAW 2011 mit GM vereinbarte, enthielt neben den massiven Lohnsenkungen zusätzlich Rentenkürzungen und schlechtere Arbeitsbedingungen. Als Folge erhöhten sich die Arbeitskosten im anschließenden Jahr nur um 1 Prozent. Das war die geringste Steigerung seit rund 40 Jahren. King lobte den Vertrag, weil er „gutbezahlte Jobs“ in Amerika behalte.
Dass King diesen Vertrag nun als Vorbild für Bochum anpreist, zeigt, in welche Richtung IG Metall und Opel-Gesamtbetriebsrat gehen, mit denen King eng zusammenarbeitet. Sie wollen die Angst der Bochumer Arbeiter vor der Arbeitslosigkeit ausnutzen, um die Löhne massiv zu senken und ähnliche Lohnkürzungen auch an den anderen Standorten zu erzwingen.