Perspektive

Moskau wirft Obama in der Frage der Menschenrechte Heuchelei vor

Die Kritik der Obama-Regierung an den Menschenrechtsverletzungen der russischen Regierung ist ein Musterbeispiel für die Redensart „wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.“

Als Reaktion auf die Veröffentlichung der sogenannten Magnizki-Liste von personae non gratae durch Washington am letzten Freitag veröffentlichte die Regierung von Wladimir Putin passenderweise ihre eigene schwarze Liste, auf der nur einige der Namen der zahlreichen hochrangigen Kriegsverbrecher stehen, die in den letzten zwanzig Jahren hohe Stellungen in der US-Regierung inne hatten.

Die Erstellung der Magnizki-Liste ist nicht ohne Ironie: sie ist nach einem bisher obskuren Buchhalter und Buchprüfer benannt, der für Hermitage Capital gearbeitet hatte und in einem russischen Gefängnis gestorben ist. Der Vorsitzende dieser Firma, Bill Browder, war der Enkel von Earl Browder, dem ehemaligen Führer der Kommunistischen Partei der USA.

Die russischen Behörden warfen Browder vor, rechtswidrig Aktien des ehemals staatlichen Energieunternehmens Gasprom im Wert von etwa drei Milliarden Dollar erworben zu haben.

Die US-Regierung behauptet, Magnizki wäre verfolgt und im Gefängnis getötet worden, weil er Unterschlagung und Korruption von russischen Beamten aufgedeckt hätte.

Diese Erklärung von Magnizkis Tod lässt außer acht, dass er zum Zeitpunkt seiner Verhaftung für eines der erfolgreichsten Finanzunternehmen der Welt tätig war und Beziehungen zu den russischen Oligarchen hatte. Die Vermögen dieser obszön reichen und kriminellen Gesellschaftsschicht kamen vollständig aus dem hemmungslosen Diebstahl von Staatseigentum während der Wiedereinführung des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion. Dies geschah mit Washingtons voller Unterstützung.

Egal wie die Umstände von Magnizkis Tod sind – angeblich starb er entweder an fehlender medizinischer Behandlung im Gefängnis oder durch Gewalteinwirkung – die Intervention der USA ist völlig zynisch und doppelzüngig. Washington war in der Vergangenheit mehr als gewillt, bei noch größeren Verbrechen wegzuschauen, wenn sie ihren Interessen dienten. Beispielsweise als Boris Jelzin im Jahr 1993 die Bombardierung des russischen Parlamentsgebäudes, des Weißen Hauses, anordnete und dabei 1000 Todesopfer zu verantworten hatte.

Washington beruft sich auf die Menschenrechte, wenn es seinen Interessen im Konkurrenzkampf gegen einen geostrategischen Rivalen dient. In Wirklichkeit geht es nicht um Magnizki. Was die USA in diesem Falle unterstellen, passiert in den USA selbst täglich. Die Zahl der Gefängnisinsassen ist in den USA so hoch wie in keinem anderen Land, und im Durchschnitt sterben jedes Jahr etwa 7000 Menschen im Gefängnis, oft durch medizinische Nachlässigkeit und offene Brutalität.

Auf Moskaus schwarzer Liste stehen unter anderem die ehemaligen Regierungsbeamten David Addington, Stabschef von US-Vizepräsident Dick Cheney, und John Yoo, ehemaliger Berater des Justizministers am Office of Legal Counsel, (einer Behörde, die dem Justizministerium untergeordnet ist). Beiden wurden Kriegsverbrechen vorgeworfen, weil sie eine juristische Rechtfertigung für die Folter von Gefangenen im amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba und in den amerikanischen Geheimgefängnissen des US-Militärs und der CIA auf der ganzen Welt geschaffen zu haben.

Ebenfalls auf der Liste sind der ehemalige Generalmajor Geoffrey Miller, der Kommandant von Guantanamo und dem berüchtigten irakischen Gefängnis Abu Ghraib war, sowie Rear Admiral Jeffrey Harbeson, der ebenfalls Kommandant von Guantanamo war und seither Berater des Generalstabs in politischen und militärischen Fragen zu Russland ist.

Die Folter und Kriminalität, die man auf der ganzen Welt mit dem Namen Guantanamo in Verbindung bringt, geht bis heute weiter. Letzten Samstag verlegte militärisches Wachpersonal Gefangene im Hungerstreik mit Gewalt – unter anderem dem Einsatz von Gummigeschossen – aus den Gemeinschaftsunterkünften, in denen sie seit Jahren festgehalten wurden, in Isolationszellen.

Mit dem Hungerstreik, der am 10. Februar begann, protestieren die Gefangenen gegen die tägliche Brutalität und krasse Ungerechtigkeit, denen einige schon seit elf Jahren ausgesetzt sind, ohne Aussicht auf eine Anklage und einen Prozess zu haben, geschweige denn eine Freilassung. Es gab Versuche, den Streik durch Gewalt und Zwangsernährung zu brechen.

Samir Naji al Hasan Moqbel, ein Jemenit, der seit 2002 in Guantanamo sitzt, berichtete in einem Telefongespräch mit seinen Anwälten über sein Schicksal, der Inhalt des Gesprächs war am Montag in der New York Times zu lesen. Er beschrieb, dass zweimal täglich ein Trupp von acht Militärpolizisten in Nahkampfausrüstung in seine Zelle stürmt, seine Arme, Beine und Kopf an einen Stuhl fesselt, damit ihm durch die Nase eine Röhre für die Zwangsernährung in den Magen eingeführt werden kann, was ihm fürchterliche Schmerzen verursacht.

Er erklärte: „Die Situation ist jetzt verzweifelt... Alle Insassen leiden sehr. Mindestens 40 Menschen sind im Hungerstreik. Täglich brechen einige erschöpft zusammen. Ich habe Blut erbrochen.“

„Und es ist kein Ende unserer Haft in Sicht. Wir haben uns dazu entschlossen, Nahrung zu verweigern und täglich den Tod zu riskieren.“

Mindestens neun Gefangene sind in Guantanamo gestorben, einige davon durch die Folter, andere wurden in den Selbstmord getrieben. Scheinbar steigt diese Zahl.

Als Barack Obama im Jahr 2008 zum Präsidenten gewählt wurde, hatte er geschworen, Guantanamo innerhalb des ersten Jahres seiner Amtszeit zu schließen. Mehr als vier Jahre später besteht das Gefängnis nicht nur weiterhin, sondern die kriminellen Vorkommnisse darin wurden auch in amerikanischem Recht verankert.

Dass Guantanamo weiterhin besteht, ist ein Symbol dafür, wie die Obama-Regierung alle Verbrechen der Bush-Regierung fortsetzt und verschärft – Angriffskriege, Folter, die Ausweitung des Drohnen-Mordprogramms und seine Ausweitung auf amerikanische Staatsbürger.

Wenn die Prinzipien, nach denen die Nazi-Führung bei den Nürnberger Prozessen verurteilt wurde, heute noch gelten würden, würden alle, die auf Russlands schwarzer Liste stehen, und ihre (aus diplomatischen Erwägungen außen vor gelassenen) Vorgesetzten – Bush, Cheney, Rumsfeld, Rice, Powell und Tenet – wegen ihrer Verbrechen auf der Anklagebank sitzen. Stattdessen werden sie nicht nur nicht für ihre Verbrechen bestraft, sondern setzen sie fort.

Unter diesen Bedingungen ist es eine beispiellose Heuchelei, dass die Obama-Regierung über die Menschenrechtsverletzungen des russischen Regimes urteilt.

Die ganze Angelegenheit zeigt die Korruption und die Betrügereien, die Washingtons angeblicher Menschenrechtspolitik zugrunde liegen. Sie ist ein Werkzeug, das der US-Imperialismus selektiv benutzt, um Angriffskriege zu rechtfertigen und Regimes zu destabilisieren, die er als Hindernisse für seine geostrategischen Ambitionen und die Profitinteressen der amerikanischen Banken und Konzerne sieht.

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