Brutale Ausbeutung von Arbeitsmigranten in Russland

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat Anfang Februar einen Bericht veröffentlicht, der die kriminelle Ausbeutung von Arbeitsmigranten bei den Vorbereitungen zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 dokumentiert.

Russland bereitet sich seit Jahren auf die Olympischen Winterspiele in der Stadt Sotschi am Schwarzen Meer vor. Zehntausende von Arbeitern, darunter rund 16.000 Arbeitsmigranten, bauen Luxushotels und die notwendige Infrastruktur für die Spiele auf. Da ein Großteil der Gelder in die Taschen von korrupten Bürokraten und Businessleuten fließt, werden es die wohl teuersten Spiele aller Zeiten sein. Im Februar erklärte der Kreml, die Gesamtkosten für die Spiele lägen bei rund 50 Mrd. US-Dollar, fast fünf Mal mehr als ursprünglich geplant.

Wie der Bericht von Human Rights Watch deutlich macht, sehen die Arbeiter, die die Hotels und Sportanlagen bauen, praktisch nichts von diesem Geld. Der gesamte Luxus wird auf dem Rücken zehntausender wehrloser Arbeiter errichtet.

Die Organisation hat 66 Arbeiter aus Osteuropa, den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und armen Regionen in Russland befragt, die zum Geldverdienen nach Sotschi gekommen waren. Die meisten der interviewten Arbeiter waren Holzfäller, Schweißer und Schlosser. Das Durchschnittsgehalt beträgt bei solchen Berufen für Migrantenarbeiter 55 bis 80 Rubel (1,80 bis 2,60 US-Dollar) pro Stunde, was etwa 14.000 bis 19.000 Rubel (450 bis 600 US-Dollar) im Monat entspricht.

Keiner der interviewten Arbeiter bekam das vertraglich festgelegte Gehalt. Viele erhielten monatelang überhaupt kein Geld, manche arbeiteten ganz umsonst. Eine Gruppe von Arbeitern bekam ein halbes Jahr lang kein Geld. Wenn überhaupt, erhielten die Arbeiter ihr Gehalt nur unregelmäßig und auch dann selten die volle Summe.

Human Rights Watch zitiert einen Arbeiter aus Usbekistan, der sich ohne Vertrag mit seinem Arbeitgeber auf ein monatliches Gehalt von 24.000 Rubel (700 US-Dollar) geeinigt hatte: „Der Arbeitgeber gab uns manchmal kleinere Geldsummen, 200 Rubel oder 500 Rubel, einmal auch 1.400 Rubel für Zigaretten, Telefon, anfallende Kleinigkeiten. Ich habe fast drei Monate lang gearbeitet, andere arbeiteten für fünf Monate – für nichts. Für nichts als Versprechen, Versprechen von denen.“

Mehrere Arbeiter berichteten zudem, dass ihnen keine Arbeitserlaubnis beschafft und zu Beginn vom Arbeitgeber die Pässe gestohlen wurden. So waren sie erzwungenermaßen „illegal“, konnten nicht weggehen und mussten arbeiten in der Hoffnung, irgendwann Geld zu bekommen und ihre Dokumente wiederzusehen.

Zwei Bauarbeiter aus der Ukraine, Maxim und Jaroslaw, waren im März 2012 nach Sotschi gekommen und arbeiteten an der Unterkunft für Medienvertreter. Maxim erzählte: „Wir haben keine Verträge und keine Arbeitserlaubnis. Sie haben unsere Pässe weggenommen. Sie haben versprochen, uns mit der Arbeitserlaubnis zu helfen, aber wir haben nichts bekommen. Alles, was ich an offiziellen Dokumenten habe ist ein Pass, um die Baustelle zu betreten. Wir sind über 2.000 Kilometer hierher gereist und in einem totalen Schlamassel gelandet.“

Zwei Arbeiter aus Serbien berichteten ebenfalls, dass ihnen ihre Pässe für mehrere Monate weggenommen wurden und sie gleichzeitig kein Gehalt bekamen. Radmilo Petrovic sagte: „Die Situation war schlimm, weil sie nicht regelmäßig das Gehalt oder überhaupt kein echtes Geld ausgezahlt haben. Aber ich konnte nichts machen, weil sie meinen Pass hatten und ich kein Geld hatte. Ich hatte kein Wahl, als einfach weiter zu arbeiten.“

Fast alle befragten Arbeiter gaben an, an sieben Tage in der Woche zwölf Stunden gearbeitet zu haben. Einen freien Tag gab es höchstens alle 14 Tage. Manche arbeiteten monatelang ohne freien Tag durch. Die freien Tage verbrachten die meisten Arbeiter schlafend, weil sie von der Arbeit vollkommen erschöpft waren.

Salimjon, ein 22-jähriger Arbeiter aus Usbekistan, schilderte die schweren Arbeitsbedingungen: „Die Arbeit ist wirklich sehr schwer. Wir haben keine Pausen. es ist sehr hart. Die Bezahlung ist miserabel, aber was kann ich tun? Wir versuchen alle nur, irgendwie über die Runden zu kommen. Die geben uns nicht einmal eine Minute Zeit, um eine Zigarette zu rauchen oder auszuruhen.“

Die Essensversorgung war laut den Arbeitern sehr schlecht. Sie bekamen hauptsächlich Reis, wenig Fleisch und so gut wie kein Gemüse oder Obst. Gemessen an der schweren körperlichen Arbeit, die sie leisten müssten, sei das Essen nicht ausreichend, meinten sie.

Die Unterbringungen der Arbeiter sind überfüllt und unhygienisch. Bis zu 200 Menschen werden in einem Einfamilienhaus untergebracht. In einem Zimmer wohnen meistens rund ein Dutzend Arbeiter, manchmal auch mehr. Ein Arbeiter aus Tadschikistan lebte in einem Haus mit 200 weiteren Arbeitern, denen nur eine einzige Toilette zur Verfügung stand. In einem Zimmer waren 16 Menschen eingepfercht. Manche Arbeiter werden auch in Fabrikhallen untergebracht.

Als eine Gruppe von elf serbischen Arbeitern wegen der unhaltbaren Arbeits- und Lebensbedingungen in Streik ging, wurde ihnen angedroht, dass sie kein Essen mehr bekommen. Radmilo Petrovic aus Serbien berichtete: „Sie drohten uns, dass wir keinen Zugang zur Kantine und keine Essensscheine mehr kriegen. Da wir überhaupt nicht viel Geld bekamen, war das eine ernsthafte Drohung für uns.“ Als die Arbeiter sich bei der Arbeitsaufsichtsbehörde in Sotschi beschwerten, hieß es: „Ihr könnt nach Hause gehen, wenn ihr wollt!“

Die Zustände, die der Bericht von Human Rights Watch offen legt, sind keine Ausnahme, sondern die Regel.

Die kriminelle Ausbeutung von Arbeitsmigranten ist nur der krasseste Ausdruck der sozialen und wirtschaftlichen Krise, die durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die kapitalistische Restauration geschaffen wurde. Die Weltwirtschaftskrise, die alle diese Länder besonders stark getroffen hat, hat die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise weiter verschärft.

Die katastrophalen Zustände zwingen Millionen Arbeiter, ihr Geld in Ländern wie Russland, Kasachstan oder Aserbaidschan zu verdienen, die durch Rohstoffexporte in den 2000er Jahren einen relativen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt haben. Das Geld, das die Arbeiter aus dem Ausland an ihre Familien zu Hause schicken, macht in Usbekistan rund 16,3 Prozent und in Tadschikistan 47 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus.

Russland hat mit geschätzten 15 Millionen Menschen nach den USA die weltweit größte Zahl an Arbeitsmigranten. Laut der OECD leben in Russland mehr illegale Immigranten als irgendwo sonst auf der Welt. Sie machen insgesamt fast 7 Prozent der arbeitenden Bevölkerung aus. Wie der Bericht von Human Rights Watch deutlich macht, werden nicht wenige von ihnen durch ihre Arbeitgeber bewusst in die Illegalität getrieben.

Die Arbeitsmigranten sind der schwächste und am stärksten unterdrückte Teil der post-sowjetischen Arbeiterklasse. Sie haben keinerlei sozialen Rechte und sind ihren Arbeitgebern auf Gedeih und Verderben ausgeliefert.

Immer wieder kommt es in Russland zu Fabrikunfällen und Feuern. Besonders häufig kommen dabei Migranten ums Leben. Erst Anfang des Jahres starben wieder zehn Bauarbeiter aus Tadschikistan bei einem Brand in ihrer Unterkunft in Moskau. Sieben weitere wurden verletzt. In Tadschikistan kommen täglich drei Särge aus Russland mit Arbeitern an, die wegen der katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen ums Leben gekommen oder Opfer rassistischer Attentate geworden sind. Insgesamt starben im letzten Jahr 1.055 tadschikische Arbeiter in Russland – fast 180 mehr als im Vorjahr.

Angesichts der wachsenden sozialen Spannungen hat der Kreml die rassistische Propaganda in den Medien verstärkt. (Siehe: „Russische Regierung geht schärfer gegen Arbeitsmigranten vor“) Faschistische Bürgerwehren wie die „SwjetlajaRus‘“ (Lichte Rus) arbeiten mit der Polizei und Regierungsorganen zusammen. Die stalinistische KPRF, die größte Oppositionspartei in der Duma, hat mit einer positiven Berichterstattung für diese Gruppe Werbung gemacht. Die Stadt Moskau, wo schätzungsweise 2 Mio. Arbeitsmigranten leben, hat im Februar angekündigt, eine Bürgerwehr von mehr als 300 Mann aufzubauen, die in allen Stadtteilen regelmäßig patrouillieren und Jagd auf „illegale“ Migranten machen soll.

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