Bundesregierung plant massive Einschränkung der Prozesskostenhilfe

Die deutsche Bundesregierung plant, die Prozesskostenhilfe massiv einzuschränken und das Recht auf juristische Beratungshilfe zu streichen. Dies geht aus einem Gesetzentwurf von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hervor, der am Donnerstag im Bundestag vorgestellt wurde.

Eine Einschränkung der Prozesskostenhilfe hätte für Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger, die vor Gericht ihre Rechte geltend machen wollen, unkalkulierbare finanzielle Folgen. Praktisch wäre die Umsetzung des Gesetzentwurfs eine weitere Vertiefung der Zwei-Klassen-Justiz.

Die Prozesskostenhilfe (PKH) existiert in der bisherigen Form seit 1981. Sie löste seinerzeit das so genannte „Armenrecht“ ab und sollte für „Waffengleichheit im Prozess“ sorgen. Für Menschen mit geringem Einkommen sowie für Hartz-IV-Empfänger kann die PKH die Anwalts- und Gerichtskosten übernehmen und sie damit in die Lage versetzen, ihre Rechte zu verteidigen bzw. einzuklagen.

Je nach finanzieller Lage der Betroffenen muss ein Teil der PKH anschließend in Raten zurückgezahlt werden. Im Jahr 2010 betraf dies nicht einmal jeden zehnten Fall. Die PKH kann bei Fällen vor Zivil-, Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialgerichten beantragt werden.

Die PKH soll die so genannte Rechtsschutzgleichheit sichern, die als Grundrecht in der Verfassung verankert ist: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, heißt es in Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Der Gesetzentwurf des Justizministeriums hebt diese – ohnehin nur formale – Gleichheit nun praktisch auf. Gleich an mehreren Stellen sollen die Rechte der Betroffenen massiv eingeschränkt werden.

Zuallererst sieht der Entwurf vor, die bisherigen Freibeträge abzusenken, nach denen geregelt wird, ob dem Betroffenen überhaupt Prozesskostenhilfe zusteht und – falls genehmigt – ob und wie viel zurückgezahlt werden muss. 126.000 Menschen sollen unmittelbar davon betroffen sein und könnten in Zukunft keinerlei finanzielle Hilfe vor Gericht bekommen.

Zudem soll die Höchstdauer für die Ratenzahlung verlängert werden. Musste ein Betroffener bisher damit rechnen, bis zu vier Jahre lang seine Raten zurückzahlen zu müssen, kann dieser Zeitraum nun um weitere zwei Jahre verlängert werden. Auch die Raten selbst sollen neu berechnet werden und den Antragsteller in Zukunft stärker belasten

Dies betrifft nicht etwa nur Fälle, in denen die Antragsteller ihren Prozess verlieren. Selbst wenn der Betroffene den Fall gewinnt, kann er zu einer jahrelangen Rückzahlung der Prozesskostenhilfe verpflichtet werden, wie das Magazin Monitor berichtet.

Doch die Einschränkungen gehen noch weiter. Die juristische Beratungshilfe, für unzählige mittellose Menschen die einzige Möglichkeit einer rechtlichen Beratung, soll in Zukunft abgeschafft werden. Dies würde dazu führen, dass gerade die ärmsten Schichten der Bevölkerung faktisch keine Möglichkeit mehr hätten, ihre Rechte juristisch einzuklagen – schon deshalb, weil sie nicht einmal die Chance hätten, ihre rechtliche Lage fachlich korrekt einschätzen zu lassen. Einen eigenen Anwalt zu bezahlen ist für Hunderttausende finanziell schlichtweg unmöglich.

Das Justizministerium begründet seinen Entwurf mit Kosteneinsparungen. So sollen in den zuständigen Landeshaushalten jährlich insgesamt 64,8 Millionen Euro durch Kürzungen bei der PKH eingespart werden. Weitere sechs Millionen Euro sollen durch die Streichung der Beratungshilfe wegfallen. Auch die Kosten für 10.000 Anwälte pro Jahr sollen eingespart werden.

Im Vergleich zu den Bankenrettungspaketen, in deren Rahmen Hunderte Milliarden Euro innerhalb weniger Tage auf die Konten der Finanzaristokratie überwiesen wurden, wirken solche Einsparungen wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Umso mehr verdeutlicht das Vorhaben den Klassencharakter der Bundesregierung. Sie ist bereit, für ein paar Millionen Euro ein Grundrecht über Bord zu werfen, indem sie den ärmsten Teilen der Bevölkerung die Möglichkeit nimmt, sich vor Gericht ihr Recht zu erstreiten bzw. sich zu verteidigen.

Dabei sind die Ausgaben für die Prozesskostenhilfe seit 2005 nur minimal gestiegen, wie tagesschau.de berichtet; und dies obwohl die Zahl der Anspruchsberechtigten wegen der steigenden Armut deutlich zugenommen hat.

Gegenüber Monitor behauptete das Justizministerium, der Entwurf führe „zu keinen einschneidenden Einschränkungen bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe“. Der Zugang zu deutschen Gerichten werde nicht erschwert. Im selben Atemzug bestätigte das Ministerium aber das Gegenteil. Es erklärte, neben der Kostenreduzierung sei ein Ziel der Reform die Einschränkung von „Missbrauch“ und „Mutwilligkeit“ bei Prozesskosten- und Beratungshilfe.

Schon bisher ist es nicht leicht, Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen. Zunächst hat der Betroffene eine „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ abzugeben. Dazu gehört eine umfangreiche Auskunft über das gesamte Vermögen und persönliche Besitztümer.

Erst wenn der Antragsteller seine Armut nachgewiesen hat, findet im Rahmen der Beantragung eine inhaltliche Vorprüfung des Falles statt. Die Prozesskostenhilfe wird dann nur bei Aussicht auf hinreichenden Erfolg gewährt. Sollte ein erfolgreicher Ausgang vor Gericht ungewiss oder gar unwahrscheinlich sein, wird der Antrag abgelehnt. Eine garantierte Gelegenheit, seine Rechte durchzusetzen, hat der Antragsteller also ohnehin nicht.

Dem neuen Gesetzesentwurf zufolge ist ein Antrag auf Rechtshilfe bereits dann mutwillig, „wenn Beratungshilfe in Anspruch genommen wird, obwohl ein Rechtsuchender, der keine Beratungshilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände der Rechtsangelegenheit davon absehen würde, sich auf eigene Kosten rechtlich beraten oder vertreten zu lassen.“ (neue Fassung: Beratungshilfegesetz § 1 Abs. 3)

Das führt das Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz ad absurdum. Die persönlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten werden zum Maßstab gemacht, ob jemand seine Rechte vor Gericht tatsächlich durchsetzen kann, wobei für Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger das Konstrukt eines „vernünftigen bemittelten Rechtsuchenden“ als Maßstab herhalten muss. Damit ist ein rational abwägender Bürger gemeint, der finanziell in der Lage ist, seine Rechte vor Gericht ohne staatliche Unterstützung geltend zu machen.

Dass es grundsätzlich jedem zustehen sollte, seine Grundrechte zu verteidigen – völlig unabhängig von der individuellen wirtschaftlichen Lage –, ist im bürgerlichen Recht und unter den Voraussetzungen sozialer Ungleichheit nicht vorgesehen.

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