Perspektive

Amerikanischer Ex-Präsident nennt Obama Mörder

Am Montag veröffentlichte die New York Times eine Kolumne von Jimmy Carter. Darin erhebt der 39. Präsident der Vereinigten Staaten ganz außergewöhnliche Vorwürfe gegen die Obama-Regierung. Carter wirft der Regierung Mordanschläge und die kriminelle Verletzung internationalen Rechts und der amerikanischen Verfassung vor.

Unter der Überschrift “Eine grausame und ungewöhnliche Bilanz” schreibt Carter: “Enthüllungen, dass höchste Vertreter des Staates Mordanschläge im Ausland, darunter auch gegen amerikanische Staatsbürger, befehlen, sind der jüngste verstörende Beleg, wie weit die Menschenrechtsverletzungen durch unser Land schon reichen.“

Carter bezieht sich auf die berüchtigten Bestimmungen des National Defense Authorization Act (NDAA), der am 31 Dezember letzten Jahres von Obama unterzeichnet wurde und schreibt: „Neue Gesetze legalisieren das Recht des Präsidenten, eine Person dauerhaft einzusperren allein aufgrund des Verdachtes der Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation oder damit ‘in Verbindung stehender Kräfte’. Das ist eine sehr weitgefasste, vage Vollmacht, die ohne wirkungsvolle Aufsicht durch Gerichte oder den Kongress leicht missbraucht werden kann.“ Dann spricht er „die beispiellose Verletzung unserer Rechte“ durch Abhören ohne Gerichtsbeschluss und das systematische Sammeln elektronischer Daten an.

Weiter spricht der Ex-Präsident dann über die amerikanischen Angriffe mit Drohnen und fügt hinzu: “Trotz der willkürlichen Regel, jeden, der bei einem Drohnen-Angriff getötet wird, zu einem feindlichen Terroristen zu ernennen, wird der Tod unschuldiger Frauen und Kinder als unvermeidlich billigend in Kauf genommen… Wir wissen nicht, wie viele hundert unschuldige Zivilisten bei diesen Angriffen getötet wurden, die alle von den höchsten Stellen in Washington genehmigt worden waren. So etwas wäre früher undenkbar gewesen.“

Carters Kolumne erschien am gleichen Tag, an dem der pakistanische UN-Botschafter vor der UN-Menschenrechtskommission aussagte. Er verurteilte die amerikanischen Drohnen-Angriffe in seinem Land, bei denen „Tausende unschuldige Menschen, darunter Frauen und Kinder, ermordet wurden“. Er sagte, dass 2010 allein 957 Pakistaner getötet worden seien.

Carter verurteilt die Regierung auch wegen der Aufrechterhaltung des Gefangenenlagers Guantánamo Bay auf Kuba, wo „die Hälfte der noch 169 Gefangenen eigentlich entlassen werden sollen, aber wenig Aussicht haben, jemals wieder die Freiheit zu erleben“, und andere „keine Aussicht haben, jemals angeklagt oder vor Gericht gestellt zu werden“.

In den wenigen Fällen, in denen Gefangene vor Militärtribunale gezerrt wurden, seien die Angeklagten “mehr als einhundert Mal durch Waterboarding gefoltert worden, mit halbautomatischen Waffen, Elektrobohrern oder der Drohung eingeschüchtert worden, dass ihre Mütter sexuell missbraucht würden.“ Er fährt fort: „Erstaunlicherweise können diese Tatsachen vom Angeklagten nicht zu seiner Verteidigung vorgebracht werden, weil die Regierung sich darauf beruft, dass diese Taten im Namen der „nationalen Sicherheit“ geschahen.

Abgesehen von den moralischen Skrupeln, die den Ex-Präsidenten plagen – und es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass sie in Carters Fall eine bedeutsame Rolle spielen –, macht er sich große Sorgen über den Schaden, den dieses offen kriminelle Vorgehen der amerikanischen Regierung der amerikanischen Außenpolitik zufügt. Nicht nur heizen diese Methoden weltweit die Feindschaft der Massen an, sie rauben Washington auch die Fähigkeit, seine Politik mit dem Mantel der Menschenrechte und der Verteidigung der Demokratie zu verbrämen. Diese Methode hat der US-Imperialismus seit seinem Auftritt auf der internationalen Bühne am Ende des 19. Jahrhunderts recht wirkungsvoll eingesetzt.

Carter selbst spielte während seiner Präsidentschaft bewusst die “Menschenrechtskarte”, sogar als seine Regierung das Folterregime des Schahs im Iran zu stützen versuchte, den von der CIA unterstützten islamistischen Aufstand in Afghanistan initiierte und die „Carter-Doktrin“ verkündete, mit der USA das Recht für sich reklamierten, ihre Vorherrschaft über die Ölversorgung aus dem Persischen Golf mit militärischer Gewalt zu sichern.

Carter war früher ein hoher Marineoffizier und U-Bootexperte. Er wurde 1977 ins Weiße Haus gebracht, um die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der amerikanischen Präsidentschaft nach dem Debakel des US-Imperialismus in Vietnam und den kriminellen Machenschaften im Umfeld des Watergate Skandals wiederherzustellen.

Aber vier Jahrzehnte später gehen die verfassungswidrigen Methoden und die kriminelle Energie im Weißen Haus viel weiter, als alles, was unter Richard Nixon getan wurde.

Ohne Zweifel hat Carter jedes seiner Worte in der Kolumne sorgfältig abgewogen und jede Übertreibung gemieden. Er spricht sogar den Namen Obamas nicht einmal aus. Aber im ersten Wort seiner Kolumne fügte er einen Link zu dem ausführlichen Artikel in der New York Times vom 1. Juni ein, der dokumentiert, wie Obama persönlich die Erstellung der „Todesliste“ leitet, die Opfer auswählt und Drohnenangriffe genehmigt, wenn davon auszugehen ist, dass auch unschuldige Zivilisten getötet werden.

In diesem Zusammenhang hat Carters Verwendung des Wortes “Mordanschläge“ als Bezeichnung für die Drohnenangriffe, eine unmissverständliche Bedeutung. Dieser ehemalige Präsident sagt, dass der Präsident der Vereinigten Staaten Kriegsverbrechen und Morde begeht.

Mit seinen 88 Jahren steht Carter über dem Tagesgeschehen und ist eher an seiner Position in der Geschichte interessiert als an politischem Vorteil. Sein Zeugnis ist umso bemerkenswerter, als er das gleiche Amt bekleidet hat, wie Obama, Mitglied der gleichen Partei ist und sich für Obamas Wahl eingesetzt hat.

Was mag ihn getrieben haben, nur vier Monate vor der Präsidentschaftswahl, einen solchen Angriff gegen den Kandidaten seiner Partei und amtierenden Präsidenten zu fahren? Er muss glauben, dass die politischen Verhältnisse in Amerika so tief in Kriminalität versunken sind und die Gefahr eines Polizeistaats so groß ist, dass er sich verpflichtet sieht, seine Stimme zu erheben.

Carter macht bezeichnenderweise den Punkt, dass diese kriminellen Handlungen die Unterstützung „beider Parteien in der Exekutive und der Legislative“ genießen und praktisch „nirgendwo Widerspruch erregt haben“. Und wie um seinen Punkt zu unterstreichen, ist seine Kolumne, die eine explosive politische Bedeutung besitzt, in den Massenmedien weitestgehend mit Schweigen übergangen worden.

Zwölf Jahre nach der gestohlenen Präsidentschaftswahl von 2000 ist die zentrale Lehre jenes Ereignisses noch einmal dick unterstrichen worden: Es gibt in der Wirtschaftselite und dem politischen Establishment keine nennenswerte Unterstützung mehr für die Verteidigung demokratischer Rechte und verfassungsgemäßer Verfahren.

Die beispiellose Kluft zwischen der herrschenden Finanzoligarchie und der Masse der arbeitenden Bevölkerung, die in dieser Zeit unaufhaltsam gewachsen ist, ist mit solchen Rechten und Verfahren unvereinbar.

Carters Worte sind eine Warnung. Die Gefahr eines Polizeistaats in Amerika und mörderischer Methoden des US-Imperialismus gegen die Arbeiterklasse im eigenen Land und weltweit sind real und nehmen zu. Die Arbeiterklasse muss sich entsprechend vorbereiten und ihre unabhängige politische Stärke gegen das kapitalistische Profitsystem mobilisieren, das diese Gefahren hervorbringt.

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