Das griechische Parlament hat am Mittwoch mit den Stimmen der sozialdemokratischen Pasok-Partei ein weiteres Sparpaket verabschiedet. Das Votum kennzeichnet einen politischen Wendepunkt für ganz Europa.
Kein ernsthafter Ökonom zweifelt daran, dass die Sparmaßnahmen den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten um Jahrzehnte zurückwerfen werden. Bereits das erste, im vergangenen Jahr verabschiedete Sparpaket hatte die Gehälter im öffentlichen Dienst, die Renten und andere Sozialleistungen massiv gekürzt, die Mehrwertsteuer erhöht und damit eine tiefe Rezession und einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgelöst.
Nun werden bis 2015 zusätzliche 28 Milliarden Euro eingespart. Das sind in dem Elf-Millionen-Einwohner-Land 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Deutschland entspräche dies einem Sparvolumen von 300 Milliarden Euro, in den USA von 1.700 Milliarden Dollar. Weitere 50 Milliarden Euro werden durch die Privatisierung von Staatsunternehmen aufgebracht.
Das neue Sparprogramm sieht unter anderem 150.000 Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst, Einsparungen bei Sozialausgaben und im Gesundheitsbereich sowie massive Steuerhöhungen für mittlere Einkommen vor. Die Mehrwertsteuer für Gaststätten und Restaurants wird von 13 auf 23 Prozent erhöht. In Griechenland, dessen Wirtschaft stark von kleinen Familienunternehmen geprägt ist, wird dies für Tausende den Ruin bedeuten und die Rezession weiter vertiefen.
Selbst Wolfgang Münchau, führender Kolumnist der Financial Times und bisher Befürworter der Sparmaßnahmen, gelangt zum Schluss, eine derartige Austeritätsstrategie sei „finanziell unbesonnen und politisch unverantwortlich“. In seiner derzeitigen Form könne das Programm „politisch, ökonomisch und moralisch kaum gerechtfertigt werden“, schreibt er.
Trotzdem hat die Europäische Union massiven Druck auf das griechische Parlament ausgeübt, das Programm anzunehmen. Wirtschaftskommissar Olli Rehn drohte offen mit dem Staatsbankrott, falls das Sparpaket abgelehnt werde. „Der einzige Weg, um eine unmittelbare Pleite zu vermeiden, ist, dass das griechische Parlament das Sanierungspaket annimmt“, sagte er in einer Erklärung. „Es gibt keinen Plan B zur Vermeidung der Pleite. Das sage ich an jene, die über andere Optionen spekulieren, ganz klar.“
Ministerpräsident Giorgos Papandreou hatte seinerseits Tage darauf verwendet, abtrünnige Abgeordnete durch politische Manöver und Einzelgespräche zum Einlenken zu bewegen. Während die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung das Sparpaket ablehnt, ein zweitägiger Generalstreik das Land lahmlegte und vor dem Parlament Zehntausende protestierten, stimmten schließlich alle bis auf einen Pasok-Abgeordneten sowie eine Vertreterin der oppositionellen Nea Dimokratia für das Gesetz.
Das ganze Verfahren hatte eindeutig diktatorische Züge. Selbst die konservative griechische Tageszeitung Kathimerini gelangte zum Schluss: „Wir haben es nicht mehr mit einer Demokratie zu tun… Das ganze Land ist zur Provinz eines ökonomischen, und nicht politischen Reichs geworden, das wiederum von mehreren gierigen Investmentfirmen und Ratingagenturen mit ungeheuerlicher Macht erpresst wird.“
Die Finanzmärkte und Börsen reagierten entsprechend positiv auf das Abstimmungsergebnis. Sie interpretieren die Zustimmung des griechischen Parlaments als Signal, dass sie nun auch in anderen europäischen Ländern mit gleicher Brutalität gegen die Arbeiterklasse vorgehen können. In Portugal, Irland, Spanien und Großbritannien sind entsprechende Sparprogramme bereits auf den Weg gebracht worden. Als nächstes stehen Italien, Frankreich und schließlich auch wohlhabendere Länder wie Deutschland auf der Tagesordnung.
Zweieinhalb Jahre nachdem der Kollaps der US-Bank-Lehman Brothers die größte internationale Finanzkrise seit den 1930er Jahren ausgelöst hat, ist das internationale Finanzkapital dabei, die Billionensummen, die zur Rettung der Banken ausgegeben wurden, auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung wieder hereinzuholen. Es plant eine soziale Konterrevolution, die alle nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpften sozialen Errungenschaften rückgängig macht.
In den USA sind Lohnsenkungen von 50 Prozent und drastische Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben verschuldeter Staaten wie Kalifornien und Wisconsin längst an der Tagesordnung. Wer dachte, Europa sei aufgrund seiner sozialstaatlichen Traditionen gegen solche Exzesse gefeit, wird nun eines Besseren belehrt. Der Euro, der vor zwei Jahrzehnten eingeführt und als Garant für eine prosperierende Zukunft gepriesen wurde, erweist sich nun als Mechanismus zur Zerschlagung des Lebensstandards der Arbeiterklasse. Der Begriff „Rettung des Euro“ ist zum Synonym für Austerität und gesellschaftlichen Niedergang geworden.
Für die europäische Arbeiterklasse müssen die Ereignisse in Griechenland eine Warnung sein. Es ist notwendig, daraus die politischen Lehren zu ziehen. Ohne die Unterstützung der Gewerkschaften und angeblich „linken“ Parteien hätten sich Papandreou und seine internationalen Hintermänner niemals durchsetzen können.
Auf europäischer Ebene gab es überhaupt keine Solidarität mit den griechischen Arbeitern. Die sozialdemokratischen Parteien haben die Forderungen der EU voll unterstützt und die Hetzkampagne gegen die angeblich „faulen Griechen“ mitgetragen. Dasselbe gilt für die europäischen Gewerkschaftszentralen, aus denen kein Wort der Solidarität kam.
In Griechenland selbst haben die eng mit der Pasok verbundenen Gewerkschaften die massive Opposition gegen die Sparmaßnahmen gezügelt und unter Kontrolle gehalten. Sie organisierten 15 Proteststreiks um Dampf abzulassen, die alle auf einen Tag beschränkt waren, weil sie genau wussten, dass die Regierung einem unbefristeten Generalstreik nur wenige Tage standhalten könnte.
Die zahlreichen pseudolinken Organisationen des Landes – wie Syriza, Antarsia, usw. – verteidigten die Gewerkschaften und versteckten sich hinter dem angeblich „unpolitischen“ Charakter der „Empörten“ vom Syntagma-Platz, die jede Diskussion über revolutionäre Perspektive unterdrückten. Die Forderung nach einer Ablehnung der Schulden blieb ebenso tabu wie die nach einer Arbeiterregierung. Stattdessen schürten sie die Illusion, Papandreou und die EU könnten durch Druck von der Straße zu einer anderen Politik gezwungen werden.
Die soziale Konterrevolution, die in Griechenland begonnen hat, kann nur durch eine unabhängige politische Offensive der Arbeiterklasse gestoppt werden. Ein- oder zweitägige, sorgfältig orchestrierte Generalstreiks sind dazu ebenso wenig in der Lage, wie politischer Druck auf die Regierung.
Es gibt keine Lösung der Krise im Rahmen des Kapitalismus. Die griechische Bourgeoisie ist aufs engste mit dem internationalen Finanzkapital verbunden. Die Ablehnung der Sparmaßnahmen durch die Nea Dimokratia ist völlig zynisch. Wäre sie an der Macht, hätte sie genauso gehandelt wie Pasok. Dasselbe gilt für die „linken“ bürgerlichen Organisationen, deren internationalen Schwesterparteien (Rifondazione Comunista in Italien, die Linkspartei in Deutschland, die Kommunistische Partei in Frankreich) ähnliche Sparprogramme unterstützt haben, als sie an der Regierung beteiligt waren.
Die Arbeiterklasse steht vor einen Kampf um die Macht. Sie muss die Zahlung sämtlicher Schulden ablehnen und eine Arbeiterregierung errichten, die die großen Banken und Konzerne entschädigungslos enteignet und unter gesellschaftliche Kontrolle stellt. Nur auf dieser Grundlage ist es möglich, die soziale Konterrevolution zu stoppen und die vorhandenen Ressourcen zum Wohle der ganzen Gesellschaft einzusetzen.
Eine solche Perspektive lässt sich nur im internationalen Rahmen verwirklichen. Die griechischen Arbeiter müssen sich allen nationalistischen Tendenzen wiedersetzen und enge Verbindungen zur europäischen und internationalen Arbeiterklasse aufbauen, die überall mit denselben Angriffen konfrontiert ist. Ihr Ziel muss die Errichtung Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa sein.
Nur die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale kämpfen für eine solche Perspektive. Wir rufen Arbeiter und Jugendliche in Griechenland und ganz Europa auf, Kontakt zur Redaktion der WSWS aufzunehmen und Sektionen des Internationalen Komitee in ganz Europa aufzubauen.