Der überraschende Rücktritt von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) am vergangenen Wochenende und die schnelle Ernennung seines Parteifreundes Karl-Theodor zu Guttenberg zum Nachfolger sind weit mehr als das Ergebnis der Amtsmüdigkeit eines Ministers, der diesen Posten nie wirklich wollte. Der Wechsel an der Spitze des Ministeriums ist eng mit einer Offensive der Wirtschaftsverbände verknüpft, die angesichts der dramatischen Auswirkungen der internationalen Krise auf eine aggressivere Wahrnehmung ihrer Interessen drängen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel steht seit längerem in der Kritik des Wirtschaftsflügels der Union, der sie beschuldigt, sie passe sich zu sehr an den Koalitionspartner SPD an und vernachlässige ihre Klientel in der Wirtschaft. So hatte der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftvereinigung der Union, Josef Schlarmann, der Kanzlerin schon im vergangenen Sommer öffentlich vorgeworfen, sie habe Kernpositionen der Partei aufgegeben und verwässere deren wirtschaftspolitisches Profil. Anlass der damaligen Kritik war die Einführung branchenbezogener Mindestlöhne.
Mit der Zuspitzung der Wirtschaftkrise ist diese Kritik heftiger geworden. In den Augen der Wirtschaft reagiert die Bundesregierung viel zu langsam und zu sparsam auf die Krise. Die Wirtschaftsverbände werfen der Bundeskanzlerin vor, sie passe sich im Rahmen der Großen Koalition an den SPD-Finanzminister an, der erst überhaupt kein Konjunkturprogramm wollte und es anschließend auf ein "Miniprogramm" beschränkte.
Das 50 Milliarden schwere Konjunkturprogramm II, das schließlich im Januar verabschiedet wurde, macht nach Ansicht der Wirtschaftsverbände viel zu weitgehende Zugeständnisse an die öffentliche Meinung, die nicht einsehen will, dass den Finanzspekulanten mit Milliarden an Steuergeldern aus der Patsche geholfen wird. Die wirtschaftlichen Probleme könnten nicht mit ein paar Tausend Euro Abwrackprämie und einem einmaligen Kindergeldzuschlag überwunden werden, lautet der Vorwurf.
Die Wirtschaftsverbände drängen auf einen Kurswechsel. Sie verlangen massive staatliche Hilfen für Wirtschaft und Banken, die ihnen denselben Zugriff auf die Staatskasse ermöglichen, wie dies in den USA und Großbritannien der Fall ist. Statt Geld für eine symbolische Erhöhung des Kindergelds und die Ankurbelung des Konsums zu "verschwenden", fordern sie Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen, die Übernahme der faulen Kredite der Banken durch eine staatliche "Bad Bank" und die Abwälzung der Kosten auf die Bevölkerung. Abschreckende Auflagen oder gar die Teilverstaatlichung von Banken, wie dies bei der Hypo Real Estate und der Commerzbank geschehen ist, lehnen sie strikt ab.
Nachdem es der FDP gelungen war, der Union bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen massiv Stimmen abzunehmen, steigerte sich die Stimmung im Wirtschaftsflügel der Union zur Panik. Der neue CSU-Chef und bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer, der sich früher gern als Vertreter des sozialen Flügels der Union ausgab, übernahm die Initiative. Gegen den anfänglichen Willen von Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) setzte er durch, dass Steuersenkungen mit ins Konjunkturpaket II aufgenommen wurden.
Gleichzeitig stichelte Seehofer gezielt gegen den Wirtschaftsminister aus der eigenen Partei, der zwar die Forderungen der Wirtschaft unterstützte, aber zu schwach war, um sich gegen Merkel und Steinbrück durchzusetzen - bis Glos schließlich genervt sein Amt hinschmiss.
Nach seinem Rücktritt beklagte sich Glos bitter, er sei von Merkel regelrecht gemobbt worden. Laut einem Bericht des Münchner Merkur sagte er in einer Sitzung der CSU-Landesgruppe, die Bundeskanzlerin habe immer auf Finanzminister Steinbrück gehört, ihn ausgegrenzt und für dumm erklärt. Sie habe ihn absichtlich häufig ignoriert und sogar gezielt Zweifel an seiner Eignung als Wirtschaftsminister geschürt. In der CDU sei der Eindruck vermittelt worden, "er sei zu dumm, um einen Vermerk zu lesen".
Glos habe schon länger seinen Rücktritt überlegt, berichtet der Münchner Merkur weiter. Ausschlaggebend sei schließlich die Diskussion über die Enteignungen von Banken gewesen. Dieses Vorhaben habe er nicht mehr als Regierungsmitglied mitverantworten wollen.
Das viel zitierte "mangelnde Vertrauensverhältnis" zwischen dem Wirtschaftsminister und der Kanzlerin hat also nichts damit zu tun, dass der bayerische Katholik mit der evangelischen Pastorentochter aus der DDR wenig gemeinsam hatte. Vielmehr stand Glos unter dem unmittelbaren Druck der Wirtschaft, die stärkeren Zugriff auf die Staatskassen forderte, während das Kanzleramt und das Finanzministerium bremsten.
Letztere sorgten sich zum einen, die soziale Opposition könne außer Kontrolle geraten, wenn sie ohne jegliche Auflagen Milliarden an die Banken und die Wirtschaft geben. Zum anderen fürchteten sie, eine unkontrollierte Ausweitung von Subventionen an die Wirtschaft werde den europäischen Stabilitätspakt endgültig sprengen und die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Eurozone deutlich erhöhen.
Mittlerweile hat in Europa ein regelrechter Subventionswettlauf eingesetzt. Die Wirtschafts- und Handelsverbände betrachten das milliardenschwere amerikanische Konjunkturprogramm als Bedrohung. Sie warnen vor internationalen Wettbewerbsverzerrungen durch großzügige Subventionierung amerikanischer Konzerne und befürchten, dass protektionistische Maßnahmen wie der Aufruf "By american!" die deutsche Wirtschaft aufgrund ihrer starken Exportabhängigkeit besonders treffen.
Als dann am Montag die französische Regierung ankündigte, sie werde Renault und Peugeot mit insgesamt sechs Milliarden Euro unter die Arme greifen, reagierte die deutsche Autoindustrie entsetzt. Damit sei Frankreich nach Großbritannien und den USA die dritte Nation, die ihre Autoindustrie mit massiven Subventionen unterstützen wolle, schrieb das Handelsblatt, und zitierte den Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Automobilindustrie, Klaus Bräunig mit den Worten: "Wir sind gegen wettbewerbsverzerrende Maßnahmen in Europa und anderswo - und wir wollen keinen internationalen Subventionswettlauf".
Doch dieser Wettlauf lässt sich kaum mehr stoppen, und entsprechend aggressiv machen die Wirtschaftsverbände ihre Interessen geltend. Der Wechsel im Wirtschaftsministerium leitet einen deutlichen politischen Rechtsruck ein.
Der neue Wirtschaftsminister ist in vieler Hinsicht der Gegenentwurf des alten. Karl-Theodor zu Guttenberg ist mit 37 Jahren der jüngste am Kabinettstisch, entstammt einer alteingesessenen Adelsfamilie, spricht mehrere Sprachen, hat einen rasanten Aufstieg in der CSU zum Generalsekretär hinter sich und war mehrere jahrelang Investmentbanker in New York.
Sehr von sich eingenommen kündigte er bereits bei seinem ersten Pressegespräch an, er wolle trotz seiner möglicherweise nur kurzen Amtszeit bis zur kommenden Bundestagswahl im Herbst "Zeichen setzen". Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise seien "schnelle Veränderungen" notwendig. "Wir haben jetzt eine Phase, in der Tatkraft und Leidenschaft für Wirtschaftspolitik gefragt ist", erklärte von Guttenberg den Journalisten.
Von den Wirtschaftsverbänden wurde er bereits vor seiner Vereidigung mit Vorschusslorbeeren überhäuft. Guttenberg sei "bestens geeignet" für die neue Aufgabe als Bundeswirtschaftsminister, erklärte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Er verfüge über internationale Erfahrungen und Kontakte, die bei der Überwindung der globalen Krise wichtig seien. Ähnlich äußerten sich die Spitzenvertreter vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK).
Hundt hob außerdem hervor, zu Guttenberg sei mit den Problemen des Mittelstandes aus eigener unternehmerischer Praxis "bestens vertraut". BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sagte, durch seine internationale Verankerung habe er die Chance, "wertvolle Akzente für Europa und die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen zu setzen". Der BDI wünsche dem neuen Minister "einen klaren und verlässlichen ordnungspolitischen Kompass und Impulse für eine ganzheitliche und zukunftsweisende Wirtschaftspolitik".
Der Führungswechsel im Wirtschaftsministerium steht auch in direktem Zusammenhang zur Wahlkampfvorbereitung der Union für die Europawahl im Juni und die Bundestagswahl im September. Die CSU und Teile der CDU streben einen Wahlkampf an, der die nationalen Wirtschaftsinteressen ins Zentrum stellt.