Deutsche Kriegsverbrechen in Italien

Dieser Artikel basiert auf zwei in den neunziger Jahren erschienene Bücher, auf die sich die Darstellung der Ereignisse weitgehend stützt: Friedrich Andrae, "Auch gegen Frauen und Kinder – Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943-1945" (erschienen im Piper-Verlag München Zürich, 1994) sowie Gerhard Schreiber, "Deutsche Kriegsverbrechen in Italien – Täter, Opfer, Strafverfolgung" (Beck'sche Reihe, Verlag C.H. Beck, München, 1996).

Teil 1: 60 Jahre seit dem Massaker von Sant' Anna di Stazzema

Im vergangenen Monat jährte sich zum 60. Mal eines der brutalsten Kriegsverbrechen, die deutsche Soldaten und SS-Truppen während der Besetzung Italiens verübt haben. 560 Frauen und Kinder sowie Männer, die nicht fliehen konnten, wurden in Sant' Anna die Stazzema in den Apuanischen Alpen innerhalb weniger Stunden auf bestialische Weise ermordet.

Am 12. August 1944 fiel die Panzer-Aufklärungsabteilung 16 der 16. SS-Panzergrenadier-Division,Reichsführer SS', geführt von SS-Sturmbannführer Walter Reder, im Rahmen einer sogenannten Säuberungsaktion in die in der Provinz Lucca gelegene Gemeinde Stazzema ein und hinterließ eine Spur der Verwüstung.

Die Wehrmacht hatte eine Woche zuvor die Räumung der Ortschaft Sant' Anna angeordnet, die zur Gemeinde Stazzema gehört, aber nur ein Teil der Bevölkerung hatte den Befehl befolgt. Aufgrund von beruhigenden Gerüchten waren zudem viele Frauen und Kindern in ihre Wohnungen zurückgekehrt. Hinzu kamen Flüchtlinge aus anderen Gemeindeteilen, deren Räumung am 8. August befohlen worden war.

Wehrmachts- und SS-Truppen sowie italienische SS-Männer bewegten sich in vier Stoßrichtungen auf Sant' Anna zu und verübten bereits auf dem Weg mehrere Massaker. In Vaccareccia sperrte die Truppe 70 aufgegriffene Personen in einen Stall, ermordete sie dann mit Handgranaten und Maschinenpistolen und setzte zum Schluss Flammenwerfer ein. Der gesamte Ort wurde gleichsam eingeäschert. Das Gleiche passierte in Franchi und Pero. Wer nicht rechtzeitig fliehen konnte, wurde erbarmungslos niedergemacht.

"In Sant' Anna selbst drängten Himmlers Panzergrenadiere die Einwohner und Flüchtlinge auf dem von einer Mauer umschlossenen Platz vor der Kirche zusammen," schildert Gerhard Schreiber die dann folgenden Ereignisse. "Da es nur einen einzigen Zugang gab, befanden sich die Menschen in einer perfekten Falle. Die Mörder begannen nun ihr Werk, danach bildeten die sterblichen Überreste von 132 Männern, Frauen, Kindern und Kleinkindern einen Leichenberg. Nunmehr waren die Flammenwerfer an der Reihe, weshalb viele der Toten nie identifiziert werden konnten. Als sich der Verband anschließend wieder ins Tal nach Valdicastello begab, ließen die SS-Männer, die in Mulino Rosso noch einmal 14 und in Capezzano di Pietrasanta sechs Menschen umbrachten, insgesamt 560 Ermordete zurück. Nur bei 390 Toten, unter denen sich 75 Kinder im Alter bis zu zehn Jahren befanden, vermochten die Behörden später die Identität festzustellen. Das jüngste Opfer zählte drei Monate, das älteste 86 Jahre."

So schlimm das Massaker von Sant' Anna die Stazzema war, es stand nicht allein. Es war nur eines von zahlreichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Einheiten der Wehrmacht, der SS und andere deutsche Verbände während des Zweiten Weltkriegs beim Feldzug gegen die Sowjetunion, im besetzten Osteuropa und anderen besetzten Gebieten verübten. In Italien reihte sich dieses Massaker in unzählige andere Kriegsverbrechen ein, die umso brutaler, grausamer und rücksichtsloser wurden, je mehr die deutschen Truppen durch den Vorstoß der Alliierten und den Wiederstand von Partisanen in Bedrängnis gerieten.

Historischer Hintergrund

Das Wüten deutscher Truppen in Italien wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs viele Jahre lang weitgehend tot geschwiegen. Kaum einer der Verantwortlichen für diese grausamen Kriegsverbrechen wurde zur Rechenschaft gezogen, auch nicht für das Massaker von Sant' Anna di Stazzema.

Der Grund war der Kalte Krieg gegen die Sowjetunion. Die Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen sollte die Wiederbewaffnung und Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO nicht gefährden. Die italienische Justiz stellte die Aufklärung der Verbrechen bald ein, während die deutsche ohnehin nie Interesse daran gezeigt hatte.

Erst im Laufe der letzten zehn Jahre wurden die Ereignisse einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Unabhängig voneinander veröffentlichten 1994 und 1996 zwei Historiker, Friedrich Andrae und Gerhard Schreiber, Studien, die die deutschen Kriegsverbrechen gestützt auf die Auswertung von Militärarchiven, Kriegstagebüchern und Schilderungen von Zeugen detailliert dokumentieren. Auch verschiedene Journalisten und Überlebende haben immer wieder recherchiert und versucht, die Verantwortlichen zu benennen und vor Gericht zu bringen.

Am 20. April dieses Jahres wurde vor dem Militärtribunal von La Spezia der Prozess gegen drei Angehörige der Waffen-SS - Gerhard Sommer, Ludwig Sonntag und Alfred Schönenberg - eröffnet. Es handelt sich um Offiziere der 16. Panzergrenadierdivision "Reichsführer SS", die für das Massaker in Sant' Anna di Stazzema verantwortlich ist. Die hochbetagten Angeklagten erschienen allerdings nicht vor Gericht, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie von Deutschland nach Italien ausgeliefert oder in Deutschland selbst noch vor Gericht gestellt werden.

Doch zunächst zu der Frage: Wie kam es zu diesen grausamen Kriegsverbrechen und Massakern an der Zivilbevölkerung?

Das faschistische Italien Mussolinis war eng mit dem nationalsozialistischen Deutschland verbündet. Gemeinsam mit Japan bildeten Italien und Deutschland die sogenannten Achsenmächte. Bereits im Sommer 1943 zeichnete sich deren Niederlage ab. Alliierte Truppen hatten im Oktober 1942 mit dem Angriff auf deutsche und italienische Stellungen in Nordafrika begonnen. Am 2. November 1942 gelang ihnen der Durchbruch bei El Alamein.

Kurze Zeit später landeten britische und amerikanische Truppen im französisch besetzten Nordafrika und setzen sich nach anfänglichem Widerstand gegen die Truppen der deutschlandhörigen Vichy-Regierung durch. Ende Januar hatten sie Marokko und Algerien unter Kontrolle. Am 13. Mai wurde der letzte Widerstand der Achsenmächte in Nordafrika gebrochen. General von Arnim kapitulierte bei Tunis, 250.000 Deutsche und Italiener gelangten in Kriegsgefangenschaft.

Etwa zur gleichen Zeit begann an der Ostfront die Gegenoffensive der Roten Armee südlich von Stalingrad. Die 6. Armee wurde eingekesselt. Am 2. Februar 1943 kapitulierte Feldmarschall Paulus mit dem Rest seiner Armee in der zerstörten Stadt.

Im Sommer 1943 landeten britische Truppen im Südosten von Sizilien und amerikanische etwas weiter westlich davon im Golf von Gela. Die italienische Elite versuchte ihre Haut zu retten, indem sie Mussolini am 25. Juli 1943 nach über zwanzig Jahren Diktatur absetzte und verhaften ließ. König Vittorio Emanuele III. ernannte Marschall Badoglio zu seinem Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten. Am 3. September 1943 unterzeichnete General Castellano die Kapitulation Italiens.

Die deutschen Machthaber waren aber nicht bereit, sich von der italienischen Front zurückzuziehen. Sie reagieren wutentbrannt auf die italienische Kapitulation, die in ihren Augen Verrat bedeutete. Am Abend des 8. September 1943 ließ General Jodl, Chef des Wehrmachtführungsstabes, auf Weisung Hitlers durch seinen Adjutanten das Stichwort "Achse" auslösen. Italien, das aus dem Krieg aussteigen wollte, wurde zum Kriegsschauplatz.

Hitler ließ in den folgenden Tagen Mussolinis Haftort auskundschaften und dessen spektakuläre Befreiung durchführen. Allerdings wurde Mussolini klar gemacht, dass er unter Bewachung der SS stand. Am 22. September 1943 ließ er die neu gegründete Republica Sociale Italiano ausrufen, die aber nur noch Norditalien und die von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiete kontrollierte.

Repressionen gegen Juden, Zivilisten und italienische Armeeangehörige

In Mussolinis Herrschaftsgebiet konnten deutsche Truppen und SS-Einheiten ungestört ihren Terror gegen die Zivilbevölkerung entfalten. Zu den dabei begangenen Verbrechen gehört die Gefangennahme und Deportation von Juden aus Rom. Friedrich Andrae schildert in seinem Buch eine Nacht-und-Nebel-Aktion vom Oktober 1943:

"Gegen vier Uhr in der Frühe des 16. Oktober, das jüdische Laubhüttenfest hatte eben begonnen, umstellt eine aus drei Kompanien deutscher Polizeiregimenter gebildete Sondereinheit in aller Heimlichkeit und unter Vermeidung von Lärm das römische Getto, sperrt alle Zugänge, durchkämmt das Getto Haus für Haus; nach zehn Stunden ist die Aktion beendet. Von rund 8000 in Rom, aber nicht alle im Getto lebenden Juden werden 1259 festgenommen, von denen 1007 zwei Tage später nach Auschwitz deportiert werden, wo sie am 23. Oktober eintreffen."

Von Antonio Origo stammt ein Zeitzeugenbericht über die Repressionen und Verhaftungswellen in Rom, das von den Folgen der deutschen Besatzung ganz besonders schwer betroffen war: "Die Stadt quillt über von deutschem Militär, viele Gebäude sind beschlagnahmt, nicht nur die großen Hotels. Viele Familien, die aus unterschiedlichen Gründen das Licht der Öffentlichkeit scheuen müssen, verlassen Haus und Wohnung, verwischen ihre Spuren nach allen Regeln der Kunst, verstecken sich bei Freunden, werden mit gefälschten Ausweisen und Lebensmittelkarten versehen. Offiziere, oppositionelle Politiker und vor allem Juden müssen am meisten um ihre Sicherheit fürchten. Man nennt sie die sepolti vivi, die Lebendig-Begrabenen. Verstecke bieten Klöster, Katakomben, Dachböden, sogar Kuppeln und Gewölbe von Kirchen. Die Untergetauchten treffen sich heimlich in Gotteshäusern, Kellern und Höhlen, um den Widerstand zu formieren."

Zu den unter dem Stichwort "Achse" ausgegebenen Maßnahmen gehörte auch die Demobilisierung und Entwaffnung der italienischen Armee und, wo immer möglich, die Übernahme ihrer militärischen Einrichtungen und Waffen. Aufgrund der weitverbreiteten Kriegsmüdigkeit der italienischen Soldaten und Bevölkerung wurde diesen Aktionen am Anfang wenig Widerstand entgegen gesetzt. Dazu kam das ungeheuer brutale Vorgehen der deutschen Wehrmacht. "Die oberste Wehrmachtführung und auch die Befehlshaber in Italien, die Feldmarschälle Rommel und Kesselring," schreibt Friedrich Andrae, hätten die ihnen unterstellten Soldaten mit "rabiaten völkerrechtswidrigen Befehlen" entsprechend aufgeputscht.

So erließ die Wehrmachtführung am 15. September 1943 Weisungen, wie mit entwaffneten italienischen Soldaten zu verfahren sei: Diese müssten erklären, wo sie stehen. "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." Drei Gruppen seien zu unterscheiden: Erstens die bündnistreuen Soldaten, die an der deutschen Seite weiterkämpfen; zweitens solche, die nicht weitermachen wollen; drittens Soldaten, die Widerstand leisten oder mit dem Feind oder Banden paktieren. Von letztgenannter Gruppe seien die Offiziere zu erschießen, die übrigen zum Arbeitseinsatz an die Ostfront zu deportieren.

Ein besonders brutales Kriegsverbrechen ereignete sich bei der Entwaffnung italienischer Soldaten auf der griechischen Insel Kefalonia. Über die am 15. September erteilten Weisungen hinaus gab das Oberkommando der Wehrmacht am 18. September 1943 den Befehl aus, auf Kefalonia ab sofort keine Gefangenen mehr zu machen. Darauf wurden mindestens 5170 italienische Soldaten niedergemetzelt, obgleich sie sich großenteils schon ergeben hatten. Andere Gefangene wurden in überfüllten, nicht als Kriegsgefangenentransporte gekennzeichneten Schiffen auf das Festland überführt. Dabei kamen weitere 13.288 Italiener ums Leben, weil Schiffe durch gegnerischen Beschuss versenkt wurden und die Deutschen alle Rettungsmaßnahmen für die Gefangenen verweigerten.

Insgesamt verfuhren die deutschen Truppen bei ihrem Rückzug vor den Alliierten in Italien nach dem Prinzip der verbrannten Erde. Bereits am 12. September 1943, wenige Tage nach der italienischen Kapitulation, hatte Hitler befohlen, den Vormarsch der alliierten Streitkräfte so hinhaltend zu verzögern, dass Zeit für Räumung und Zerstörung gewonnen werde, die rücksichtslos durchzuführen sei. Dem Gegner sollte eine Wüste hinterlassen werden.

Teil 2: Nazi-Terror und italienischer Widerstand

Bei ihrem Rückzug vor den Alliierten in Italien verfuhren die deutschen Truppen nach dem Prinzip der verbrannten Erde. Bereits am 12. September 1943, wenige Tage nach der Kapitulation der italienischen Regierung, hatte Hitler befohlen, den Vormarsch der alliierten Streitkräfte so hinhaltend zu verzögern, dass Zeit für Räumung und Zerstörung gewonnen werde, die rücksichtslos durchzuführen sei. Dem Gegner sollte eine Wüste hinterlassen werden.

Dieses brutale und rücksichtslose Vorgehen stieß zunehmend auf Widerstand, insbesondere im Kriegsgebiet im mittleren Italien, wo die Wehrmacht stärker präsent war als in Norditalien. Anfangs richtete sich der Widerstand der Bevölkerung vor allem gegen die Übergriffe deutscher Soldaten, gegen Gefangennahme, Deportation und Zwangsarbeit, aber auch gegen die nach Überzeugung der meisten Menschen in Italien völlig sinnlose Weiterführung und Verlängerung eines Krieges, der ihnen nur Leid, Tod und die Vernichtung ihrer Häuser und Höfe brachte, sowie die Zerstörung von Fabriken, Straßen und Eisenbahnlinien, kurz gesagt: der Lebensgrundlagen einer modernen Gesellschaft.

Der Widerstand wuchs und organisierte sich zunehmend, je brutaler die Unterdrückung und das Vorgehen der deutschen Besatzungsmacht wurde.

Besonders gefürchtet war die Gefangennahme von Männern und ihre Deportation zur Zwangsarbeit in Oberitalien oder in der deutschen Rüstungsindustrie. Tausende widersetzten sich der "freiwilligen" Einberufung zum Arbeitseinsatz. Friedrich Andrae*) schreibt: "Gegen Deportation zur Zwangsarbeit, Demontage von Fabriken und Abtransport von Maschinen, Rohstoffen und Material nach Deutschland gibt es lokale Streiks. Als die Maßnahmen Anfang 1944 verstärkt werden, treten am 1. März nahezu 1,2 Millionen Arbeiter, vor allem in den Industriezentren Norditaliens, Turin und Mailand, in den Generalstreik, der erst nach einer Woche am 8. März wieder abgeblasen wird. In Mittelitalien mangelt es zwar an größeren Industriestandorten oder sind die Betriebe im Hinterland der Front bereits demontiert, dennoch wird auch hier gestreikt."

Es ist im Rahmen dieses Artikels nicht möglich, genauer auf den Aufstand in Neapel vom September 1943 und den mutigen Widerstand von vielen Bewohnern anderer Ortschaften einzugehen, die sich den brutalen Methoden der Nazitruppen widersetzten. Eine Konsequenz jeder Widerstandshandlung waren Rache- und sogenannte "Sühneaktionen". Oft war davon die Bevölkerung benachbarter Ortschaften betroffen, durch die Wehrmachts- und SS-Einheiten bei ihrem Rückzug nach Norden zogen.

Das Massaker in den Adreatinischen Höhlen

Am 23. März 1944 wird in den größeren Städten von Mussolinis Repubblica Sociale Italiana der 25. Jahrestag der Gründung der Fasci, der faschistischen Stoßtrupps gefeiert. Auch in Rom findet eine Gedenkveranstaltung statt, an der sich auch Wehrmachts- und SS-Führer beteiligen. Wie jeden Nachmittag marschiert die 2. Kompanie des III. Bataillons des deutschen Polizeiregiments Bozen durch die Via Rasella. Auf sie wird ein Bombenanschlag verübt. 32 deutsche Polizeisoldaten sind sofort tot, etwa doppelt so viele teilweise schwer verletzt. Einer von ihnen erliegt später seinen Verletzungen. Auch zwei Zivilisten werden getroffen. Die Täter können entkommen.

Die deutsche Reaktion erfolgt schnell und gnadenlos. Hitler, der sofort über das Attentat informiert wird, tobt. Er will als Vergeltung ein ganzes Stadtviertel in die Luft sprengen und für jeden getöteten deutschen Polizisten 30 oder sogar 50 Italiener erschießen lassen. Es erfolgen kurze Beratungen und der Austausch von Depeschen. Obersturmbannführer Herbert Kappler, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts in Rom, berät sich mit Generaloberst von Mackensen, dem Oberbefehlshaber der 14. Armee, dem der Standortkommandant von Rom unterstellt ist.

Kappler schlägt als Repressalie vor, zehn Italiener für jeden getöteten Polizeisoldaten zu erschießen, was den Gepflogenheiten im Befehlsbereich des Oberbefehlshabers Südwest, Kesselring, entspricht. Er schlägt weiterhin vor, dafür Personen auszuwählen, die bereits in Haft gehalten werden und zum Tode verurteilt worden sind. Kesselring schließt sich diesem Vorschlag an, und am späten Abend erhalten sie über Generaloberst Jodl, den Chef des Wehrmachtführungsstabs, die Anweisung, Hitler befehle die Erschießung von Geiseln im Verhältnis von zehn zu eins, die Durchführung obliege dem Sicherheitsdienst, Ausführung binnen 24 Stunden.

Da nicht genügend zum Tode verurteilte Häftlinge zur Verfügung stehen, wird ihr Kreis auf Häftlinge ausgedehnt, die wahrscheinlich die Todesstrafe erwartet. Da auch damit die erforderliche Anzahl von Geiseln nicht erreicht wird, muss der italienische Polizeichef weitere fünfzig bis sechzig Personen, zum Beispiel Juden, zusammentreiben. Am Ende bringt Kappler auf diese Weise 335 Geiseln zusammen.

Sie werden auf Lastwagen geladen und zu den Ardeatinischen Höhlen südöstlich von Rom gekarrt. Dort werden sie, wie Andrae schildert, "im von Fackeln schwach erleuchteten Dunkel der Höhlen Mann für Mann reihenweise per Genickschuss umgebracht. Als die Leichenberge zu hoch werden, müssen sich die Delinquenten auf ihre toten Kameraden legen, um dann den Genickschuss zu erhalten. Die Massenexekution dauert etliche Stunden, bis zum folgenden Tag. Kappler muss seine Leute mit viel Alkohol bei der Stange halten. Es sterben 335 Männer, fünf mehr als Hitler befohlen hat. Unmittelbar danach lässt Kappler die Höhlen durch Sprengungen verschließen."

Die Opfer des Massakers hatten nichts mit dem Attentat in der Via Rasella zu tun. Bei der überwiegenden Mehrheit handelte es sich um politische Gefangene, vorwiegend um Antifaschisten aus dem Umfeld des Partito d'Azione, der Aktionspartei.

Andrea liefert eine detaillierte Darstellung der sozialen Herkunft der Opfer: "Die größte soziale Gruppe stellen Arbeiter und Facharbeiter (77), gefolgt von Beamten und Angestellten des Öffentlichen Dienstes (57) und denjenigen aus kaufmännischen Berufen (54); auch 38 Offiziere der italienischen Streitkräfte gehören dazu, davon fünf Generäle und 13 höhere Stabsoffiziere; außerdem Anwälte (12), Bauern und Landwirte (12), Studenten (9) und Professoren (5), Ingenieure und Architekten (6), Künstler (8), Industrielle (5), Mediziner (3), Bankleute, Handwerker verschiedenster Profession, auch 1 Priester und Menschen anderer sozialer und beruflicher Herkunft; Ausländer sind ebenfalls dabei, Flüchtlinge aus Russland, mindestens zwei deutsche Juden. Ein Fünftel, nämlich 62, sind noch keine 25 Jahre alt, der Jüngste, 1929 geboren, zählt gerade 15 Jahre, weitere acht sind noch nicht achtzehn, elf älter als sechzig."

Befehle von höchster Ebene

Mit besonderer Brutalität und Grausamkeit gingen deutsche Einheiten in der Toskana gegen Partisanen und ihre wirklichen oder mutmaßlichen Unterstützer in der Zivilbevölkerung vor.

Viele der dort verübten unvorstellbaren Verbrechen gehen auf das Konto der Division Brandenburg, meist nur Brandenburger genannt. Bei ihr handelt es sich um einen Sonderverband, der ursprünglich für Angriffsoperationen und Kommandounternehmen auch hinter gegnerischen Linien gebildet worden war. Er unterstand dem Oberkommando des Geheimdiensts der Wehrmacht, an dessen Spitze Admiral Canaris stand. Als die Wehrmacht von Angriff auf Verteidigung umschalten musste, wurde die Division zur Partisanenbekämpfung eingesetzt. Allein im April 1944 wurden im Verlauf derartiger Operationen in Italien laut dem offiziellen Kriegstagebuch der deutschen Wehrmacht 4.000 Menschen umgebracht.

Sowohl Friedrich Andrae wie auch Gerhard Schreiber weisen in ihren Studien über die Verbrechen der Wehrmacht an der italienischen Zivilbevölkerung darauf hin, dass die entsprechenden Befehle, Anordnungen und ideologischen Vorarbeiten von höchster Ebene ausgingen und sich bis auf die propagandistischen Vorbereitungen für den Überfall auf die Sowjetunion zurückzuverfolgen lassen.

Seit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 lautete die offizielle Sprachregelung "Weltanschauungskrieg" oder "Vernichtungskrieg". Nicht wenige der 1943 bis 1945 in Italien eingesetzten Divisionen hatten ihre Kriegserfahrungen an der Ostfront gemacht, waren dort zerschlagen und dann in Italien neu aufgestellt oder direkt dorthin verlegt worden. Sie übertrugen den "Ideengehalt" der "Führererlasse" aus dem Jahr 1941/42 von der Ostfront nach Italien.

Zu diesen Führererlassen gehört auch der berüchtigte Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941, der in einem Dekret des Oberkommandos der Wehrmacht zur Bekämpfung "kommunistischer Aufstandsbewegungen in den besetzten Gebieten" vom 16. September 1941 noch einmal verschärft wurde. Darin wird befohlen, "dass überall mit den schärfsten Mitteln einzugreifen ist, um die Bewegung in kürzester Zeit niederzuschlagen. (...) Als Sühne für ein deutsches Soldatenleben muss in diesen Fällen im allgemeinen die Todesstrafe für 50 - 100 Kommunisten als angemessen gelten. Die Art der Vollstreckung muss die abschreckende Wirkung noch erhöhen."

Mit dem geltendem Völkerrecht, das Hitler verachtete, ließen sich derartige Erlasse nicht vereinbaren. Schon das Unternehmen Barbarossa, der Angriff gegen die Sowjetunion, stellte einen eklatanten Bruch des Völkerrechts dar, das einen Angriffskrieg explizit ausschließt. All dies geschah mit Hilfe und Einverständnis der militärischen Führung. Hohe Offiziere und Wehrmachtsjuristen waren an der Ausarbeitung der Erlasse beteiligt.

Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung wurden in diesen Befehlen ausdrücklich gebilligt und verlangt. So heißt es in Hitlers sogenannten "Bandenbefehl" vom 16. Dezember 1942: "Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk und die Soldaten an der Front. (...) Die Truppe ist dazu berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden."

Wiederholt wird darauf hingewiesen, dass diejenigen, die brutal und hart durchgreifen, mit keinen Konsequenzen rechnen müssen. So heißt es in einem Befehl vom 7. April 1944 für die in Italien eingesetzten Truppen: "Zu scharfes Durchgreifen wird bei der derzeitigen Lage niemals Grund zu einer Strafe sein."

Teil 3: Politik der verbrannten Erde

Mitte Mai 1944, nach dem Durchbruch der Allierten bei Cassino, beschleunigte sich die Rückzugsbewegung der deutschen Truppen nach Norditalien. Dabei wurden sie durch verstärkte Aktivitäten von Partisanen, vor allem durch Sabotagehandlungen gegen die Infrastruktur, die Zerstörung von Nachrichtenverbindungen, Verkehrswegen und Transportmitteln sowie durch Überfälle auf Nachschubtransporte ernsthaft gefährdet und behindert.

Die Reaktion der deutschen Wehrmacht war erneut hart und brutal. In einem "Aufruf an die italienische Bevölkerung" heißt es: "Verbrecherische Elemente haben in den letzten Tagen in Zivil aus dem Hinterhalt wiederholt auf deutsche Soldaten geschossen. Zur Sühne dieses Verbrechens sind verschiedene Ortschaften niedergebrannt und eine Anzahl männlicher Einwohner dieser Ortschaften standrechtlich erschossen worden." Des weiteren wurden die Bewohner einer jeden Gemeinde in ihrer Gesamtheit dafür in Haftung genommen, dass keine weiteren Sabotage-Akte oder Überfälle auf einzelne deutsche Soldaten verübt werden.

Aber alle Drohgebärden und Repressalien nutzten nichts, sondern erreichten das Gegenteil. Die feindselige Haltung der Bevölkerung und ihre Unterstützung für die Widerstandskämpfer nahm zu. Daraufhin verfügte Feldmarschall Kesselring am 17. Juni 1944 eine "Neuregelung in der Bandenbekämpfung". Neben einer genauen Auflistung von Verantwortlichkeiten enthält diese Neuregelung auch die unmissverständliche Sanktionierung des deutschen Vergeltungsterrors.

Friedrich Andrae*) kommentiert dies mit den Worten: "Für die Bekämpfung der Partisanen erhalten die Einsatzführer faktisch freie Hand, vorausgesetzt sie lassen es an größter Schärfe nicht fehlen; Fehlgriffe bei der Wahl der einzusetzenden Mittel sind,immer noch besser, als Unterlassung und Nachlässigkeit', deshalb werde er ‚jeden Führer decken, der in der Wahl und Schärfe des Mittels bei der Bekämpfung der Banden über das bei uns übliche zurückhaltende Maß hinausgeht'; für Straf- und Abschreckungsmaßnahmen ist,nur sofortiges schärfstes Eingreifen' geeignet, die,Banden sind anzugreifen und zu vernichten'. Eine fast gleich lautende carte blanche hatte der SS-Oberführer und Oberst der Polizei wenige Tage zuvor in einem Befehl an seine Polizeieinheiten ausgegeben."

Später stellt Andrae noch einmal ausdrücklich fest: "Der,Bandenbefehl' setzt für den militärischen Bereich Recht und Gesetz außer Kraft, wie es nach dem Röhm-Putsch 1934, nach den Judenpogromen im November 1938 und seit Beginn des Unternehmens Barbarossa 1941 die politische Praxis der Herren im Großdeutschen Reich war." Das deutsche Kriegsrecht verweigerte den italienischen Partisanen die Anerkennung als kriegsführende Partei. Sie galten als rechtlos und wurden als "Banditen" kriminalisiert. Banditen aber waren laut Führerbefehl auszurotten und zu vernichten.

Nach der Befreiung Roms Anfang Juni 1944 versuchten sich die deutschen Truppen auf die sogenannte Gotenlinie zurück zu ziehen, diese zu befestigen und so lange wie möglich zu halten. Die Gotenlinie sollte entlang des Apennin-Hauptkammes verlaufen und die italienische Halbinsel quer durchziehen. Bereits seit Herbst 1943 war geplant, sie festungsmäßig auszubauen. Bei der Umsetzung dieses Plans stießen die deutschen Truppen aber auf erhebliche Schwierigkeiten. Eine der größten bestand darin, genügend Zwangsarbeiter aus der italienischen Bevölkerung zu rekrutieren. Immer mehr Zwangsarbeiter schlugen sich auf die Seite der Partisanen und verschwanden in die Wälder und Berge, anstatt die deutsche Verteidigungslinie zu bauen. Sie wurde nie fertig gestellt und konnte nur wenige Monate gehalten werden.

Widerstand von Arbeitern

Als die deutschen Truppen und SS-Einheiten Rom Anfang Juni fluchtartig verließen, hinterließen sie auf dem Rückzug nach Norden eine Spur der Verwüstung. Täglich wurden Dörfer, Gemeinden und Einzelpersonen Opfer deutscher Rache- und "Sühnemaßnahmen". In der Toskana fielen an einzelnen Tagen achtzig und mehr Personen deutschen Vergeltungsmaßnahmen zum Opfer.

Als Beispiel sei hier der Kampf der Bergarbeiter von Niccioleta geschildert, den Andrae in seinem Buch dokumentiert.

In dem zwischen Siena und dem Meer gelegenen Bergarbeiterdorf Niccioleta ist eine Pyrit-Mine der einzige Arbeitgeber. "Die Minenarbeiter," schreibt Andrea, "sind überwiegend Antifaschisten aus alter sozialistischer Tradition. Von hier aus wurde 1894 der erste Streik in den Minen der Gegend organisiert, hier opponierten die Arbeiter schon 1926 und 1932 aktiv gegen das faschistische Regime, und auch jetzt macht ein Teil von ihnen in der Resistenza mit. Die leitenden Ingenieure dagegen gelten als deutschfreundlich, der eine oder andere gehört auch jetzt noch zu den Schwarzhemden."

Als sich die Front Niccioleta nähert, bereiten Einheiten der 162. (turkmenischen) Infanteriedivision im Rahmen der Politik der "verbrannten Erde" die Zerstörung der Mine vor. Um dies zu verhindern und die Lebensgrundlage von 150 Familien zu retten, wird die Mine am 9. Juni von Partisanen und Minenarbeitern besetzt. Drei Tage später ziehen die Partisanen wieder ab, SS- und mit den deutschen kollaborierende italienische Einheiten stürmen das Dorf, durchkämmen Haus für Haus und nehmen alle 150 Minenarbeiter fest.

Fünf werden auf der Stelle erschossen, die anderen zu einem deutschen Befehlsstand gebracht. Dort werden 77 wegen der Zusammenabeit mit den Partisanen mit Maschinengewehren niedergemäht, 25 als Zwangsarbeiter deportiert und 50, meist ältere Arbeiter, entlassen.

Wenige Tage später finden in der Gemeinde Civitella Val di Chiana und Umgebung weitere schreckliche Massaker statt. Anlass war der Versuch einer Partisanengruppe, am 18. Juni betrunkene deutsche Soldaten zu entwaffnen. Dabei sterben zwei Deutsche, die übrigen können fliehen. Die Dorfbewohner verlassen aus Angst vor "Sühnemaßnahmen" noch in derselben Nacht ihre Häuser, kehren aber nach einigen Tagen zurück, nachdem nichts passiert ist. Am 29. Juni, einem Feiertag, stürmen dann schwer bewaffnete deutsche Truppen mit Panzern die Ortschaft, besetzen die Kirche und erschießen alle Männer einschließlich des Pfarrers vor den Augen der Frauen und Kinder. In einer Aktion, die sich über Stunden hinzieht, werden sie in Gruppen zu je fünf per Genickschuss umgebracht.

Am gleichen Tag findet in der Nähe ein weiteres Blutbad statt, nachdem es zwei Tage vorher in dieser Gegend eine Auseinandersetzung zwischen deutschen Soldaten und Partisanen gegeben hat. Insgesamt fallen in Civitella und Umgebung an diesem Tag zweihundertfünfzig Menschen im Alter von einem bis 84 Jahren dem Morden zum Opfer - nur zwei Wochen bevor die britische 8. Armee Civitella befreit.

Diese Blut- und Verwüstungsspur setzt sich den gesamten Juli und August über fort. Am 3. August 1944 räumen die deutschen Truppen Florenz. Am Abend dieses Tages dringt ein Trupp deutscher Soldaten in das etwas außerhalb der Stadt gelegene Haus von Robert Einstein ein, dem Bruder des berühmten Physikers. Robert Einstein war mit seiner Familie aus Deutschland nach Italien geflohen. Er ist zur Zeit des Überfalls nicht zu Hause. Die Soldaten ermorden seine Frau und seine zwei Töchter.

Eskalation der Gewalt

Das im ersten Teil dieser Serie geschilderte Massaker in Sant' Anna die Stazzema reiht sich in die hier auszugsweise geschilderten Kriegsverbrechen ein. Diese wurden umso schlimmer, je haltloser die Situation der deutschen Besatzungstruppen in Italien war und je näher die Niederlage und der Untergang des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland rückte.

Besonders schwer betroffen von dem Wüten deutscher SS-Einheiten unter der Führung des berüchtigten Majors Reder sowie von Wehrmachtseinheiten war im September/Oktober 1944 die Gemeinde Marzobotto. Die Racheorgie der deutschen Einheiten, die sich zuvor schwere Gefechte mit starken Partisanenverbänden geliefert und diese entweder zerstört oder zerstreut hatten, schien kein Ende zu nehmen.

Laut einem Bericht, den Vito Nerozzi, der Bürgermeister der Gemeinde, im Herbst 1945 für die Alliierten verfasste, hatten die Orte der Gemeinde zwischen dem 29. September und dem 1. Oktober folgende zivile Opferzahlen (die Partisanen nicht eingerechnet) zu verzeichnen: "Caprara 184, Casaglia 195, Cadotto 104, Sperticano 111, Villa Ignano 95, S. Martino 560; insgesamt 1249 Personen. So viel ich erfahren habe, liegen noch 421 Tote unbegraben in den Bergen."

Die Inschrift der Gedenkstätte in Marzabotto lautet: "Von den 771 unschuldigen, bis jetzt hier begrabenen Opfern des Massakers und anderer Kriegsursachen sind: 315 Frauen, 189 Kinder unter 12 Jahren, 30 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren, 161 Männer zwischen 18 und 60 Jahren, 76 alte Menschen über 60 Jahre. Die übrigen Opfer liegen auf den Friedhöfen der Gemeinden Grizzana, Monzuno und Marzabotto, weitere müssen als unauffindbar gelten."

Die deutschen Kriegsverbrechen gingen bis zum letzten Tag des Krieges weiter. Gerhard Schreiber zieht am Ende seines Buches folgende Bilanz: "Insgesamt starben zwischen dem 8. September 1943 und dem 8. Mai 1945 auf direkte oder indirekte Weise durch deutsche Hand ca. 46.000 Militärinternierte und Kriegsgefangene, 37.000 politisch Deportierte und 16.600 zivile italienische Staatsbürger, darunter rund 7.400 Juden. Das bedeutet, dass im statistischen Mittel - ohne die gefallenen Partisanen und regulären Soldaten - täglich 165 Kinder, Frauen und Männer jeden Alters ihr Leben verloren."

Parallelen zu heute

Studiert man diese unbeschreiblichen Verbrechen, die sie vorbereitende ideologische Kampagne sowie die Befehle und Anweisungen der Nazi- und Wehrmachtsführer, drängen sich unweigerlich Parallelen zur Praxis der Bush-Regierung im mittleren Osten auf: zum Massaker an Hunderten Kriegsgefangenen im afghanischen Masar-i-Scharif im November 2001, zum unprovozierten Angriffskrieg gegen den Irak im letzten Jahr und der seither andauernden Besatzung des Landes, zur Belagerung und Bombardierung von Falludscha und Nadschaf mit Hunderten von zivilen Opfern, zur systematischen Folter und Erniedrigung in den Gefängnissen von Abu Ghraib, Bagram und Guantanomo Bay und zur Einstufung von Widerstandskämpfern als "gesetzlose Kombattanten" - um nur die bekanntesten zu nennen.

Die ausdrückliche Zurückweisung der Genfer Konvention und des Internationalen Strafgerichtshofs sowie die Billigung der Anwendung von Folter auf höchster Ebene im sogenannten "Krieg gegen den Terrorismus" erinnern an die schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einige Hauptverantwortliche des Nazi-Regimes in Nürnberg vor ein internationales Gericht gestellt und als Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen. Doch das Interesse an einer weiteren Verfolgung der Nazi-Verbrechen kühlte schon kurze Zeit später wieder ab. Der Grund dafür lag vor allem in dem beginnenden Kalten Krieg gegen die Sowjetunion, bei dem die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland als Bündnispartner im Rahmen der Nato eine wichtige Rolle zu spielen hatte.

Viele, die sich in der Wehrmacht, im Verwaltungsapparat, in der Justiz und in der Wirtschaft die Finger schmutzig gemacht und an Verbrechen beteiligt hatten, wurden wieder gebraucht. Und eine Abrechnung der Arbeiterklasse mit dem gesellschaftlichen Nährboden des Naziregimes, dem kapitalistischen System, sollte unter allen Umständen verhindert werden. Insbesondere die deutsche Justiz hatte kein Interesse an der Aufarbeitung der Verbrechen der der Nazizeit, da viele der damals Verantwortlichen ihre Karrieren in der Bundesrepublik bruchlos fortgesetzt hatten.

Aber auch in Italien gab es - mit Ausnahme einiger Militärtribunale in der unmittelbaren Nachkriegszeit - kein allzu großes Interesse an der Strafverfolgung der nationalsozialistischen und faschistischen Verbrechen. Im April dieses Jahres schrieb die Frankfurter Rundschau anlässlich der Eröffnung des Prozesses in La Spezia: "Denn nicht nur in Deutschland mahlen die Mühlen der Justiz langsam, auch in Italien ließ man die Verfahren zu zahllosen Massakern deutscher Truppen gegen die Zivilbevölkerung in der Endphase des Zweiten Weltkriegs weitgehend versanden. Zu Anfang der fünfziger Jahre, als die Erinnerung noch frisch war und viele Täter - deutsche Soldaten und oft italienische Faschisten - noch greifbar gewesen wären, wurden viele Aktendeckel geschlossen."

Neben der Tatsache, dass die Bundesrepublik und Italien Bündnispartner in der Nato wurden, spielte auch die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dem Vorläufer der EU eine Rolle. Noch entscheidender war die Sorge der herrschenden Kreisen um das labile soziale Gleichgewicht und die Absicherung der bürgerlichen Herrschaft in Italien selbst. Denn auch in Italien wurde die Arbeiterklasse an einer wirklichen Abrechnung mit dem Faschismus und Kapitalismus gehindert.

Die zentrale Verantwortung dafür trägt die stalinistische Kommunistische Partei unter ihrem damaligen Führer Palmiro Togliatti. Togliatti hatte 18 Jahre im Exil, davon die längste Zeit in Moskau als enger Vertrauter Stalins verbracht, bevor er 1944 nach Italien zurückkehrte. Während viele Mitglieder und Unterstützer der Kommunistischen Partei in der Widerstandsbewegung gegen den Faschismus und die deutsche Besatzung kämpften, trat Togliatti als Vertreter der Kommunistischen Partei der bürgerlichen Koalitionsregierung in Rom bei, um das Überleben des Kapitalismus in Italien zu sichern. Er übernahm das Amt des Justizministers und des stellvertretenden Ministerpräsidenten.

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