Wenn Augusto Pinochet für seinen Massenmord Verhaftung, Anklage und Bestrafung verdient, was ist dann mit seinen amerikanischen Hintermännern - Henry Kissinger, dem damaligen CIA-Direktor Richard Helms und anderen hochrangigen Regierungsvertretern, die 1973 den Militärputsch in Chile inspirierten, leiteten und unterstützten?
Die offizielle amerikanische Reaktion auf Pinochets Verhaftung ist dem ehemaligen Diktator wohlgesonnen. Die Clinton-Regierung ist gegen seine Auslieferung, weil sie befürchtet, daß ein öffentlicher Prozeß in Spanien womöglich die Verwicklungen des amerikanischen Geheimdienstes in Pinochets Bluttaten ans Licht bringen könnte.
Pinochets Machtergreifung am 11. September 1973 war das Ergebnis einer langen amerikanischen Kampagne zur politischen Manipulation und Destabilisierung Chiles. 1964 gab die Johnson-Regierung viele Millionen Dollars für eine verdeckte Operation aus, um in den Präsidentschaftswahlen den Wahlsieg des Christdemokraten Eduardo Frei über den sozialistischen Kandidaten Salvador Allende zu garantieren.
Als 1970 Frei nicht mehr kandidieren durfte und Allende als Favorit für das Präsidentenamt galt, wurde Chile für die Nixon-Regierung zum Problem. Das streng geheime "Komitee der Vierzig", ein hochrangiges Gremium unter Leitung von Henry Kissinger, dem auch Vertreter des Außenministeriums, der CIA und des Pentagon angehörten, kam zum Schluß, daß bei einer massiven Wahlintervention der Schuß vermutlich nach hinten losgehen würde. Der US-Botschafter Edward Korry empfahl dringend eine verdeckte CIA-Operation zur Vorbereitung eines präventiven Militärputsches.
Kissinger erklärte: "Ich kann nicht einsehen, warum wir daneben stehen und zuschauen sollten, wenn ein Land kommunistisch wird, bloß weil seine eigene Bevölkerung nicht in der Lage ist, verantwortlich zu handeln." Aber er und der CIA-Direktor Helms waren dagegen, wie vorgeschlagen einen Putsch noch vor den Wahlen zu organisieren, weil das nicht durchführbar sei. Sie argumentierten, man brauche mehr Zeit.
Allende gewann die Wahl mit einem reformistischen Programm, aber sein Sieg war Auslöser für eine Massenbewegung der Arbeiterklasse und der armen Bauern, die ein ungeheures revolutionäres Potential entfalteten. Allende und seine stalinistischen Bündnispartner von der chilenischen Kommunistischen Partei hielten die nächsten drei Jahre die Massenbewegung zurück, sie entmutigten und desorientierten sie. Sie blockierten jede wirkliche Herausforderung der chilenischen herrschenden Klasse und des amerikanischen Imperialismus, während die rechten und faschistischen Elemente ihren Gegenangriff vorbereiten konnten. In jener Zeit kam es sechsmal zu erfolglosen Putschversuchen von rechts, die meistens mit direkter Unterstützung aus Amerika stattfanden.
Die USA waren bereits vor Allendes Wahlsieg in Putschpläne für Chile verwickelt, als unter dem Kodenamen FUBELT ein Aktionsplan vorbereitet und Kissinger vorgelegt wurde. Eine Gruppe von Offizieren, die unter Leitung der CIA handelte, ermordeten den Allende-freundlichen General René Schneider und versuchten ohne Erfolg, noch vor Allendes Amtsantritt einen richtigen Staatsstreich loszutreten.
Ein CIA-Telegramm vom 16. Oktober 1970, veröffentlicht unter dem Gesetz über Informationsfreiheit, nennt die Ziele der US-Regierung beim Namen: "Es ist nach wie vor unsere feste Politik, Allende durch einen Staatsstreich zu stürzen. ... Wir werden weiterhin ein Maximum an Druck erzeugen, um dieses Ziel zu erreichen, und jedes geeignete Mittel ergreifen. Diese Aktionen müssen unbedingt heimlich durchgeführt werden und es muß sichergestellt werden, daß die Rolle der USG und Amerikas im Verborgenen bleibt."
Die CIA baute nun eine faschistische Organisation auf, "Vaterland und Freiheit", die von einem ehemaligen PR-Mann der Fordwerke, Federico Willoughby McDonald, geführt wurde. Er sollte nach dem Putsch Pinochets Pressesprecher werden. Die CIA finanzierte "Operation Djakarta", einen Plan zur systematischen Ermordung der Führer von Allendes Volksfront-Regierung. Der Name der Operation war zu Ehren des blutigsten CIA-Erfolges gewählt, des Militärputschs von 1965 in Indonesien, bei dem eine Million Menschen hingemetzelt worden waren.
Wie schon in Indonesien half die CIA dem chilenischen Militär, Listen all derjenigen zu erstellen, die umgebracht werden sollten. Am 10. September 1973, dem Tag vor dem Staatsstreich der Junta, wurden die Namen von 3.000 hochrangigen und 20.000 mittleren Führern - von Gewerkschaften, Studentengruppen, Mieterinitiativen, Bauernkomitees, Bürgerrechtsgruppen und linken politischen Parteien - an die Todesschwadronen ausgeteilt. Buchstäblich alle, die nicht aus dem Land flüchten konnten, wurden in der Folge gejagt und ermordet.
In späteren nichtöffentlichen Aussagen vor einem Parlamentsausschuß erklärte der ehemalige CIA-Direktor William Colby, daß die Massenerschießungen "einem guten Zweck gedient" hätten, da sie einen Bürgerkrieg in Chile unwahrscheinlich gemacht hätten. Colby war auch in Vietnam nach einer ähnlich schrecklichen Logik vorgegangen, als er das Phoenix-Programm leitete, dem 20.000 mutmaßliche Gegner der US-Militärintervention zum Opfer fielen.
In seinen Memoiren leugnet Kissinger, daß die USA irgend eine Rolle bei dem Putsch gespielt hätten, indem er eisern daran festhält, diese bestens dokumentierten Fakten seien "von Kommunisten erfundene Mythen". Aber er konnte es nicht vermeiden, sich mit dem Pinochet-Regime zu identifizieren, als er schrieb: "Die chilenische Armee hat Chile vor einem totalitären Regime gerettet und den Vereinigten Staaten einen Feind erspart."
Alle amerikanischen Presseberichte über Pinochets Verhaftung wahren Stillschweigen über die Verantwortung der US-Regierung für den Putsch von 1973 und spielen das Ausmaß von Pinochets Verbrechen weitgehend herunter - indem sie zum Beispiel nur die von der CIA geschätzten 3.000 Opfer während und nach dem Putsch nennen, obwohl die meisten unabhängigen Quellen von bis zu 50.000 Toten sprechen.
Es war vorauszusehen, daß das Wall Street Journal die Festnahme dieses von ihm hoch geschätzten Weltführers scharf verurteilen würde. Der Leitartikel des Journals gießt Hohn und Spott über Spanien und England, weil sie Pinochet und nicht Fidel Castro festnahmen, und erklärt: "General Pinochet stand an der Spitze des Staatsstreichs, der sein Land rettete."
Wichtiger ist jedoch die Reaktion von Zeitungen des offiziellen Liberalismus, wie der New York Times und der Washington Post. Während sie die Aktion der britischen Regierung widerwillig gutheißen, befürchtet die Times, dies könnte von "Verbrecherstaaten wie dem Irak" zum Beispiel genommen werden, um internationale Unterstützung für die Verfolgung "ausländischer Führer, die sie bekämpften" zu fordern. Dies ist ein stillschweigendes Eingeständnis, daß das strikte Embargo von Bush und Clinton, das für den Tod von hunderttausenden irakischer Kinder verantwortlich ist, ebenfalls als Kriegsverbrechen geahndet werden könnte.
Die Post ergreift die Gelegenheit, Pinochets Verdienste als Herrscher von Chile zu preisen: "Er fegte eine demokratisch gewählte Regierung weg und überwachte die Tötung von Tausenden und Inhaftierung von Zehntausenden von 1973 bis 1990". ... "Aber er rettete auch sein Land und führte es in einer kontrollierten Entwicklung zu einer blühenden lateinamerikanischen Demokratie. So sind also nicht nur Chiles militärische Rechte, sondern auch andere, die ihm für seine positive Rolle dankbar sind, über seine Verhaftung beunruhigt."