Die Gewalt gegen die Minderheit der Roma in Ungarn hält unvermindert an. Dabei wird immer deutlicher, dass die rechte Regierung von Premier Victor Orban eng mit der neo-faschistischen Partei Jobbik paktiert und die Gewalt angesichts der massiven ökonomischen und sozialen Probleme des Landes gezielt schürt.
Am 20. August marschierten Mitglieder der paramilitärischen „Ungarischen Garde“ gegen Roma-Familien in der Stadt Cegled auf, die südöstlich der Hauptstadt Budapest liegt. Mehr als 400 teils uniformierte Gardisten und deren Sympathisanten marschierten durch die Roma-Siedlung am Rande der 40.000-Einwohner zählenden Stadt. Dabei brüllten sie Parolen wie „dreckige Zigeuner, wir bringen euch um“. Über rechtsradikale Internetportale und Radiosender hatten die Neofaschisten dazu aufgerufen, nach Cegled zu kommen, um sich an den Aktionen zu beteiligen.
In den Medien berichteten Augenzeugen von Pöbeleien gegen die Bewohner. Es sollen auch Schüsse gefallen sein. Dies geschah unter den Augen der Polizei, die vor Ort war und die Rechten lange gewähren ließ, bevor sie sie zum Abziehen nötigte.
Reporter des Wochenmagazins HVG berichteten, einige hundert Rechtsradikale hätten in einem Bauernhof in der näheren Umgebung einen Abgeordneten der rechtsextremen Partei Jobbik empfangen, der seine Unterstützung für die Aktion bekundet habe. Die „Ungarische Garde“ gilt als paramilitärischer Arm von Jobbik. Sie hat wiederholt gegen Roma mobil gemacht. So waren Anfang August rund tausend Rechtsextreme durch das Dorf Devecser in Westungarn gezogen.
Viele Roma sehen aufgrund der anhaltenden Bedrohung keine Zukunft mehr für sich in Ungarn. Allein in Kanada haben in den vergangenen zehn Monaten etwa 1.000 ungarische Roma um politisches Asyl ersucht.
Vordergründiger Anlass für die jüngste Hatz gegen Roma ist der Mord an der Polizeipsychologin Kata Bandy im Juli. Im Zusammenhang mit dem Mord wurde der Roma Laszlo P. festgenommen. Er war arbeitslos, lebte in überaus prekären Verhältnissen, ist mehrfach vorbestraft und hatte wegen Diebstahls und Raubes mehrere Jahre im Gefängnis verbracht. Regierungsnahe Medien brandmarkten Laszlo P. umgehend als „Mörder-Zigeuner“. Aufrufe zur „Endlösung der Zigeunerfrage” stachelten gezielt zu Gewalt gegen Roma an.
Der Roma-Aktivist Jenö Setet brachte die Stimmung der Roma mit den Worten zum Ausdruck: „Der Mord an Kata Bandy ist schrecklich, aber noch schrecklicher ist, dass wir seitdem kollektiv für schuldig erklärt werden und die staatlichen Institutionen nichts tun, um uns, die wir Bürger dieses Landes sind, besser zu schützen.“
Die Eltern von Kata Bandy hatten Medien und Politik in einer Presseerklärung ausdrücklich darum gebeten, den „Namen unserer Tochter nicht zum Vorwand für Hetze, Hass oder die Wiedereinführung der Todesstrafe zu missbrauchen“ – ohne Erfolg.
Sowohl Jobbik als auch die Regierungspartei Fidesz benutzen den Mord an Bandy, um die Einführung der Todesstrafe zu fordern. Jobbik, die bei den Wahlen 2010 17 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, führt eine groß angelegte Kampagne dafür. Jobbik-Chef Gabor Vona begründet die Forderung nach der Todesstrafe mit der frei erfundenen Behauptung, 90 Prozent aller Mörder seien „Zigeuner“, die Opfer hingegen zu 100 Prozent Ungarn.
Auch in der Regierungspartei Fidesz plädieren mehrere Politiker für die Einführung der Todesstrafe. Das verstößt zwar gegen die ungarische Verfassung und gegen EU-Recht, dennoch soll das Thema nach der parlamentarischen Sommerpause Anfang September in der Fidesz-Fraktion diskutiert werden.
Bereits seit mehreren Jahren kommt es in Ungarn zu Übergriffen und Bedrohungen von Roma. In den Jahren 2008/09 wurden in einer Mordserie mehrere ungarische Roma verletzt und sechs getötet, darunter ein Kleinkind. Die Morde fanden jeweils kurz nach Aufmärschen der Garde durch die Romasiedlungen statt. Der Prozess gegen vier tatverdächtige Mitglieder der Garde läuft seit über einem Jahr.
Höhepunkt der Hatz waren die Zusammenstöße in Gyöngyöspata im letzten Jahr. In der Gemeinde im Komitat Heves terrorisierten faschistische Gruppen monatelang die dort lebenden Roma.
Der regierende Fidesz stützt sich immer offener auf die extremen Rechten. Regierungschef Orban verurteilt zwar die Roma-Feindlichkeit als nicht hinnehmbar, fügt aber stets hinzu, die Roma müssten sich integrieren und arbeiten.
Vor Kurzem hat das ungarische Parlament auf Antrag von Jobbik eine Verschärfung des Strafgesetzbuches beschlossen, die die Beleidigung der „Heiligen Krone” und von Staatssymbolen wie der Hymne, der Flagge oder des Wappens mit einem Jahr Gefängnis bestraft. Fidesz besitzt im Parlament eine Zwei-Drittelmehrheit.
Die Zunahme der rechten Gewalt mit Duldung oder Unterstützung der Regierungspartei ist eine Reaktion auf die sich verschärfende wirtschaftliche und soziale Krise in Ungarn.
Das Land steckt inmitten einer Rezession und steigender Inflation. Im Juli belief sich die Teuerungsrate auf 5,8 Prozent, was weit über den Erwartungen der Analysten lag. Als Ursache führen Experten vor allem die Verteuerung der Lebensmittel an.
Für die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung werden die Lebensbedingungen unter den drastischen Sparmaßnahmen der Orban-Regierung und der extremen Teuerung immer unerträglicher. Ende Juni galten laut Daten der Ungarischen Nationalbank MNB 16,3 Prozent aller von Privathaushalten gehaltenen Kredite als „notleidend“, was bedeutet, dass die Schuldner mit mindestens einer Rate wenigstens 90 Tage in Verzug waren. Vor einem Jahr lag diese Zahl noch bei 11 Prozent.
Als Gründe für das Ansteigen der „faulen Kredite“ nennt die Ungarische Zentralbank die hohe Arbeitslosigkeit und das sinkende verfügbare Einkommen der meisten Schuldner. Dieses sank wegen steigender Steuern, der Auswirkung des einheitlichen Steuersatzes (Flat Tax) auf die untersten Einkommensschichten und wegen der steigenden Inflation. Sollte der Forint im Vergleich zum Euro weiter sinken, wird sich die Lage weiter verschärfen.