Die Obama-Regierung scheint bei ihrer Ankündigung, dass die letzten Truppen, die im Rahmen der Aufstockung Ende 2009 nach Afghanistan geschickt wurden, wieder aus dem vom Krieg zerstörten Land abgezogen wurden, wenig auf den großen Knall zu setzen, sondern mehr auf leise Töne. Insgesamt 33.000 US-Soldaten haben Afghanistan verlassen, 68.000 sind noch in den südlichen und östlichen Landesteilen eingesetzt.
Das Pentagon gab den Abzug in einer kurzen Presseveröffentlichung von US-Verteidigungsminister Leon Panetta während eines Besuchs in Neuseeland bekannt – dem Ort der Welt, der von den USA wie von Afghanistan am weitesten entfernt ist. Weder Präsident Obama noch der afghanische Präsident Hamid Karsai äußerten sich öffentlich darüber.
Panetta erklärte: „Wenn wir über diesen Moment reflektieren, können wir darauf hinweisen, dass die Truppenaufstockung ihre Ziele erreicht hat. Den Taliban wurde die Initiative auf dem Schlachtfeld genommen, die Größe und Fähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte dramatisch erhöht.“
Die auffallendste „Fähigkeit“ die die afghanischen Streitkräfte gezeigt haben, war jedoch, gegen ihre Herren von der Nato und den USA loszuschlagen. Bei „Grün gegen Blau“ Angriffen, in denen afghanische Soldaten und Polizisten auf amerikanische- und Nato-Soldaten das Feuer eröffneten, wurden mindestens 51 Menschen getötet und zahlreiche weitere verwundet.
Letzte Woche war das US-Militär gezwungen, die meiste direkte Zusammenarbeit mit den afghanischen Sicherheitskräften wegen der wachsenden Anzahl von „Insider“-Angriffen auf amerikanische- und Nato-Soldaten durch afghanische Soldaten und Polizisten zu beenden. Allein das lässt Panettas Erfolgsmeldungen lächerlich wirken.
Und obwohl die Obama-Regierung behauptet, die militärischen Fähigkeiten der Taliban und anderer Aufständischer stark „geschwächt“ zu haben, zeigt ein Vorfall vom 14. September, dass die Lage anders ist. Eine Gruppe von Aufständischen führte einen mutigen Frontalangriff auf einen stark verteidigten britischen Stützpunkt in der Provinz Helmand, brach durch die Verteidigung und zerstörte zahlreiche Flugzeuge am Boden.
Scheinbar um den absurd optimistischen Tonfall seiner Bemerkungen zu relativieren, erklärte Panetta auf einer Pressekonferenz in Auckland: „Keine Frage, es wird in dieser Kampagne weiterhin schwierige Zeiten geben (...) aber ich denke, wir sind auf der richtigen Spur.“
Als Reaktion auf Panettas Rede veröffentlichte die Washington Post, die wichtigste Tageszeitung der US-Hauptstadt einen giftigen Leitartikel mit dem Titel: „Auf der falschen Spur in Afghanistan.“ Die Post, die die Kriege im Irak, in Afghanistan und Libyen nachdrücklich unterstützte, warnte: „Die amerikanische Strategie in Afghanistan... könnte in größerer Gefahr sein als zu jedem anderen Zeitpunkt von Obamas Präsidentschaft.“
Die Zeitung schrieb, dass die politischen Auswirkungen der „Grün-gegen-Blau“-Angriffe „von hohen Regierungsmitgliedern und Kongressabgeordneten mit der Tet-Offensive im Vietnamkrieg verglichen werden, was ihre verheerenden Auswirkungen auf die Moral der Truppe und die niedrige Zustimmung der Öffentlichkeit zu dem Krieg angeht.“
Die Kriege in Vietnam und Afghanistan sind die beiden längsten, die der amerikanische Imperialismus geführt hat. Beide kapitalistischen Parteien, die abwechselnd in Washington an der Macht sind, sind gemeinsam für beide Blutbäder verantwortlich. Der Vietnamkrieg begann unter den Demokraten und wurde von den Republikanern zur Eskalation getrieben, schließlich endete er als historisches Debakel. Der Afghanistankrieg begann unter dem Republikaner George W. Bush und wurde von seinem Demokratischen Nachfolger zur Eskalation getrieben.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Natürlich gibt es viele Unterschiede zwischen den beiden vom Krieg zerstörten Ländern, was den historischen Kontext, die Geografie und die soziale Struktur angeht, aber sie haben etwas wichtiges gemeinsam: Die verheerenden Auswirkungen der amerikanischen Intervention auf die Bevölkerung in dem besetzten Land. Mehr als zwei Millionen Vietnamesen starben durch die amerikanische Aggression, viele davon durch Luftangriffe.
In Afghanistan war die Rolle der USA komplexer und indirekter, aber nicht weniger katastrophal. In mehr als 30 Jahren Krieg und imperialistischen Intrigen wurden Millionen getötet, verwundet oder vertrieben – von den Versuchen der Demokratischen Carter-Regierung eine pro-sowjetische Regierung zu schwächen, um die Sowjetunion zur Invasion zu provozieren und ihr ein „russisches Vietnam“ zu geben, über die Organisierung der später als Al-Qaida bekannten Terrororganisation unter Aufsicht der CIA, bis hin zur Machtübernahme der Taliban mit Unterstützung von Pakistan und den USA, und zum heutigen Antiterrorkrieg.
Der Rückzug der zusätzlichen Truppen stellt nicht das Ende, sondern eine neue Phase im Leid des afghanischen Volkes dar. Es befinden sich immer noch 68.000 US-Soldaten und große Kontingente von Nato-Truppen im Land, außerdem das korrupte Marionettenregime von Karsai in Kabul und verschiedener verfeindeter Warlords in anderen regionalen Zentren.
Die politische Begründung für die amerikanische Invasion von Afghanistan wurde durch die darauffolgenden Ereignisse widerlegt. Die Bush-Regierung behauptete – mit Unterstützung beider Parteien - der Sturz des Taliban-Regimes sei ein notwendiger erster Schritt im „weltweiten Krieg gegen den Terror“, der als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September begonnen wurde. Elf Jahre später ist Al-Qaida, angeblich immer noch das Ziel des Krieges in Afghanistan, ein wichtiger Verbündeter des US-Imperialismus beim Versuch, das Assad-Regime in Syrien zu stürzen und den Weg für einen direkten amerikanischen Angriff auf den Iran freizumachen. Der Krieg in Afghanistan geht dabei weiter.
Die politische Initiative zur Beendigung dieses Gemetzels wird von keiner Sektion der herrschenden Elite Amerikas kommen, noch viel weniger von den pseudolinken kleinbürgerlichen Gruppen, die behaupten, gegen die imperialistischen Kriege der Republikaner zu sein, während sie diejenigen der Demokraten verteidigen. Es fällt der amerikanischen und der internationalen Arbeiterklasse zu, eine Massenbewegung gegen imperialistische Kriege aufzubauen, den Abzug aller US- und Nato-Truppen aus Afghanistan zu fordern, sowie Milliarden Dollar Hilfsgelder bereitzustellen, um das zerstörte Land wieder aufzubauen und die Verantwortlichen für den Beginn und die Fortsetzung dieses Blutbades wegen Kriegsverbrechen anzuklagen.