Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union ist rein politisch motiviert. Sie soll all jenen den Rücken stärken, die im Namen der Verteidigung der EU die brutalsten Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung seit den 1930er Jahren durchführen.
Das fünfköpfige Nobelpreiskomitee des norwegischen Parlaments hat seine Wahl mit dem „erfolgreichen Kampf der EU für Frieden und Versöhnung und für Demokratie und Menschenrechte“ begründet. Es erinnert an „das furchtbare Leiden im Zweiten Weltkrieg“ sowie an die drei Kriege, die Deutschland und Frankreich über einen Zeitraum von 70 Jahren gegeneinander geführt haben, und behauptet: „Heute ist ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar.“
Damit stellt es die Wirklichkeit auf den Kopf. Seit der Vertrag von Maastricht vor zwanzig Jahren die Grundlage für die Europäische Union legte, hat es keinen Krieg und kein imperialistisches Verbrechen gegeben, an dem die EU oder einige ihrer führenden Mächte nicht beteiligt waren – angefangen beim ersten Irakkrieg über die Bombardierung Jugoslawiens, den Afghanistankrieg, den zweiten Irakkrieg und in jüngerer Zeit den Krieg gegen Libyen und die Kriegsvorbereitungen gegen Syrien und Iran.
Und was die „Undenkbarkeit“ von Kriegen innerhalb Europas betrifft, so reproduziert das unerbittliche Spardiktat der EU all jene sozialen und nationalen Spannungen, die den Kontinent zwischen 1914 und 1945 in den Schauplatz zweier Kriege und der schlimmsten Verbrechen der Weltgeschichte verwandelt haben.
Weit davon entfernt, „Demokratie und Menschenrechte“ zu fördern, ist die EU heute die wichtigste Quelle sozialer Ungleichheit, nationaler Spannungen und autoritärer Herrschaftsformen in Europa. Sie verkörpert die Diktatur des Finanzkapitals über alle Aspekte des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, erzwingt soziale Kürzungen gegen den ausdrücklichen Willen der großen Mehrheit der Wähler und setzt – wie in Italien und Griechenland geschehen – technokratische an die Stelle gewählter Regierungen, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, das Diktat der EU gegen den Widerstand der eigenen Bevölkerung durchzusetzen. Mit ihrer rücksichtslosen Verfolgung von Flüchtlingen und Migranten stärkt sie außerdem rechtsextreme Organisationen.
Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU ist ein Schlag ins Gesicht von Millionen europäischen Arbeitern, die ihre sozialen und demokratischen Rechte gegen das Diktat aus Brüssel verteidigen. Die Drohung, die das Nobelpreiskomitee mit der Preisvergabe verbindet, ist unmissverständlich: ‚Widersetzt Ihr Euch dem Diktat der EU und riskiert deren Scheitern, dann fällt Europa in Krieg und Diktatur zurück.‘
Diese Drohung ist ebenso verlogen wie falsch. Europa kann nur vereint werden und seine Einwohner können nur in Frieden und Wohlstand zusammenleben, wenn die Macht der Finanzmärkte gebrochen und die soziale Ungleichheit überwunden wird. Das erfordert den Zusammenschluss und die Mobilisierung der europäischen Arbeiterklasse gegen die EU und deren Ablösung durch Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa.
Für unzählige europäische Arbeiter und Jugendliche ist die Europäische Union zum Synonym für Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und bürokratische Arroganz geworden. Sie reagieren auf die Verleihung des Friedensnobelpreises mit Abscheu und Verachtung. Umso begeisterter wird sie von den Medien und dem gesamten offiziellen Parteienspektrum aufgenommen. Selten zuvor ist eine derart abwegige Entscheidung auf so einhelliges – und derart verlogenes – Lob gestoßen.
Herman von Rompuy und José Manuel Barroso, die beiden führenden Köpfe der EU, bezeichneten den Preis als „größtmögliche Anerkennung für die einzigartige Anstrengung zur Überwindung von Krieg und Teilung, um gemeinsam einen Kontinent von Frieden und Wohlstand zu schaffen“. Bundeskanzlerin Angela Merkel, treibende Kraft des Sparkurses der EU, wertete ihn als Bestätigung, dass der Euro mehr sei „als eine Währung, weil es am Ende um die Idee Europas als einer Friedens- und Wertegemeinschaft“ gehe.
Die Fraktionschefs der Grünen im Bundestag, Renate Künast und Jürgen Trittin, kommentierten: „Das erfolgreichste Friedensprojekt in der Geschichte des europäischen Kontinents hat den Friedensnobelpreis erhalten.“ Und auch Gabi Zimmer, Fraktionsvorsitzende der Europäischen Linken im Europaparlament, äußerte ihre Freude, „dass mit dieser Auszeichnung an die positiven Werte der EU erinnert wird“.
Der Friedensnobelpreis wird nicht zum ersten Mal aus durchsichtigen politischen Motiven verliehen. Es fällt sogar schwer, in der 111-jährigen Geschichte des Preises einen Fall zu finden, bei dem dies nicht so war. Gestiftet von Alfred Nobel, der mit der Erfindung des Dynamits die Vernichtungskraft von Bomben, Minen und Kanonen vervielfachte und damit ein Vermögen verdiente, war die Vergabe des Preises stets von Unaufrichtigkeit und Heuchelei geprägt.
Zu den Empfängern zählen neben politischen Reaktionären wie Henry Kissinger (1973), Menachem Begin (1978) und Frederik Willem de Klerk (1993) auch insgesamt vier amerikanische Präsidenten – Theodore Roosevelt (1906), Woodrow Wilson (1919), Jimmy Carter (2002) und Barack Obama (2009).
Die Preisverleihung an Obama vor drei Jahren war besonders bizarr, befand er sich doch erst seit neun Monaten im Amt und knüpfte nahtlos an die Kriegspolitik seines Vorgängers an. Wohlwollende Kommentare werteten den Preis deshalb als „symbolischen Vorschuss“, als „Ermutigung“, vom Kurs George W. Bushs abzurücken. In Wirklichkeit stellte das Komitee Obama mit der Preisverleihung einen Freibrief aus. Es signalisierte dem Oberbefehlshaber des stärksten Militärapparats der Welt, dass er sich der Unterstützung der liberalen europäischen Öffentlichkeit sicher sein könne, egal was er tut.
Das hat sich seitdem bestätigt. Obama hat die Politik seines Vorgängers nahtlos fortgeführt. Guantanamo ist weiterhin offen, er lässt politische Gegner durch Drohnen ermorden, hat den Krieg in Afghanistan verschärft, hat einen neuen Krieg in Libyen geführt und bereitet ein militärisches Eingreifen in Syrien und einen Krieg gegen Iran vor – und wird dabei von nahezu allen ehemaligen Kritikern der Bush-Administration unterstützt.
Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die EU und die Begeisterung, auf die sie in den Medien und unter ehemals liberalen oder linken Schichten der Mitteklasse stößt, zeigt, dass nicht nur die soziale, sondern auch die politische Polarisierung in Europa weit fortgeschritten ist. Während sich die Wirtschaftskrise verschärft und Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ungleichheit wachsen, sammeln sich diese Schichten hinter der EU und anderen Bastionen der Reaktion, während wachsende Teile der arbeitenden Bevölkerung mit ihnen in Konflikt geraten. Dieser Gegensatz muss sich zwangsläufig in gewaltigen Klassenkämpfen entladen.