Julian Assange gab der World Socialist Web Site diese Woche ein Interview. Er sprach über die amerikanischen Angriffe auf WikiLeaks, die Pressefreiheit und andere demokratische Grundrechte, sowie über das bevorstehende Urteil des britischen obersten Gerichtshofs in seinem Berufungsverfahren gegen die Auslieferung an Schweden aufgrund inszenierter Vorwürfe sexueller Belästigung.
Der Gründer von WikiLeaks wurde weder in Schweden, Großbritannien noch sonst einem Land wegen eines Verbrechens angeklagt. Trotzdem stand er über 450 Tage unter Hausarrest, musste eine elektronische Fußfessel tragen, hatte ab zehn Uhr abends Ausgangssperre und musste sich täglich bei der Polizei melden.
Richard Phillips: Können Sie etwas über die neuesten Details der Anklage einer Grand Jury in den USA sagen, und was passiert, wenn Sie an Schweden ausgeliefert werden?
Julian Assange: Die neuen Erkenntnisse aus den Akten von Stratfor – E-Mails einer privaten Sicherheitsfirma aus Texas – zeigen, dass die US-Regierung eine geheime Anklage einer Grand Jury gegen mich in der Hand hat. Der amerikanische Botschafter in Großbritannien, Louis Susman, sagte im Februar 2011, die US-Regierung würde abwarten, was aus dem Auslieferungsantrag nach Schweden wird, und dann möglicherweise selbst eine Auslieferung anstreben.
Auch der amerikanische Botschafter in Australien, Jeffrey L. Bleich, erklärte der Presse eine Woche vor Obamas letztem Besuch, die australische Regierung müsse sich an ihre Pflicht erinnern, mich auszuliefern, vermutlich im Fall, dass ich nach Australien zurückkehre. WikiLeaks ist nicht nur mit rechtlichen Angriffen auf sein Personal konfrontiert, sondern auch mit einer außergerichtlichen Finanzblockade. Etwa 40 Menschen sind bei Operationen des FBI, von Scotland Yard und anderen Polizeikräften ins Visier geraten.
Was die ausstehende Entscheidung des Surpreme Court über den Auslieferungsantrag angeht: Wenn das Berufungsverfahren scheitert, werde ich vermutlich innerhalb von zehn Tagen nach Schweden ausgeliefert, dann vielleicht weiter in die Vereinigten Staaten. Selbst wenn das Verfahren erfolgreich endet, wird die Situation ähnlich sein, weil die Vereinigten Staaten dann ihre Anklage wegen Spionage vorbringen und dann direkt von Großbritannien meine Auslieferung fordern werden.
Natürlich würde nichts davon passieren, wenn es nicht politisch durchsetzbar wäre. Wenn ein Gerichtsverfahren genug öffentlichen Wirbel verursacht, wird es für die Regierung zur politischen Frage.
RP: Haben Sie detaillierte Informationen darüber, inwieweit Großbritannien, die USA und Schweden zusammen daran arbeiten, Sie auszuliefern?
JA: Was wir öffentlich sagen können, ist, dass die Zeitung The Independent schon am 8. Dezember 2010 einen Bericht veröffentlichte, laut dem es bereits informelle Kontakte zwischen den USA und Schweden wegen meiner Auslieferung gab. Die australische Botschaft in Washington hat außerdem zu dieser Zeit ein Telegramm nach Canberra geschickt, laut dem die amerikanischen Geheimdienste und Ermittlungsbehörden in „beispiellosem Ausmaß“ gegen WikiLeaks ermitteln. Es heißt auch, dass die Strafverfolgung in meinem Fall „aktiv und dynamisch“ arbeitet. Dieses Material wurde unter Berufung auf das Gesetz über Informationsfreiheit zusammengestellt und vor ein paar Monaten im Sydney Morning Herald veröffentlicht.
Die britische Justiz hat es abgelehnt, Schriftwechsel über eine mögliche Auslieferung unter Berufung auf die Informationsfreiheit freizugeben. Die Begründung dafür war, es würde Großbritanniens diplomatische Beziehungen zu anderen Ländern gefährden. Mitte letzten Jahres traf sich der britische Ausschuss für die Auslieferungsreform, der vom Innenminister ernannt wurde, mit dem amerikanischen Justizminister Eric Holder und mehreren Mitgliedern des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Es gab außerdem in letzter Zeit Treffen mit dem schwedischen Außenminister Carl Bildt (übrigens ein enger Freund des ehemaligen Stabschefs des Weißen Hauses Karl Rove) und dem britischen Außenminister William Haig.
RP: Können Sie etwas über die Rolle der Gillard-Regierung in Australien sagen?
JA: Die Gillard-Regierung hat von allen Nationen am heftigsten auf die Aktivitäten von WikiLeaks reagiert, vor allem auf die Veröffentlichung der diplomatischen Telegramme. Gillard behauptete zu Unrecht, unsere Organisation hätte illegal gehandelt. Bei Ermittlungen der australischen Bundespolizei stellte sich dies als unwahr heraus.
Zusammen mit dem Justizminister stellte sie eine „Task Force“ aus allen Teilen der Regierung gegen WikiLeaks auf. Beteiligt waren die Bundespolizei, der Auslandsgeheimdienst ASIS, der Inlandsgeheimdienst ASIO, das Verteidigungsministerium und das Justizministerium. In der Öffentlichkeit hat Gillard uns mit keinem Wort unterstützt, und aus dem Privaten ist uns auch nichts bekannt.
RP: Die Privatmedien behaupten, die Finanzblockade gegen WikiLeaks durch PayPal, Mastercard, Visa, usw. hätte die Organisation zerschlagen. Was sagen Sie dazu?
JA: Wir haben zwei Gerichtsverfahren gegen die Blockade laufen, und eine Beschwerde an die Europäische Kommission, von der ein vorläufiges Urteil überfällig ist. Durch die Blockade sind zwar 95 Prozent des Einkommens von WikiLeaks weggebrochen, aber die Organisation ist auf der ganzen Welt noch immer sehr populär, sodass wir dennoch weitermachen können.
RP: Wird WikiLeaks Informationen über die Kriegsvorbereitungen gegen Syrien veröffentlichen?
JA: Ja. Wir haben letzte Woche Informationen darüber veröffentlicht und wir werden weitermachen. Im Dezember haben wir einen sehr interessanten Bericht über die Arbeit der Spezialeinheiten in Syrien veröffentlicht.
RP: Haben Sie die World Socialist Web Site gelesen, und wenn ja, was halten Sie davon? Was müssen WSWS-Leser anderen über die politische Bedeutung der Angriffe auf Sie und WikiLeaks erklären?
JA: Ich lese die World Socialist Web Site seit vielen Jahren. Ich bewundere das einfache Layout der Artikel, die meist akkurat geschrieben sind, wenn sie nicht in sozialistisches Sektierertum abgleiten. Ich würde Ihren Lesern folgendes empfehlen: Beteiligen Sie sich an Friends of WikiLeaks unter wlfriend.org; Lesen Sie die Fakten auf Justice4assange.com, anstatt der Hetze in den Medien; folgen Sie WikiLeaks auf Twitter; korrigieren Sie Verleumdungen, wo immer Sie sie sehen; und helfen Sie dabei, die Ideale von WikiLeaks am Arbeitsplatz, in der Familie und im Freundeskreis durchzusetzen.
WikiLeaks kämpft als Organisation für gerechte Reformen und die Verbreitung bestimmter Werte. Wenn wir erfolgreich für Gerechtigkeit kämpfen und andere dazu bringen, unsere Werte zu übernehmen, werden wir erfolgreich sein, trotz aller Angriffe auf die Organisation.
RP: Wie sehen Sie die Angriffe auf Sie und WikiLeaks vom Standpunkt wahrheitsgemäßen Journalismus‘ und dessen Zukunft?
JA: Die Angriffe auf uns sind sehr aufschlussreich. Ja, wir haben in den letzten Jahren viele wichtige Informationen über die Aktivitäten der US-Regierung und anderer Länder veröffentlicht, aber die Gegenreaktion – die Angriffe auf uns – zeigen viel darüber, wie Regierungen und Politik heute funktionieren.
Die US-Regierung versucht, eine neue Auslegung von Journalismus durchzusetzen. Sie will alle Informationen von Informanten zur Verschwörung erklären. Mit anderen Worten, sie will, dass Journalisten nur noch passive Sprachrohre für andere Kräfte sind. Aber das ist nicht der traditionelle Umgang von Journalisten mit der nationalen Sicherheit. Wenn die US-Regierung damit Erfolg hat, wird es im Westen das Ende der Berichterstattung über nationale Sicherheit sein, wie wir sie kennen.
Auch andere Länder haben ihr eigenes Vorgehen gegen Journalisten mit den Angriffen auf uns gerechtfertigt. Beispielsweise sitzen zurzeit zwei schwedische Journalisten in Äthiopien im Gefängnis. Sie recherchierten über einen schwedischen Ölkonzern namens Lundin – der schwedische Außenminister Carl Bildt war übrigens früher Direktor des Unternehmens –, aber sie wurden in Äthiopien wegen „Terrorismus“ zu elf Jahren Haft verurteilt. Der äthiopische Premierminister erklärte, es sei völlig gerechtfertigt, Journalisten so zu behandeln, und begründete das mit dem Verfahren gegen mich.
In dem Verfahren gegen WikiLeaks geht es um politische Fragen, deshalb sind sie von öffentlichem Interesse. Meine Botschaft an die Menschen überall lautet: Wartet nicht, bis WikiLeaks bankrott ist, oder bis seine Mitglieder an die USA ausgeliefert werden, dann ist es zu spät zum Handeln. Wenn wir jetzt entschlossen vorgehen, werden wir Erfolg haben. WikiLeaks genießt viel Unterstützung, und wir haben jetzt Kampferfahrung. Wir geben nicht kampflos auf, und wenn wir alle zusammenhalten, werden wir siegen.