NRW-Wahl: Keine Wahl für Arbeiter

Am Sonntag wird im einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) der Landtag neu gewählt. Über ein Fünftel der deutschen Bevölkerung ist zu den Wahlen aufgerufen. Der Landtag war vorzeitig aufgelöst worden, weil die rot-grüne Minderheitsregierung unter Ministerpräsidenten Hannelore Kraft (SPD) keine Mehrheit für ihren Haushalt bekommen hatte. Zuvor hatte sie sich meist auf die Stimmen der Linkspartei gestützt.

Alle Umfragen sagen einen deutlichen Wahlsieg der SPD voraus. Ob SPD und Grüne die angestrebte Regierungsmehrheit gewinnen können, hängt allerdings vom Abschneiden kleinerer Parteien ab. Vor allem der als sicher geltende Einzug der Piratenpartei in den Landtag könnte eine rot-grüne Mehrheit gefährden. Auch die FDP, deren Spitzenkandidat Christian Lindner als Gegner des Bundesvorsitzenden Philipp Rösler gilt, liegt wieder über 5 Prozent. Die Linkspartei wird den erneuten Einzug in den Düsseldorfer Landtag dagegen höchstwahrscheinlich verfehlen.

NRW ist stark von der Wirtschaftskrise gezeichnet. Vor allem in Teilen des Ruhrgebiets, das sich nie vom Niedergang der Stahl- und Bergbauindustrie erholt hat, herrscht bittere Armut. Doch für Arbeiter gibt es bei der Landtagswahl am Sonntag keine Wahl. Alle Parteien wetteifern darum, wer die öffentlichen Ausgaben am wirkungsvollsten kürzen kann.

Die rot-grüne Minderheitsregierung hatte die Neuwahlen im März mit einem parlamentarischen Manöver in der Hoffnung provoziert, für die bevorstehenden sozialen Angriffe eine stabilere Regierungsmehrheit zu bekommen. SPD und Grüne haben beide erklärt, dass sie die gesetzlich verankerte Schuldenbremse einhalten und die Neuverschuldung bis 2020 auf null zurückführen werden.

In einer Antwort an Leser des Handelsblatts brüstete sich Kraft damit, schon im Haushalt 2011 die Neuverschuldung um 620 Millionen Euro verringert zu haben. „Unser Haushaltsentwurf für 2012 sah weitere Einsparungen von 750 Millionen Euro vor und die Eckwerte für das Jahr 2013 von gut einer Milliarde Euro.“

Die Erhöhung der Einnahmen, die Kraft und andere Parteivertreter im Partei-Programm, in Interviews und öffentlichen Diskussionen fordern, sind Wahlversprechen, die niemand einzuhalten gedenkt. Über die Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften, die höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen, die Finanztransaktionssteuer und ähnliches wird nicht im Land, sondern im Bund entschieden. Viele dieser Steuern sind von der SPD und den Grünen, die nun ihre Wiedereinführung fordern, während ihrer Regierungszeit von 1998 bis 2005 abgeschafft worden.

Bei Finanzfragen, die direkt das Land betreffen, ist Kraft im Handelsblatt sehr konkret: „Außerdem müssen wir überlegen, von welchen Aufgaben sich der Staat zukünftig trennen kann. Hierfür haben wir ein Effizienzteam eingesetzt, das den Haushalt auf solche Posten hin untersucht.“

Kraft stützt sich bei ihrer Kürzungspolitik auf die Gewerkschaften und Betriebsräte des Landes. Den nordrhein-westfälischen DGB-Vorsitzenden Guntram Schneider hat sie zu ihrem Arbeitsminister gemacht. Mit der Änderung des „Landespersonalvertretungsgesetzes“ hat sie 2011 den Gewerkschaften und Betriebsräte im öffentlichen Dienst wieder zur Mitsprache bei der Umsetzung der Kürzungen verholfen. Die schwarz-gelbe Landesregierung von Jürgen Rüttgers hatte die Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften 2007 beschnitten.

CDU, FDP und auch die Linkspartei unterstützen die von SPD und Grünen propagierten Haushaltskürzungen. CDU und FDP stellen Kraft in ihrem Wahlkampf als „Schuldenkönigin“ dar und verlangen noch weiter gehende Sparmaßnahmen.

Die Linkspartei begründet ihre Existenzberechtigung mit dem Argument, sie könne die SPD zur Durchsetzung ihrer Wahlversprechen zwingen. Bei den Haushalten 2010 und 2011 hatte die Linkspartei der rot-grünen Minderheitsregierung von Kraft die Mehrheit gesichert. Auch sonst war die Linkspartei die wichtigste Stütze der rot-grünen Minderheitsregierung. Allein im ersten Jahr stimmte sie in fast 300 Abstimmungen mit der Regierung.

Auch die Piratenpartei hat schon angekündigt, eine neue rot-grüne Regierung unter Kraft je nach Thema zu unterstützen. In einem Positionspapier zur Finanzpolitik hat sie sich ausdrücklich zu „solider Haushaltspolitik und Ausgabendisziplin“ bekannt. Dazu gehöre auch „ein ausgeglichener Landeshaushalt“. Das ist ein kaum verdecktes Bekenntnis zur Schuldenbremse und massiven Kürzungen im Sozialbereich.

Die Wahlen in NRW haben schon häufig wichtige Weichen für die Bundespolitik gestellt. So bereitete die SPD-FDP-Landesregierung unter Sozialdemokrat Heinz Kühn 1966 die Machtübernahme der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt 1969 vor. 1995 leitete die rot-grüne Landesregierung unter Johannes Rau (SPD) den Wahlsieg von Rot-Grün unter Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) 1998 im Bund ein, und 2005 führte die Niederlage der SPD in NRW zu deren vorzeitigem Ende. Die Landtagswahlen in NRW werden deshalb oft als „kleine Bundestagswahl“ bezeichnet.

SPD und Grüne hoffen darauf, nach einem Wahlsieg in NRW spätestens im Herbst 2013 auch im Bund wieder die Regierung zu stellen. Während sie das Spardiktat und den Sozialabbau der Regierung Merkel voll unterstützen, versuchen sie die Illusion zu erwecken, dieses lasse sich mit Investitionen in Konjunkturprogramme, Bildung, Forschung, Kultur etc. verbinden. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der von ihnen geforderte „Wachstumspakt“ allerdings als weitere Deregulierung der Arbeitsmärkte.

Als der CDU-Spitzenkandidat, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, die NRW-Wahl Anfang der Woche zu einer Abstimmung über Kanzlerin Angela Merkels (CDU) Sparkurs in Europa erklärte, reagierte die Berliner CDU-Zentrale mit Panik. Röttgen musste seine Äußerungen zurücknehmen. Auf keinen Fall möchte Merkel das sich abzeichnende schlechte Wahlergebnis ihres Zöglings Röttgen als Votum gegen ihren Austeritätskurs verstanden wissen.

NRW mit seinen achtzehn Millionen Einwohnern ist tief sozial gespalten. Arbeitslosigkeit und Armut konzentrieren sich insbesondere im Norden des Ruhrgebiets. Eine Fahrt mit dem Regionalzug durch das nördliche Ruhrgebiet von Dortmund über Castrop-Rauxel, Herne, Wanne-Eickel, Gelsenkirchen, Altenessen und Oberhausen nach Duisburg ist für Außenstehende ein Schock: Verfallene Bahnhöfe, Industriebrachen, heruntergekommene, verwahrloste Stadtteile auf einer Strecke von rund 70 Kilometern.

Die Kommunen NRWs sind fast alle hoch verschuldet. Nur wenige der fast 400 Städte und Gemeinden haben einen ausgeglichenen Haushalt. Die Landesregierung von Kraft hat daher einen „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ verabschiedet, der angeblich im Interesse der Kommunen sei. Doch seine Auswirkungen sprechen eine andere Sprache. Den überschuldeten Kommunen werden nur „Hilfsgelder“ zugesichert, wenn sie drastische Kürzungen durchsetzen.

Die Stadt Duisburg, die einmalig 52 Millionen Euro aus diesem Pakt erhalten wird, muss im Gegenzug ab 2020 rund 80 Millionen Euro jährlich einsparen. Die Duisburger Stadtverwaltung hat in der letzten Woche Sparvorschläge unterbreitet, die die Wahlslogans der SPD als Lügen entlarven.

Die Sparliste beinhaltet u. a. die Streichung weiterer 275 Arbeitsplätze (680 waren schon beschlossen), die Schließung von fünf der 13 Stadtteilbibliotheken, der Einstellung des Bücherbusses, die Aufgabe von drei Schwimmbädern, zwei Flüchtlingsheimen und der Sprachförderung im Kindergarten, die Verteuerung der Angebote der Volkshochschule und die Erhöhung der Kindergartengebühren (Letzteres aufgrund von Vorgaben der Landesregierung). Die Zuschüsse für den Öffentlichen Nahverkehr werden gestrichen, die Hilfe für die Aids-Beratung und Psychiatrische Hilfsvereine gekürzt.

In der Kultur sollen 7 Millionen Euro allein durch die Kündigung der jahrzehntelangen Partnerschaft mit der Oper am Rhein in der Landeshauptstadt Düsseldorf eingespart werden. Mittelfristig ist dies nicht nur kulturell ein Verlust, sondern gefährdet durch die ausbleibenden Gastspiele auch die Arbeitsplätze der Beschäftigten des Stadttheaters und der weit über die Stadtgrenzen bekannten Duisburger Philharmoniker.

Einsparungen erhofft sich die Verwaltung auch von einem erhöhten Druck auf die Ärmsten. Das Sozialamt soll die Empfänger von Hartz IV und anderen Sozialhilfegeldern verstärkt kontrollieren. Im Sozialdezernat, wo ohnehin fast ausschließlich gesetzliche Pflichtleistungen bezahlt werden, sollen dennoch insgesamt 8,5 Millionen Euro eingespart werden.

Das ist die rot-grüne „Alternative“ zur Sparpolitik der CDU und FDP, wie sie Bundeskanzlerin Merkel in Deutschland und Europa durchsetzt. Für Arbeiter ist es die Wahl zwischen Pest und Cholera.

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