Angesichts der Verschärfung der Syrien-Krise wird die russische Armee laut einem Bericht der Nezavisimaya Gazeta offenbar auf einen Einsatz in Syrien vorbereitet. Die Zeitung schrieb am 6. Juni unter Berufung auf anonyme Quellen in der Militärführung, dass der russische Präsident Wladimir Putin dem Generalstab die Aufgabe gegeben habe, einen Plan für Truppeneinsätze außerhalb Russlands, unter anderem in Syrien, auszuarbeiten.
Zu einer möglichen Intervention werden die 76. Division der Luftlandetruppen (einer besonders erfahrenen Einheit der russischen Armee), die 15. Armeedivision, sowie Spezialeinheiten einer Brigade der Schwarzmeerflotte vorbereitet, die einen Stützpunkt im syrischen Hafen Tartus hat. Die Details des Einsatzplans sollen von Arbeitsgruppen der Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit, dem ein Großteil der post-sowjetischen Staaten angehört, sowie der Shanghaier Kooperationsorganisation, der neben Russland auch China angehört, ausgearbeitet werden. Dem Zeitungsbericht zufolge hängt ein Einsatz von der politischen Entscheidung der russischen Regierungsführung und der UN ab. Allerdings seien die Pläne auch für den Fall angelegt, dass die Truppen selbständig, ohne Zustimmung der UN, eingreifen würden. Die russische Regierung hat die Meldung bislang nicht bestätigt.
Am Montag wurden vor der syrischen Küste drei russische Kriegsschiffe gesichtet. Eine anonyme Quelle aus der russischen Regierung erklärte gegenüber der iranischen Zeitung Tehran Times, Russland wolle der NATO auf diese Weise zeigen, dass Moskau keine Kriegsoperation gegen Damaskus unter dem Deckmantel einer humanitären Mission zulassen werde.
Zuvor hatte der Generalsekretär der Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit, Nikolaj Bordjusha, den Einsatz von „Friedenstruppen“ in Syrien in Aussicht gestellt. „Die Aufgabe in Syrien wird wahrscheinlich sein, Frieden durchzusetzen – in erster Linie gegen die Aufständischen, die Waffen benutzen, um politische Probleme zu lösen.”
Russland stellt sich gemeinsam mit China strikt gegen eine militärische Intervention der NATO in Syrien und hat bereits zwei UN-Resolutionen blockiert. Die USA und ihre Verbündeten, allen voran die Türkei, Saudi Arabien und Frankreich, haben in Syrien einen Bürgerkrieg entfacht und rüsten die so genannten Rebellen, die hauptsächlich aus Islamisten, Ex-Regierungsmitgliedern oder Al-Quaida-Terroristen bestehen, systematisch mit Waffen aus. Die Türkei wird immer mehr zu dem Land, das für die USA einen Stellvertreterkrieg in Syrien führt.
In den vergangenen Wochen haben sich die Rufe nach einer militärischen Intervention in Syrien verstärkt. So sprach sich der französische Präsident François Hollande nach dem Massaker in Houla für eine militärische Intervention aus. Für dieses Massaker macht der Westen ohne jede Beweise die Regierung von Bashar el-Assad verantwortlich. Auch die deutschen Eliten diskutieren offen über einen möglichen Militäreinsatz. Die Bundesregierung hat bisher erfolglos versucht, Russland in der Frage zu Zugeständnissen zu drängen.
Russland schließt zwar eine „politische Lösung“ nicht aus, d.h. einen langsamen Übergang vom Assad-Regime zu einer anderen Regierung, doch der Kreml will einen gewaltsamen Sturz Assads durch den Westen aus mehreren Gründen um jeden Preis verhindern, ob er nun durch eine direkte militärische Intervention der NATO, oder durch die vom Westen ausgerüsteten Rebellen herbeigeführt wird. Der russische Premierminister Dmitrij Medwedew hat erst vor zwei Wochen gewarnt, dass eine militärische Intervention in Syrien schnell zu einer Eskalation und dem Einsatz von Atomwaffen führen könnte.
Moskau und Syrien unterhalten schon seit Sowjetzeiten enge Verbindungen, vor allem in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Noch wichtiger ist jedoch, dass ein Krieg gegen Syrien eine Eskalation der US-Aggression im Nahen Osten bedeuten würde. Die USA haben ihren Einfluss in der Region durch die Kriege gegen Afghanistan und den Irak bereits bedeutend ausgeweitet. Darüber hinaus haben sie Militärbasen in fast allen Ländern der Region: Pakistan, Kuwait, Bahrain, Katar, der Türkei, Usbekistan, Kirgisistan, Saudi-Arabien, Oman und Turkmenistan sowie einigen anderen kleineren Staaten. Inzwischen sind Syrien und der Iran, die von US-Militärbasen praktisch umzingelt sind, die letzten Bastionen Russlands und Chinas im Nahen Osten gegen das Vordringen der USA geworden.
Ein Regime-Wechsel in Damaskus würde höchstwahrscheinlich eine sunnitische Regierung an die Macht bringen, die eng mit Saudi Arabien und den USA gegen Russland und China zusammen arbeiten würde. Zudem drohen eine Eskalation des Bürgerkrieges in Syrien, der bereits in vollem Gange ist, und eine militärische Intervention, den gesamten Nahen Osten in Brand zu stecken. Ein Krieg der NATO gegen Syrien wäre ein unmittelbares Vorspiel für einen Krieg gegen den Iran. Ein Angriff auf den Iran würde wiederum einen weiteren Schritt hin zu einer militärischen Eskalation der Spannungen zwischen Washington und Peking bedeuten.
Während China einen bedeutenden Teil seiner Rohstoffimporte aus dem Iran bezieht, ist Teheran der wichtigste Verbündete Russlands, um im Südkaukasus und dem Kaspischen Meer den Einfluss der USA und Israels zurückzudrängen. Sowohl der Kreml als auch Teheran stellen sich gegen den Bau einer Transkaspischen Pipeline durch den Westen. Sie lehnen auch die massive Militäraufrüstung von Aserbaidschan ab, die von den USA, Israel und der Türkei vorangetrieben wird. Die Kaspische Region ist von zentraler geopolitischer Bedeutung, weil sie das rohstoffreiche Zentralasien mit Europa verbindet, und weil sie selbst umfassende Öl- und Gasvorkommen hat.
Die wachsende Kriegsgefahr im Nahen Osten und die Tatsache, dass sich die europäischen Länder einschließlich Deutschlands und Frankreichs auf die Seite der USA stellen, treibt Russland immer mehr in ein militärisches Bündnis mit China.
Es ist bezeichnend, dass Wladimir Putin seine erste Amtsantrittsreise in Weißrussland gehalten hat, und dass er anschließend nur für einige Stunden in Berlin und Paris war, um gleich danach nach Zentralasien weiter zu fahren. Der Höhepunkt seiner Auslandsbesuche war der Aufenthalt in China, wo er sich erst mit dem chinesischen Präsidenten traf und dann vom 6. bis zum 7. Juni am Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) teilnahm. Neben Russland und China gehören die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan zu dieser Organisation. Der Iran, Afghanistan, Pakistan und Indien haben den Status von „Beobachtern“.
Wie kurz zuvor beim Treffen der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit, stand auch beim SOZ-Gipfel der Ausbau der militärischen und wirtschaftlichen Kooperation im Zentrum der Diskussionen. Der Gipfel verabschiedete eine Erklärung zur „Errichtung einer Region mit währendem Frieden und gemeinsamem Wohlstand“. Eine militärische Intervention gegen Syrien oder den Iran wird darin ausdrücklich abgelehnt.
In der Erklärung wird auch der Aufbau des NATO-Raketenabwehrsystems in Europa verurteilt, das sich in erster Linie gegen Russland richtet und zu starken Spannungen zwischen Washington und Europa einerseits und Moskau andererseits geführt hat. Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit plant, in Zukunft in Fragen der „regionalen Sicherheit“ militärisch enger zusammenzuarbeiten.
Bei seinem zweitägigen Besuch in Peking hatte Putin zuvor mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao vereinbart, gemeinsam „die Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum“ zu stärken. Beide Länder wollen häufiger gemeinsame Militärübungen im Pazifik abhalten, nachdem im Frühjahr bereits gemeinsame Flottenübungen in der Gelben See stattfanden. Die USA richten ihre militärische Aufrüstung in der Vorbereitung auf eine militärische Konfrontation mit China immer stärker auf den asiatischen Pazifik aus.