Parteitag der PSG

Die Wiederkehr des Klassenkampfs und die Aufgaben der PSG

Resolution 2

Vom 22. bis zum 24. Juni fand in Berlin der Parteitag der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) statt. Neben Delegierten aus ganz Deutschland nahmen daran auch Vertreter des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aus anderen europäischen Ländern, den USA, Australien und Sri Lanka teil. Nach der Hauptresolution zur Krise der Europäischen Union veröffentlichen wir hier die Resolution zur Lage in Deutschland, die ebenfalls einstimmig verabschiedet wurde. Zwei weitere Resolutionen des Parteitags wird die WSWS in den folgenden Tagen veröffentlichen.

 

1. Die Finanz- und Wirtschaftskrise des Weltkapitalismus konzentriert sich in ihrem vierten Jahr auf Europa. Der Euro und die Europäische Union stehen vor dem Kollaps. Mit ihnen zerbricht auch der Rahmen, in dem sich die deutsche Politik und Wirtschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewegt haben und der sie in die Lage versetzt hat, im Windschatten der USA weltweit Geschäfte zu machen, Handel und Produktion auszuweiten und sich dabei auf Europa als Binnenmarkt zu stützen. Wie schon in den dreißiger Jahren ist die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auch ihre Achillesferse. Wegen seiner Exportabhängigkeit ist Deutschland von der weltweiten Wirtschaftskrise und den wachsenden Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten besonders stark betroffen. Das entzieht auch dem sozialen Kompromiss den Boden, mit dem in der Nachkriegsperiode die Klassengegensätze gedämpft wurden, und setzt heftige Klassenkämpfe auf die Tagesordnung.

2. Die herrschende Klasse Deutschlands reagiert zunehmend aggressiv auf die Krise und versucht, ganz Europa ihrem Diktat zu unterwerfen. 70 Jahre, nachdem deutsche Soldaten den Kontinent in Schutt und Asche gelegt haben, verkündet Unions-Fraktionschef Kauder arrogant, in Europa werde „wieder deutsch gesprochen“. Doch damit kommen alle ungelösten Probleme der Vergangenheit wieder hoch. Anstatt die europäische Schuldenkrise zu lösen, sprengt der von Berlin erzwungene eiserne Sparkurs die Europäische Union. Er vertieft die sozialen Gegensätze, treibt ganze Länder in den Ruin und verschärft die nationalen Spannungen. Im vergangenen Jahrhundert hatte Deutschland zwei Mal – erst unter Wilhelm II und dann unter Hitler – den Versuch unternommen, sich zum Herrn Europas aufzuschwingen. Beide Male waren Krieg und Barbarei die Folge. Die Bestrebungen, Europa erneut dem deutschen Diktat zu unterwerfen, müssen wiederum in eine Katastrophe führen.

3. Dem Dilemma der europäischen folgt das Dilemma der internationalen Politik. Der deutsche Imperialismus hat wiederholt versucht, seine Mittellage in Europa, seine Abhängigkeit von Energieimporten und seinen Bedarf an Absatzmärkten durch aggressive Kriege zu überwinden. Nun verschärfen sich die Konflikte wieder. Der traditionellen deutschen Westbindung stehen die Energieabhängigkeit von Russland und der expandierende Osthandel gegenüber. China ist seit 2009 Deutschlands wichtigster Handelspartner außerhalb der EU. Grund sind vor allem die hohen Importe aus China. Noch in diesem Jahr wird China die USA auch als bedeutendster Absatzmarkt für deutsche Waren überholen. Mit 85 Mrd. Euro liegen die deutschen Ausfuhren nach China 2012 deutlich über den 78 Mrd., die in die USA exportiert werden. Auch der Aufstieg Indiens und Brasiliens beflügelt den deutschen Export.

4. Der Konflikt zwischen der politischen und militärischen Bindung an die USA und der wirtschaftlichen Orientierung nach Russland und China spaltet die deutsche Bourgeoisie und zieht sich quer durch alle Parteien. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der als Mann der Energie- und Autoindustrie die Annäherung an Russland und China vorantrieb, schied 2005 vorzeitig aus dem Amt. Doch das erledigte das Problem nicht. Seine Nachfolgerin ist mit demselben Dilemma konfrontiert. Obwohl Merkel Schröder scharf angegriffen hatte, als er sich 2003 gegen eine deutsche Teilnahme am Irakkrieg entschied, lehnte auch sie 2011 eine Teilnahme am Libyenkrieg mit Rücksicht auf Russland und China ab. Je aggressiver die USA ihre Kontrolle über den Nahen Osten ausüben und je weiter sie die Konfrontation mit China und Russland verschärfen, desto mehr wird die deutsche Bourgeoisie zu einer eindeutigen Parteinahme gedrängt – was sie unter allen Umständen vermeiden möchte.

5. Alle Parteien sind sich darin einig, dass Deutschland wieder mit dem Säbel rasseln und militärisch Präsenz zeigen muss, wenn es in internationalen Fragen mitreden und seine Interessen durchsetzen will. In Fachzeitschriften wird intensiv diskutiert, wie Deutschland wieder „in Führung gehen“, das Stigma seiner Vergangenheit loswerden und den tiefverwurzelten Antimilitarismus in der Bevölkerung überwinden kann. 1999 hatten die Grünen in Jugoslawien die Tür für die Rückkehr der Bundeswehr auf internationale Kriegsschauplätze aufgestoßen. Mittlerweile sind deutsche Truppen am Hindukusch, am Horn von Afrika und in anderen Weltregionen im Einsatz. Die Um- und Aufrüstung der Bundeswehr schreitet zügig voran.

6. Westbindung und europäische Integration bildeten den Rahmen für den sozialen Kompromiss der Nachkriegszeit. Die Globalisierung, der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Aufstieg Chinas zur Industriemacht haben diesen Kompromiss unterhöhlt. Nun entzieht ihm das Auseinanderbrechen der Europäischen Union endgültig den Boden. Die wachsende soziale Not und immer neue Angriffe auf Löhne, Renten und Sozialstandards bilden den Auftakt zu gewaltigen Klassenkämpfen. Unter der Oberfläche braut sich auch in Deutschland ein sozialer Sturm zusammen, der alle gesellschaftlichen Verhältnisse in ihren Grundfesten erschüttern und den Sturz des Kapitalismus auf die Tagesordnung setzen wird.

7. Für Millionen Arbeiter wird es von Tag zu Tag schwieriger, die Grundbedürfnisse ihres Lebens zu befriedigen und den Unterhalt ihrer Angehörigen zu bestreiten. Fast ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet im Niedriglohnbereich. Die Hälfte von ihnen, 4,1 Millionen, verdienen weniger als 7 Euro die Stunde. In Betrieben und Verwaltungen findet systematisches Lohndumping statt. Neben den Leiharbeitern, die bereits seit Jahren von Vermittlungsagenturen ausgebeutet werden, wächst ein Heer von „Werkverträglern“, die für Stücklohn und ohne soziale Absicherung arbeiten. 4,5 Millionen Menschen leben von Hartz IV – das sind 374 Euro im Monat zuzüglich der Miet- und Heizkosten

8. Am anderen Pol der Gesellschaft wächst der Reichtum. Eine privilegierte Schickeria lebt in Saus und Braus. Luxus und Verschwendungssucht kennen keine Grenzen. 2010 zählte die Studie „World Wealth Report“ in Deutschland 924.000 Millionäre, 62.000 mehr als im Vorjahr. VW-Chef Winterkorn kassierte 2011 über 17 Millionen Euro, das entspricht einem Monatsgehalt von 1,5 Millionen. Auch seine Vorstandskollegen erhielten monatlich weit über eine halbe Million Euro. Zugestimmt haben dieser Bereicherungsorgie die neun Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die dafür selbst einige Millionen kassieren. An ihrer Spitze steht IG Metall-Chef Berthold Huber.

9. Die enge Verflechtung von Gewerkschaften, Unternehmen und Staat bildete den Kern des sogenannten „Modells Deutschland“. In der Nachkriegszeit war diese korporatistische Struktur noch mit einer Erhöhung des Lebensstandards der Arbeiterklasse verbunden, heute dient sie ausschließlich dazu, ihn zu senken und den Klassenkampf zu unterdrücken – bis er sich gewaltsam Bahn bricht, zum Entsetzen der Gewerkschaftsbürokraten die Grenzen normaler Lohnkämpfe sprengt und sich zu einem Kampf um die Macht entwickelt.

10. Die kommenden Klassenkämpfe schicken bereits ihre Schockwellen voraus. Alle etablierten Parteien befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium des politischen Zerfalls. CDU und CSU drohen entlang politischer und regionaler Bruchlinien zu zerbrechen. Die FDP, die jahrzehntelang die deutsche Außenpolitik prägte, hat in Umfragen zeitweise die Werte einer Splitterpartei erreicht. Union und FDP halten sich vor allem dank der Unterstützung der SPD an der Macht, die sich ihrerseits nie von den Wähler- und Mitgliederverlusten der Ära Schröder erholt hat.

11. Seit Joachim Gaucks Wahl zum Bundespräsidenten stehen zwei ehemalige DDR-Bürger an der Spitze von Staat und Regierung, die durch die reaktionärste Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte politisiert wurden: die Zerschlagung sozialer Errungenschaften und die Wiedereinführung kapitalistischer Ausbeutung in der DDR, Osteuropa und der Sowjetunion. Ihre politische Engstirnigkeit verbinden beide mit einem Übermaß an Antikommunismus. Für sie sind Freiheit und Demokratie Synonyme für Bereicherung, Privilegien und kapitalistische Ausbeutung. Vor allem aber ist ihre politische Entwicklung dadurch bestimmt, dass sie noch nie einen ernsthaften Kampf der Arbeiterklasse erlebt haben. Sie werden der deutschen Arbeiterklasse mit derselben Rücksichtslosigkeit begegnen, die sie gegenwärtig der griechischen gegenüber an den Tag legen.

12. Unter dem Druck der Wirtschaftskrise bröckelt die Fassade des Rechtsstaates. Demokratische Errungenschaften werden mit Füßen getreten, der staatliche Sicherheits- und Überwachungsapparat wird systematisch aufgerüstet. Mit dem Verbot der Blockupy-Proteste in Frankfurt ist im Mai 2012 erstmals Widerstand gegen die Allmacht der Banken für illegal erklärt worden. Rassismus und Ausländerfeindlichkeit werden geschürt – vor allem in Form von Hetze gegen Muslime. Die rassistischen Thesen Thilo Sarrazins wurden von renommierten Zeitungen und den Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens breit propagiert. Neonazistische Banden werden über V-Leute mit Geldern des Verfassungsschutzes finanziert und aufgebaut, rechte Mörderbanden wie die NSU von den Behörden gedeckt oder gezielt ignoriert. Auf diese Weise bereitet die herrschende Elite einer neuen ultrarechten Partei den Boden.

13. Gleichzeitig zeigt die Zunahme sozialer Kämpfe rund um die Welt, dass die Krise des Kapitalismus im Bewusstsein der internationalen Arbeiterklasse, der größten revolutionären Kraft auf der Welt, angekommen ist. Aber die spontanen Kämpfe der Arbeiter, mögen sie noch so radikale Formen annehmen, lösen nicht die Krise der politischen Orientierung und der revolutionären Führung. Die alten reformistischen Parteien und Gewerkschaften nutzen ihren verbliebenen Einfluss, um den wachsenden Widerstand zu unterdrücken oder in harmlose Kanäle zu lenken. Wie immer in Zeiten großer politischer Umbrüche gibt es im Anfangsstadium einer Massenbewegung ein Missverhältnis zwischen dem historischen Ausmaß der Krise und dem vorherrschenden Bewusstsein der Massen, die in den Kampf hineingezogen werden.

14. Die Arbeiterklasse lernt durch die Erfahrung, die sie in ihren Kämpfen sammelt. Das gilt nicht nur für unmittelbare betriebliche Auseinandersetzungen, sondern auch für die großen internationalen Klassenschlachten, wie sie gegenwärtig in Griechenland und Ägypten stattfinden. Diese Erfahrungen ins Bewusstsein zu heben, sie zu verallgemeinern und zur Grundlage einer systematischen politischen Erziehung zu machen, ist eine wichtige Aufgabe. Das theoretische und politische Erbe des Internationalen Komitees der Vierten Internationale dient dafür als Grundlage. Es bildet den Ausgangspunkt für die sorgfältige Analyse der vielfältigen und teilweise überraschenden Veränderungen der politischen Situation und für das Aufzeigen einer unabhängigen Perspektive für die Arbeiterklasse.

15. Die PSG stellt sich die Aufgabe, die Kluft zwischen der Reife der objektiven Lage und dem politischen Bewusstsein der Arbeiterklasse zu überwinden. Sie tut dies, indem sie in der Arbeiterklasse einen marxistischen Kader erzieht und eine neue, revolutionäre Führung aufbaut. Die kapitalistische Krise schafft die objektiven Voraussetzungen für die sozialistische Revolution, aber nur eine Partei, die in wichtigen Teilen der Arbeiterklasse verankert ist und über eine durchdachte und ausgearbeitete politische Strategie verfügt, kann die Arbeiterklasse zur Macht führen. Die PSG entwickelt die politischen Perspektiven, ohne die ein ernsthafter, andauernder und siegreicher Kampf unmöglich ist. Die täglichen Analysen und Perspektiven auf der World Socialist Web Site spielen dabei eine zentrale Rolle.

16. Die PSG bemüht sich, weitsichtige und selbstlose Arbeiter und Jugendliche zu gewinnen, um sie auf der Grundlage der Geschichte und des theoretischen Erbes der trotzkistischen marxistischen Bewegung auszubilden. Sie müssen die Rolle des Stalinismus, der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften und anderer opportunistischer Strömungen verstehen, die die Verantwortung für die Niederlagen der Arbeiterklasse und das Überleben des Kapitalismus tragen. Nur wenn die politisch bewusstesten Arbeiter die Lehren aus den strategischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts verarbeitet haben, können sie ihre Klasse auf einen eigenständigen politischen Kurs führen. Darin besteht die Rolle und Aufgabe der PSG. An dieser geduldigen Arbeit führt kein Weg vorbei. Es gibt keine taktischen Abkürzungen. Die PSG kämpft unter allen Umständen für ihr revolutionäres Programm und sagt den Arbeitern die Wahrheit: dass es außerhalb des Sturzes des Kapitalismus und der Eroberung der politischen Macht keinen Weg vorwärts gibt.

17. Um diese Aufgabe zu erfüllen, wendet sich die PSG gezielt der Arbeiterklasse zu. Wir unterstützen und ermutigen die Kämpfe und Proteste, mit denen sich Arbeiter und Jugendliche gegen die Angriffe von Regierung und Unternehmen zur Wehr setzen. Wir vertreten ein Programm von Übergangsforderungen, die „den Massen im Verlauf ihres täglichen Kampfes helfen, die Brücke zwischen ihren augenblicklichen Forderungen und dem sozialistischen Programm der Revolution zu finden“, und die, „von den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein“ ausgehend, „stets zu ein und demselben Schluss führen: zur Machteroberung des Proletariats“. (Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm) Dazu gehören die Verteidigung von Arbeitsplätzen und Löhnen, die Forderungen nach einem garantierten Grundeinkommen, vernünftigem Wohnraum, freiem Zugang zu erstklassiger medizinischer Versorgung, Bildung und Kultur, nach höherer Besteuerung von Spitzeneinkommen, der Einführung einer Vermögenssteuer und ähnliche Forderungen sozialen Charakters. Die PSG verteidigt unermüdlich demokratische Rechte, insbesondere die Rechte von Immigranten und Flüchtlingen, und fordert den Rückzug aller deutschen Truppen aus dem Ausland, sowie die Auflösung von Nato, Bundeswehr und Geheimdiensten.

18. Alle politischen und praktischen Initiativen der PSG dienen dem Ziel, die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse vom lähmenden Einfluss der Sozialdemokratie, der Linkspartei, der Gewerkschaften und ihrer kleinbürgerlichen Unterstützer abzugrenzen. Diese Organisationen spielen heute eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, die Kämpfe der Arbeiterklasse zu unterdrücken, die Angriffe der herrschenden Klasse durchzusetzen und die bürgerliche Ordnung zu verteidigen. Die Arbeiterklasse kann nicht für ein sozialistisches Programm kämpfen, wenn ihr die Hände durch Kompromisse mit diesen Vertretern bürgerlicher Interessen gebunden sind.

19. Wie schon so oft in Zeiten der Krise ist die SPD zu einer der wichtigsten Stützen der bürgerlichen Ordnung geworden. Die in zahlreichen Fragen zerstrittene Bundesregierung hält sich nur noch dank sozialdemokratischer Unterstützung an der Macht. Die SPD hatte 1914 mit ihrer marxistischen Vergangenheit gebrochen, als sie den Ersten Weltkrieg befürwortete und sich auf die Seite des deutschen Imperialismus stellte. In der Weimarer Republik bildete sie das politische Rückgrat des bürgerlichen Staats. Sie unterdrückte die Arbeiteraufstände nach dem Ersten Weltkrieg und trug maßgeblich zu Hitlers Sieg bei, indem sie sich der Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die Nazis widersetzte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann die SPD aufgrund der Verbrechen des Stalinismus und des Nachkriegsbooms wieder an Einfluss. Als Ende der sechziger Jahre heftige Arbeitskämpfe und die Studentenrevolte die kapitalistische Ordnung erschütterten, verhalf ihr die FDP zur Regierungsmehrheit. Willy Brandt brachte die Lage durch soziale Zugeständnisse auf der einen und Berufsverbote auf der anderen Seite wieder unter Kontrolle.

20. Die SPD und die Gewerkschaften konnten die westdeutsche Arbeiterklasse dominieren, weil das SED-Regime der DDR zugleich die ostdeutschen Arbeiter in Schach hielt. Beide bürokratischen Apparate verbreiteten – wenn auch von unterschiedlicher Seite – die Lüge, in der Sowjetunion, Osteuropa und der DDR herrsche „realer Sozialismus“. Die stalinistische Bürokratie der DDR unterdrückte im Namen des Sozialismus jede unabhängige Regung und demokratische Mitsprache der Arbeiter, während die sozialdemokratische Bürokratie dies für ihren Antikommunismus nutzte. Nach 1945 stellten sich KPD und SPD gegen spontane sozialistische Bestrebungen von Arbeitern. Erst als Reaktion auf den Kalten Krieg verstaatlichte das DDR-Regime das kapitalistische Eigentum und schlug gleichzeitig den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 blutig nieder. Die Verstaatlichungen stärkten die soziale Stellung der Arbeiterklasse, während die sozialistischen Ideale, die viele einfache KPD- und SPD-Mitglieder nach dem Krieg in der DDR zu verwirklichen suchten, durch die politische Unterdrückung der Arbeiterklasse diskreditiert wurden. Das DDR-Regime stützte sich auf die Verbrechen Stalins und auf dessen nationalistische Theorie vom „Sozialismus in einem Land“, die die Arbeiter der DDR von den Arbeitern anderen Länder abschnitt und der kapitalistischen Restauration 1989 den Weg bereitete.

21. Heute versteht die SPD unter „Reformen“ nicht mehr soziale Zugeständnisse, sondern deren Zerschlagung. Sie hat seit der Brandt-Ära die Hälfte ihrer Mitglieder verloren und jede Beziehung zur Arbeiterklasse gekappt. Die Agenda 2010 der Regierung Schröder, einer Koalition von SPD und Grünen, gilt konservativen europäischen Regierungen bis heute als nachahmenswertes Vorbild. Sie sorgte für die Entstehung eines gewaltigen Niedriglohnsektors und den geringsten Anstieg der Lohnstückkosten in ganz Europa. Die Regierung Schröder-Fischer war auch für den ersten internationalen Kriegseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr verantwortlich und rüstete im Rahmen des „Kriegs gegen Terror“ den inneren Sicherheitsapparat auf. Heute unterstützt die SPD Merkels Spardiktat in Europa. Sie ist eine rechte, bürgerliche Partei, die wie die Union und die FDP uneingeschränkt die Interessen der Wirtschaft und der Finanzaristokratie vertritt. Damit hat sie aber auch weitgehend ihre Fähigkeit verloren, die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten.

22. Hier beginnt die Rolle der Linkspartei. Sie bemüht sich, dem sozialdemokratischen Apparat neues Leben einzuhauchen. Oskar Lafontaine hat von Willy Brandt gelernt, wie wichtig dieser Apparat und die Gewerkschaften sind, um die Arbeiterklasse zu kontrollieren und die bürgerliche Ordnung zu stabilisieren. Als Saarbrücker Oberbürgermeister und saarländischer Ministerpräsident hat Lafontaine dies lange unter Beweis gestellt. Sein Zerwürfnis mit Schröder rührte daher, dass Schröder diese Fähigkeit der SPD allzu leichtfertig aufs Spiel setzte. Deshalb trat Lafontaine 1999 von seinen Ämtern in Partei und Regierung zurück, um wieder politisch aktiv zu werden, sobald sich die ersten spontanen Proteste gegen die Agenda 2010 entwickelten. Nun ergriff er die Initiative für die Vermählung der WASG mit der PDS, für den Zusammenschluss einer Gruppe unzufriedener SPD-Funktionäre, Gewerkschaftsbürokraten und kleinbürgerlicher Ex-Radikaler im Westen mit den Erben der stalinistischen Staatspartei im Osten, die über einen finanzkräftigen Apparat aus der Erbmasse der SED verfügten.

23. Die Verschärfung der Wirtschaftskrise brachte den wahren Charakter der Linkspartei schnell ans Licht. In ostdeutschen Kommunen und Landesregierungen trieb sie den Sozial- und Demokratieabbau voran, den sie in ihren Wahlprogrammen verurteilt. Der ständige Spagat zwischen linken Worten und rechter Praxis ist die Quelle der nicht endenden Querelen innerhalb der Linkspartei. Sie ist tief gespalten, hat ihre anfänglichen Wahlerfolge wieder verspielt und leidet an Mitgliederschwund. Das schließt allerdings nicht aus, dass die herrschende Klasse sie noch einmal braucht.

24. Die Linkspartei ist – wie die Parti de gauche in Frankreich, Syriza in Griechenland und ähnliche Formationen in anderen Ländern – weder eine linke, noch eine antikapitalistische und schon gar keine revolutionäre Partei. Sie ist eine bürgerliche Organisation, die sich auf gut situierte Schichten im Staatsapparat, in den Gewerkschaften und in der Mittelklasse stützt. Diese sehen ihre Existenz sowohl durch das Spardiktat der Banken wie durch eine revolutionäre Offensive der Arbeiterklasse bedroht. Daher wettern sie gegen die Banken, während sie in der Praxis den Kapitalismus, den bürgerlichen Staat und die Institutionen der Europäischen Union verteidigen und eng mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten, um die Kämpfe von Arbeitern zu unterdrücken. Eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse will die Linkspartei um jeden Preis verhindern. Im Klassenkampf steht sie nicht auf der Seite der Arbeiterklasse, sondern auf der Seite ihrer Gegner.

25. Der Kampf gegen die Linkspartei erfordert eine systematische politische und theoretische Offensive gegen kleinbürgerliche Gruppen, die sich in ihren Reihen oder in ihrem Umkreis bewegen. Einige von ihnen – wie die SAV-Sozialistische Initiative, Marx21 und die Pablisten des Vereinigten Sekretariats – bezeichnen sich zu Unrecht als Sozialisten oder sogar als Trotzkisten. Diese Gruppen bestehen auf der Unterordnung der Arbeiterklasse unter die bürokratischen Apparate. Sie sind selbst Teil dieses korrupten bürokratischen Milieus. Viele ihrer Funktionäre und Mitglieder haben gut dotierte Posten in der Gewerkschaftsbürokratie, in der Verwaltung des Sozialstaats, in den Abgeordnetenbüros der Linkspartei oder in deren Stiftungen. Ihre Feindschaft gegen die Arbeiterklasse treibt sie in dem Maße nach rechts, in dem sich der Klassenkampf verschärft. Sie betrachten jede unabhängige Regung der Arbeiter als Bedrohung ihrer eigenen Privilegien, agieren als Wachhund für die Gewerkschaftsbürokratie, verteidigen den Ausverkauf von Streiks und greifen Arbeiter an, wenn diese Initiativen ergreifen, um sich von der Zwangsjacke der Gewerkschaften zu befreien.

26. SAV, Marx21 und die Pablisten sind Teil internationaler Strömungen, die seit sechs Jahrzehnten im Schatten der reformistischen, stalinistischen und gewerkschaftlichen Apparate arbeiten und sich auf deren Verteidigung spezialisiert haben. Nun unterstützen sie offen den Imperialismus und integrieren sich in den bürgerlichen Staat. In Ägypten setzten sich die mit Marx21 verbündeten Revolutionären Sozialisten für den Präsidentschaftskandidaten der reaktionären Muslimbrüder ein. In Deutschland sitzt Marx21-Mitglied Christine Buchholz im geheim tagenden Verteidigungsausschuss des Bundestags. Fast alle diese Gruppen haben den imperialistischen Krieg gegen Libyen unterstützt und werben jetzt für eine imperialistische Intervention in Syrien. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat diese Strömungen seit seiner Gründung vor 59 Jahren bekämpft. Dieses reiche historische Erbe liefert heute die Grundlage dafür, Arbeiter politisch zu erziehen und für eine unabhängige revolutionäre Perspektive zu gewinnen.

27. Der politische Bankrott der Gewerkschaften und der Linkspartei haben diverse anarchistische Gruppierungen auf den Plan gerufen, die mit Appellen an die Spontaneität der Bewegung oder mit syndikalistischen Forderungen nach Graswurzel-Gewerkschaften den bewussten politischen Bruch mit den alten Organisationen zu verhindern suchen. Diese autonomen und anarchistischen Gruppen sind von Subjektivismus geprägt. Sie lehnen eine Klassenanalyse der Gesellschaft ab und setzen einem Verständnis ihrer objektiven Triebkräfte und ihrer kollektiven Veränderung die subjektive Befreiung von sozialen Normen und den aufgeklärten Intellektuellen als Motor der Veränderung entgegen. Indem sie die Arbeiterklasse abschreiben, anerkennen sie die bestehende Ordnung und die Dominanz der Bürokratien – wie radikal und gewaltsam ihre Aktivitäten auch erscheinen mögen. Die Feindschaft dieser Kreise gegen die Arbeiterklasse treibt sie in dem Maße nach rechts, wie sich die Klassengegensätze zuspitzen und die Arbeiter beginnen, sich unabhängig von den alten Bürokratien zur Wehr zu setzen. Durch jede unabhängige Regung der Arbeiter sehen sie ihre eigenen Privilegien bedroht. Darin liegt die soziale Basis für rechtsextreme Tendenzen, wie jene der sogenannten Antideutschen, die aus diesem Milieu entstanden sind und heute imperialistische, rassistische und vor allem extrem arbeiterfeindliche Standpunkte vertreten.

28. Ein bezeichnender Ausdruck der allgemeinen politischen Instabilität ist der rapide Aufstieg der Piratenpartei, die seit September 2011 in vier Landesparlamente eingezogen ist und in bundesweiten Umfragen im zweistelligen Bereich liegt. Die gesellschaftliche Mittelschicht, die bisher ein solides Fundament für die bürgerliche Ordnung bildete, ist in Bewegung geraten. Die Piraten formulieren ein allgemeines Unbehagen mit den etablierten Parteien, ohne ihm eine fortschrittliche Orientierung zu geben. Hatten die Grünen in ihrer Entstehungsphase noch den Protest kleinbürgerlicher Schichten artikuliert, findet sich bei den Piraten keine Spur von Protest. Sie fordern lediglich mehr Transparenz bei der Entscheidungsfindung. Ansonsten sind sie völlig angepasst, verteidigen die bürgerliche Ordnung samt Sozialabbau und Schuldenbremse und sind bereit, mit allen Parteien zu koalieren. Auch dem Staat steht die Partei, deren Vorsitzender als beamteter Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium tätig ist, völlig unkritisch gegenüber. Ihre Mischung aus politischer Naivität und sozialer Rücksichtslosigkeit macht die Piraten zu einem nützlichen Instrument der herrschenden Klasse, um die in Bewegung geratenen Mittelschichten unter Kontrolle zu halten und gegen die Arbeiterklasse zu positionieren.

29. Die PSG ist überzeugt, dass die Wirtschaftskrise und die massiven Angriffe auf soziale und demokratische Rechte gewaltige Klassenkämpfe auslösen werden. Die Wiederkehr der aggressiven Formen des deutschen Imperialismus wird die Arbeiterklasse zwingen, an ihre großen revolutionären Traditionen anzuknüpfen. Das Programm der sozialistischen Weltrevolution, welches das IKVI über Jahrzehnte unnachgiebig verteidigt hat, wird in diesen Kämpfen große Anziehungskraft auf die fortgeschrittenen und mutigsten Teile der Arbeiterklasse, auf begeisterte Jugendliche und ernsthafte Intellektuelle ausüben. Alles hängt ab von einer entschlossenen und kühnen Hinwendung zur Arbeiterklasse und der Erziehung eines Kaders in den Lehren und Traditionen der Vierten Internationale. Gestützt auf die reichhaltigen politischen Erfahrungen des Internationalen Komitees ist die PSG gut vorbereitet und blickt voller Zuversicht auf die kommenden Kämpfe.

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