Perspektive

Die Unterzeichnung des National Defense Authorization Act:

Der Ausbau des Polizeistaats in den USA

Am 31. Dezember unterzeichnete Barack Obama den National Defense Authorization Act (NDAA). Er ermöglicht es, Menschen ohne Prozess und Anklage für unbegrenzte Zeit in Militärgewahrsam zu nehmen. Damit hat der demokratische Präsident der USA einen bedeutenden Beitrag zum Ausbau des amerikanischen Polizeistaates geleistet.

Das Gesetz wurde auch durchgesetzt, um die US-Kriegsmaschinerie mit 662 Milliarden Dollar zu ölen, doch seine Auswirkungen gehen weit darüber hinaus. Darüber kann auch die verschämte Zeremonie nicht hinwegtäuschen, mit der es unterzeichnet wurde – im privaten Umfeld und am Silvesterabend, um möglichst wenig öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen.

Der objektive Inhalt der Klauseln, die es dem Militär erlauben, amerikanische Staatsbürger und Ausländer in Gewahrsam zu nehmen, ändert sich auch durch die scheinheiligen Stellungnahmen, die Obama dazu abgab, nicht im Geringsten.

Er behauptete, „ernsthafte Bedenken“ beim Unterzeichnen des Gesetzes zu haben und erklärte, seine Regierung werde keine amerikanischen Bürger ohne Verhandlung in Militärgewahrsam nehmen lassen, denn solche Praktiken wären „ein Bruch mit den wichtigsten Traditionen und Werten unserer Nation.“

Obamas Versprechen ist heuchlerisch und wertlos. Senator Carl Levin aus Michigan, einer der Hauptunterstützer des Gesetzes in der Demokratischen Partei, gab bekannt, dass Obama direkt in den Gesetzgebungsprozess eingegriffen hat. Er hat Zusätze streichen lassen, die es dem Militär ausdrücklich verboten hätten, amerikanische Staatsbürger ohne Prozess in unbeschränkten Militärgewahrsam zu nehmen. Eine solche Ausnahme hielt er für eine inakzeptable Beschränkung seiner Macht als Präsident.

Die Bilanz der Obama-Regierung in den vergangenen drei Jahren spricht für sich: Der Demokrat verdankt seinen Wahlsieg einer Welle der allgemeinen Ablehnung der republikanischen Bush-Regierung und ihrer verbrecherischen Kriege und Angriffe auf demokratische Rechte. Obama versprach, innerhalb eines Jahres das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen und kritisierte Bush im Wahlkampf, weil er ein System aufgebaut hatte, mit dem er „Leute einsperren kann, ohne ihnen zu sagen, warum, oder was man ihnen vorwirft.“

Kaum war Obama an der Macht, griff seine Regierung mehrfach in Gerichtsverhandlungen ein, um alle Versuche zu unterbinden, die Vorgängerregierung für Folter, illegale Überwachung oder andere Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Er betonte das „Recht“ des Präsidenten, unbeschränkten Militärgewahrsam anzuordnen und setzte die verhasste Praxis der „Überstellung“ fort – d.h. die Entführung von Verdächtigen und ihre Verschleppung in fremde Länder, in denen sie verhört und gefoltert werden.

Obama geht deutlich weiter als Bush und nimmt für sich das „Recht“ in Anspruch, die Ermordung von amerikanischen Staatsbürgern anzuordnen, ohne Beweise gegen sie vorlegen zu müssen. Das Ergebnis waren außergerichtliche Hinrichtungen wie die des islamischen Geistlichen Anwar al-Awlaki aus Neu Mexiko und seines sechzehnjährigen Sohnes.

Jetzt hat Obama ein Gesetz unterschrieben, das Verbrechen legalisiert, wie man sie aus faschistischen Militärdiktaturen kennt. In Lateinamerika zum Beispiel wurden Tausende Arbeiter, Studenten und politische Gegner von CIA-geförderten Regimes als Terroristen gebrandmarkt und „verschwanden“ auf Nimmerwiedersehen in geheimen Haft- und Folterzentren.

Der Angriff auf die Verfassung, die Bill of Rights und das jahrhundertealte Prinzip des Habeas Corpus, und der stetige Ausbau eines Polizeistaates in Amerika sind nicht nur das Ergebnis der persönlichen Ansichten von Bush oder Obama.

Der Prozess hat seine Wurzeln in den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Widersprüchen des amerikanischen Kapitalismus. Sie haben sich innerhalb des vergangenen Jahrzehnts ständig verschärft.

Nach den Wahlen im Jahr 2000 entschied der Oberste Gerichtshof der USA, die Auszählung der Stimmen in Florida zu beenden und Bush als Präsidenten einzusetzen, obwohl er die Abstimmung verloren hatte. Damals warnte die Socialist Equality Party, dieser Vorgang beweise, dass es in der herrschenden Elite Amerikas und seinem politischen System keinen Rückhalt für die Verteidigung demokratischer Rechte gibt.

In den letzten elf Jahren hat sich diese Einschätzung mehr als bestätigt. Die Regierung nahm die Anschläge vom 11. September 2001 als Vorwand, um einen riesigen Überwachungsapparat aufzubauen, verabschiedete den Patriot Act, gründete das Heimatschutzministerium und das Northern Command des Pentagon, durch das das Militär auf amerikanischem Boden eingesetzt werden kann, und baute ein weltweites Netzwerk von Haft- und Folterzentren unter Leitung der CIA auf. Vor kurzem ließ die Obama-Regierung in einer landesweit koordinierten Aktion die Occupy-Bewegung durch militärisch ausgerüstete Polizeikräfte niederschlagen.

Die Gefahr einer Diktatur hat Wurzeln, die tief in die Geschichte reichen. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mehrfach schwere Angriffe auf demokratische Rechte, von der Hexenjagd der McCarthy-Ära in den Fünfzigern, bis hin zu den Spionagetätigkeiten von CIA und FBI und ihren „schmutzigen Tricks“, deren Höhepunkt die Watergate-Affäre in den Siebzigern war.

Allerdings stießen diese Angriffe auf verfassungsmäßige Rechte auf großen Widerstand im politischen Establishment. Beispielsweise nutzte Präsident Harry Truman 1950 sein Vetorecht, um den McCarran Act zu verhindern, der der Regierung erlaubt hätte, Menschen ohne Anklage auf unbegrenzte Zeit festzuhalten. Truman nannte das Gesetz „einen Riesenschritt in Richtung Totalitarismus“ und „eine Schande für die Bill of Rights.“

Was an der Verabschiedung des NDAA und der Legalisierung von unbegrenzter Inhaftierung am meisten auffällt, ist das Fehlen von größerem Widerstand. Die Massenmedien und das politische Establishment schwiegen sich über Obamas Unterschrift unter das Gesetz aus.

Diese Entwicklung hat etwas mit den grundlegenden Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft zu tun, vor allem mit der beispiellosen Zunahme der sozialen Ungleichheit. Dieser Graben trennt Milliardäre und Multimillionäre, das oberste Prozent, von der großen Masse der Bevölkerung und ist im Rahmen einer Demokratie nicht vertretbar.

Der amerikanische Kapitalismus und der Weltkapitalismus erleben einen historischen Niedergang. Die herrschende Klasse, die Demokraten und Republikaner kontrolliert, ist zu allem bereit – auch zur Errichtung eines Polizeistaates – um ihr Monopol auf Reichtum und Macht gegen ein Wiederaufleben des Klassenkampfes zu verteidigen. Ähnliche Entwicklungen finden in Europa und der Welt statt. Sie alle sind durch die weltweite Krise verursacht.

Die Verteidigung demokratischer Rechte ist untrennbar verbunden mit dem Kampf um die Verteidigung von Arbeitsplätzen und um die Erhaltung des Lebensstandards. Heutzutage ist sie ohne einen direkten Angriff auf die immense Konzentration des Reichtums in den Händen der Finanzoligarchie unmöglich.

Ein solcher Kampf kann nur geführt werden durch die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse auf Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms zur Neuorganisierung der Wirtschaft. Ihr Ziel muss die Befriedigung sozialer Bedürfnisse anstelle der Erwirtschaftung von Profiten sein.

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