Am 26. Januar ließ die vor kurzem eingesetzte italienische Regierung von Premierminister Mario Monti die schon seit Längerem andauernden Proteste von Lastwagenfahrern, Fischern und anderen Berufszweigen niederschlagen Die Streiks und Protestaktionen waren die Reaktion der auf Montis unpopuläre Deregulierungsmaßnahmen und Sozialkürzungen.
Eine Woche nach den Lastwagenfahrern wollten auch Angestellte aus der Luftfahrt und dem öffentlichen Dienst in den Streik treten.
Seit sich Lastwagenfahrer weigern, ihre Fracht zu befördern und Straßensperren errichtet haben, um die Belieferung von Einzelhandelsgeschäften zu verhindern, sind die Preise für Benzin und Nahrungsmittel um bis zu fünfzig Prozent gestiegen. Besonders der Lebensmittelhandel ist von den Blockaden betroffen, da die Supermärkte keinen Nachschub erhalten.
In Neapel sind die Lebensmittelgeschäfte und Straßenmärkte leer. Gemüse, Milch und andere Lebensmittel sind immer schwerer erhältlich. In Rom sind die Vorräte an Gemüse und Fisch um 80, bzw. 90 Prozent gesunken. Große Industrieanlagen wie Coca-Cola und der Autohersteller Fiat mussten aus Mangel an Material die Produktion einstellen.
Die Medien führen eine zynische Kampagne, um die Bevölkerung gegen die Lastwagenfahrer aufzuhetzen und verurteilen diejenigen Fahrer, die Streikbrecher daran hindern, Waren zu liefern.
In Sizilien, wo der die Lastwagenfahrer letzte Woche zuerst in den Streik traten, gingen die Proteste weiter. Eine Gruppe namens „Movimento die Forconi“ („Bewegung der Mistgabeln“, MDF) organisierte am Mittwoch eine Kundgebung in Palermo, an der zehntausend Menschen teilnahmen. „Sie werden uns nicht aufhalten, die Politiker sollen was tun oder verschwinden,“ sagte MDF-Führer Mariano Ferro auf der Kundgebung in Palermo.
Am Mittwoch kam es in Rom vor dem Palazzo Montecitorio, dem Sitz des italienischen Abgeordnetenhauses zu Zusammenstößen zwischen Fischern und Polizei in Kampfausrüstung. Im Palazzo forderte Premierminister Mario Monti gerade mehr Unterstützung für eine Reihe weiterer Liberalisierungen und Sparmaßnahmen. Diese Unterstützung erhielt er schließlich von drei der großen Parteien: der bürgerlich-„linken“ Demokratischen Partei (PD), der rechten PDL (Volk der Freiheit) des Ex-Premiers Silvio Berlusconi und dem Dritten Pol (TP), zu dem auch neofaschistische Kräfte gehören.
Die Polizei ging auf die Demonstranten los, nachdem einige Feuerwerkskörper auf den Palazzo geworfen worden waren. Fünf Fischer wurden durch das brutale Vorgehen der Polizei verletzt, zwei davon schwer. Die Fischer riefen: „Schämt Euch! Schämt Euch!“ und „Mörder!“ Einer der Fischer sagte: „Wir sind Arbeiter und Familienväter. Sie können uns schlagen, aber wir gehen nicht weg.“
Dann verließen die Demonstranten die Piazza Montecitorio, um sich bis sieben Uhr abends auf der Piazza Venezia zu versammeln.
Die Fischer protestierten gegen Benzinpreiserhöhungen (durch Steuererhöhungen und gestiegene Ölpreise), gegen ein geplantes „punktbasiertes Lizenzsystem“ und gegen die Forderung, dass sich der Ursprung der Meereserzeugnisse „zurückverfolgen“ lassen soll. Damit würde den ohnehin gebeutelten kleinen Fischern eine schwere Bürde aufgelastet. Ohne Subventionen oder staatliche Unterstützung würden viele Fischer aus dem Geschäft gedrängt.
Mit der punktbasierten Lizenz drohen den Fischern für eine Reihe leichter Verstöße Geldstrafen, beispielsweise wenn sie zu nahe an der Küste fischen, zu kleine Fische fangen oder nichtgenehmigte Netze oder Werkzeuge verwenden. Für jeden dieser Verstöße drohen finanzielle Sanktionen und ein Punktverlust. Wenn ein Fischer insgesamt 18 Punkte verliert, wird seine Lizenz für zwei Monate eingezogen. Die Fischer befürchten, dass sie zur Entscheidung gezwungen sind, entweder viel weniger zu fischen oder sich Geldstrafen einzuhandeln.
Die Regierung Monti fürchtet, dass eine wachsende Streikbewegung der Arbeiterklasse zu Solidaritätsaktionen mit den kleinen Selbständigen führen könnte. Weil sie darin eine politische Gefahr sieht, ist sie entschlossen, die Proteste niederzuschlagen. Auch Vertreter der Europäischen Union fordern ein schnelles Ende des Streiks der Lastwagenfahrer.
Gestern forderte EU-Kommissar Antonio Tajani Innenministerin Anna Maria Cancelleri auf, die Unmutsäußerungen der Lastwagenfahrer zu unterdrücken. Er forderte, die italienische Regierung müsse schnell handeln, um das Problem zu lösen und den Handel wieder in Gang zu bringen.
Am Tag zuvor hatte Cancellieri – die durch ihre Karriere als Polizeichefin in Bologna auch als „Eiserne Lady“ bekannt ist – versprochen, sie werde „alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Blockaden zu beenden.“
Der Ex-Banker und Minister für Wirtschaftliche Entwicklung Corrado Passera versuchte, die Proteste zu stoppen, indem er den Lastwagenfahrern Zusatzleistungen versprach – reduzierte Autobahnzölle, angeblich zusätzlich zu einer Reihe von Maßnahmen zu ihren Gunsten,, „die von der Regierung bereits beschlossen wurden“ und „bald in Kraft treten werden.“
Am Donnerstag setzte die Regierung Monti im ganzen Land ein massives Polizeiaufgebot ein, um Autobahnblockaden und Versammlungen von Lastwagenfahrern aufzulösen. Bereits am Mittwoch hatte die Polizei fünf Lastwagenfahrer an einer Straßensperre in Süditalien verhaftet.
Die Präfekten von Ravenna und Bari befahlen der Polizei, Blockaden aufzulösen, der Präfekt von Bari ordnete auch an, alle Blockaden in der Region Puglia bis zum 27. Januar aufzulösen. Berichten zufolge wurden dreizehn Lastwagenfahrer im ganzen Land an Straßensperren verhaftet, vor allem in Straßen nahe Ragusa und Salerno. Ihnen wird „Gewaltanwendung und schwere Sachbeschädigung“ vorgeworfen.
Maurizio Longo, der Sekretär der Lastwagenfahrergewerkschaft Trasporto Unito, warf hingegen der Polizei Gewaltanwendung vor. „Im ganzen Land geht die Polizei mit Gewalt vor. Sie versucht nicht nur, Blockaden aufzulösen, sondern überhaupt alle Versammlungen von Lastwagenfahrern, selbst auf privaten Parkplätzen.“
Dennoch bestand die Reaktion der italienischen Gewerkschaftsbürokratie und der bürgerlichen „Linken“ darin, die staatliche Unterdrückung gutzuheißen und die Demonstranten zu kritisieren. Gleichzeitig wurden die Solidaritätsaktionen der Arbeiterklasse trotz der allgemeinen Feindschaft gegenüber Montis Kürzungen auf ein Minimum beschränkt.
Am Mittwoch griff Susanna Camusso, die Chefin der stalinistischen Gewerkschaft CGIL (Allgemeiner italienischer Gewerkschaftsbund) die Lastwagenfahrer offen an. Wenn sie mit ihren Protesten ein ganzes Land lahmlegen, sei „eine Grenze überschritten. Die Proteste müssen so organisiert werden, dass kein Recht verletzt wird und andere Bürger nicht am Handeln gehindert werden.“
Gestern fand sie noch einen Grund, sich gegen die Proteste zu stellen. Diesmal plapperte sie die bürgerlichen Medien und die kleinbürgerlichen Verbrauchergruppen nach: „Die Regierung muss den Streik stoppen, er verursacht Inflation.“
Der Sekretär der PD, Pierluigi Bersani, forderte die Polizei zum Einschreiten auf, um den Streik der Lastwagenfahrer zu brechen, gleichzeitig bekundete er zynisch seine Sympathie mit dem Widerstand gegen Streikbrecher: „Ich verstehe das Problem in Sizilien, aber wenn ein alter Mann einkaufen geht und nichts findet… müssen wir die Präfekten rufen.“
Angesichts dieser Umstände konnte sich die politische Rechte als einzige Opposition gegen die unsozialen Angriffe der Monti-Regierung aufspielen. Umberto Bossi von der rechtsextremen und fremdenfeindlichen Lega Nord forderte Silvio Berlusconi, der letztes Jahr die Macht an Monti verloren hatte, auf, die Regierung von Monti zu Fall zu bringen, indem er ihr die Unterstützung durch die PDL entzieht.
Aber Berlusconi bekräftigte zusammen mit der TP und den Ex-Stalinisten aus der PD seine Unterstützung für Monti,: „In dieser Zeit können sich diejenigen mit Verantwortungsgefühl, die Montis Regierung unterstützt haben, nicht zurückhalten.“ Berlusconi sagte, er fühle sich gut mit seiner Entscheidung.