Perspektive

Monti: Rettung des Euro ist nicht mit Demokratie vereinbar

Der italienische Regierungschef Mario Monti hat am Montag in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel erklärt, Europa werde auseinander brechen, „wenn sich Regierungen vollständig durch die Entscheidungen ihrer Parlamente binden“ lassen. Jede Regierung habe „die Pflicht, das Parlament zu erziehen“.

Deutlicher kann man nicht sagen, dass die Rettung des Euro und der Europäischen Union nicht mit Demokratie zu vereinbaren sind. Die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament und die Kontrolle der Regierung durch das Parlament, gegen die sich Monti hier ausspricht, sind elementare Grundsätze der parlamentarischen Demokratie.

Monti greift die Parlamente an, meint aber das Volk. Seine Attacke auf die Demokratie erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem der Parlamentarismus weitgehend untergraben ist. Für die große Mehrheit der Bevölkerung ist es unmöglich geworden, die Politik durch den Stimmzettel zu beeinflussen. Wichtige politische Entscheidungen werden durch die Finanzmärkte und ihre Handlanger in Brüssel, Berlin und anderen europäischen Hauptstädten getroffen.

Bei den jüngsten Wahlen in Griechenland und Frankreich haben Parteien, die ein Ende oder zumindest eine Verlangsamung der brutalen Sparpolitik versprachen, großen Zulauf erhalten. In Frankreich gewannen die Sozialisten erstmals seit 1988 wieder die Präsidentenwahl, in Griechenland wurde die Koalition der Radikalen Linken (Syriza) zur zweitstärksten Partei. Doch geändert hat sich nichts.

Der neue französische Präsident François Hollande führt die arbeiterfeindliche Politik seines Vorgängers Nicolas Sarkozy fort; die Autoindustrie hat bereits Massenentlassungen angekündigt. In Griechenland hat Syriza die Rolle der loyalen Opposition übernommen, während das Regierungsbündnis aus Konservativen, Sozialdemokraten und Demokratischer Linker noch brutalere Kürzungsmaßnahmen durchführt.

Monti gab sein Interview am Ende einer Woche, in der die Sparmaßnahmen zu Lasten der Arbeiterklasse europaweit massiv verschärft wurden. Die griechische Regierung hat zusätzliche Einsparungen von 11,5 Milliarden beschlossen, die für viele Arbeiter, Rentner, Kranke und Bedürftige in dem ausgebluteten Land das nackte Elend bedeuten. Die spanische Regierung hat ihr bisheriges Sparziel um 60 Prozent erhöht und will nun die unvorstellbare Summe von 102 Milliarden Euro aus dem Haushalt streichen, was das Land in die Armut der Franco-Ära zurückschleudern wird. Und die Europäische Zentralbank hat entschieden, nur noch Länder durch den Kauf von Staatsanleihen zu unterstützen, die zuvor einen Hilfsantrag beim Europäischen Rettungsfonds gestellt und sich dem Spardiktat der EU unterworfen haben.

Dagegen regt sich massiver Widerstand. In Spanien sind Hunderttausende gegen die Sparmaßnahmen der Regierung auf die Straße gegangen. Den Gewerkschaften fehlt es zunehmend schwer, ihre Empörung unter Kontrolle zu halten. Weder hier, noch in Griechenland, noch in irgendeinem anderen europäischen Land sind die Arbeiter bereit, die Zerschlagung all ihrer Errungenschaften kampflos hinzunehmen.

Unter diesen Umständen hat sich Monti entschieden, die parlamentarische Fassade fallen zu lassen. Das ist der wirkliche Inhalt seines Aufrufs an die europäischen Regierungen, sich nicht durch Beschlüsse der Parlamente binden zu lassen. Es ist ein Aufruf, sich weder durch demokratische Entscheidungen noch durch Druck von der Straße beirren zu lassen und jeden Protest und Widerstand zu unterdrücken.

Monti weiß sehr gut, dass sich die soziale Konterrevolution, auf der die internationalen Finanzmärkte beharren, nicht mit demokratischen Methoden verwirklichen lässt, steht er doch selbst an der Spitze einer Technokratenregierung, die über keinerlei demokratische Legitimation verfügt. Der Wirtschaftsprofessor, Berater von Goldman Sachs und das Mitglied mehrerer konservativer Think Tanks (Bruegel, Bilderberg-Konferenz, Trilaterale Kommission) ist ein Vertrauensmann des internationalen Finanzkapitals. Auf dessen Druck hat er im November letzten Jahres ohne Neuwahlen die Regierung Berlusconi abgelöst, weil diese die Sanierung des Haushalts nicht schnell und konsequent genug vorantrieb.

Seither geht die Regierung Monti systematisch gegen die sozialen Errungenschaften und Rechte vor, die sich die italienische Arbeiterklasse seit dem Sturz der faschistischen Diktatur Mussolinis am Ende des Zweiten Weltkriegs erkämpft hat. Sie hat die Renten gesenkt, die Massensteuern erhöht und den Kündigungsschutz und andere soziale Rechte beseitigt.

Aus Montis Eingeständnis, das Auseinanderbrechen Europas könne nur verhindert werden, wenn sich die Regierungen über die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie hinwegsetzen, müssen politische Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Arbeiterklasse kann ihre Rechte und sozialen Errungenschaften nicht im Rahmen der Europäischen Union und ihrer reaktionären Institutionen verteidigen. Die EU ist ein Instrument zur Unterwerfung Europas unter die Diktatur der Finanzmärkte. Sie kann weder reformiert noch durch Proteste und Verhandlungen zu einem Kurswechsel bewegt werden.

Nur die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse unter der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa kann diesen Angriffen Einhalt gebieten. Die World Socialist Website ruft zur Abschaffung der Europäischen Union und ihrer Institutionen auf und verbindet diese Forderung untrennbar mit einem internationalen sozialistischen Programm.

Wir kämpfen für die Einheit der europäischen und internationalen Arbeiterklasse. Die Arbeiter in Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien müssen den Kampf für den Sturz von Monti, Merkel, Hollande, Rajoy und Cameron aufnehmen und Arbeiterregierungen errichten, die die großen Vermögen, Banken und Unternehmen enteignen, das Wirtschaftsleben auf sozialistischer Grundlage reorganisieren und in den Dienst der ganzen Gesellschaft, statt in den der Profitinteressen der Finanzaristokratie stellen.

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