Perspektive

Die Unantastbaren

Wie die US-Justiz mit der Finanzelite umgeht

Am 9. August gab das amerikanische Justizministerium das Ende einer strafrechtlichen Untersuchung gegen Goldman Sachs wegen Wertpapierbetrugs bekannt. Der Firma war vorgeworfen worden, in den Monaten vor dem Wall-Street-Crash vom September 2008 bei der Ausgabe und Vermarktung von hypothekenbesicherten Wertpapieren betrogen zu haben. Das Ministerium erklärte, es werde weder gegen die Bank, noch gegen einen ihrer Angestellten Anklage erheben und ging zugunsten von Goldman Sachs sogar so weit, die Bank öffentlich von jeglichem Fehlverhalten freizusprechen.

Die Beschuldigungen stützen sich auf einen 640-Seiten-Bericht über die Finanzkrise, der im April 2011 vom permanenten Untersuchungsausschuss des Senats herausgegeben wurde. Der Bericht dokumentiert auf der Grundlage einer zweijährigen Untersuchung und von 56 Millionen Seiten den Betrug und das kriminelle Verhalten großer Banken, sowie die Komplizenschaft von Ratingagenturen und staatlichen Aufsichtsbehörden. Als der Vorsitzende des Ausschusses, Senator Carl Levin, den Bericht vorstellte, erklärte er, die zweijährige Untersuchung habe „eine Schlangengrube von Gier, Interessenkonflikten und ungesetzlichem Verhalten“ aufgedeckt.

Der mit 240 Seiten größte Teil des Berichts ist einer sorgfältigen Dokumentation der Praktiken von Goldman Sachs gewidmet. Die Bank hatte Investoren vom Dezember 2007 an toxische Subprime-Hypotheken im Wert von vielen Milliarden Dollar angedreht, indem sie sie in komplexe hypothekengestützte Wertpapierbündel und verbürgte Schuldverschreibungen verpackte. Der Bericht stützt sich auf interne E-Mails, Memoranden, Werbebroschüren und Vernehmungen. Beim Verkauf der Investments verschleierte Goldman nicht nur, woher die Hypotheken stammten, sondern auch die Tatsache, dass sie an Wert verloren und dass Goldman Sachs selbst damit rechnete, dass sie weiter an Wert verlieren würden.

Der Bericht belegt auch, wie Goldman Sachs die eigenen Kunden zusätzlich durch Wetten auf den Wertverlust von Wertpapieren betrog, die die Bank selbst empfahl. Auch diese Wetten wurden den Kunden verschwiegen.

Der Ausschuss leitete seine Ergebnisse an das Justizministerium weiter und machte klar, dass er strafrechtliche Konsequenzen erwartete. Er schlug auch vor, den Vorstandsvorsitzenden von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, wegen Meineids anzuklagen. Blankfein hatte im April 2010 vor dem Ausschuss abgestritten, beim Handel mit hypothekengestützten Wertpapieren unlauter gehandelt und sich durch Betrug an seinen Kunden bereichert zu haben.

Vergangenen Donnerstag - am gleichen Tag, als das Justizministerium Goldman Sachs reinwusch - berichtete die Bank, dass auch die Banken- und Börsenaufsicht SEC eine zivilrechtliche Untersuchung eines Subprime-Hypothekengeschäfts im Wert von 1,3 Mrd. Dollar aus 2006 abgeschlossen und sich entschieden habe, keine weiteren Schritte zu unternehmen.

Dieses Vorgehen ist ein erneuter Beleg dafür, dass in der amerikanischen Justiz das aristokratische Prinzip herrscht. Banker können lügen, stehlen und die Öffentlichkeit ungehemmt betrügen. Sie dürfen weltweit Menschen ins Unglück stürzen und Gesellschaften ruinieren, ohne fürchten zu müssen, zur Verantwortung gezogen zu werden. Sie unterliegen nicht den Gesetzen, die für einfache Sterbliche gelten. Sie arbeiten ungestraft nach ihren eigenen Gesetzen.

Um diesen Status zu sichern, muss der Geldadel natürlich einen Teil seines Reichtums dafür aufwenden, Politiker, Parteien, Aufseher und Gerichte vom Präsidenten abwärts zu bestechen. Das muss kaum noch verschleiert werden, seit der Oberste Gerichtshof dieses Verhalten durch sein Urteil zur schrankenlosen Wahlkampffinanzierung durch Spenden aus der Wirtschaft im Wesentlichen gebilligt hat.

Die gegenwärtige Krise zeigt, wie unumschränkt die Banker hinter den „demokratischen“ Kulissen herrschen. Anstatt sie in Ketten abzuführen und ihnen den betrügerisch erworbenen Reichtum wegzunehmen, werden die Finanzoligarchen mit Billionen Dollar aus staatlichen Kassen belohnt. Nachdem der Staat durch die Rettungsprogramme für die Banken in den Bankrott getrieben wurde, versucht er jetzt, einen Teil der Kosten wieder einzutreiben, indem er Sozialprogramme und öffentliche Einrichtungen abschafft und die Arbeiterklasse in die Armut treibt.

In seiner Erklärung zu Goldman Sachs vom 9. August beteuert das Justizministerium, es habe „den Senatsbericht umfassend geprüft“, sei aber zu dem Schluss gekommen, dass es „auf der Grundlage des Gesetzes und der gegenwärtigen Beweislage keine ausreichende Gründe für ein strafrechtliches Vorgehen gebe...“

Eine Durchsicht des Berichts des Untersuchungsausschusses des Senats zeigt, dass das eine Lüge ist. Auf Seite 329 heißt es zum Beispiel: “Der Fall Goldman Sachs zeigt, wie eine Investmentbank vom Zusammenbruch des Hypothekenmarktes profitieren konnte, bedeutende Interessenkonflikte ignorierte und dadurch auf Kosten ihrer Kunden vom Verkauf von RMBS [wohnungsbauhypothekengestützten Wertpapieren] und CDO’s profitierte.“

Auf Seite 376 lesen wir: “… Goldman wandte Besicherungsmethoden an, die die Marktrisiken multiplizierten, indem sie hochriskante Hypothekenprodukte von schlechter Qualität weltweit an Investoren verkaufte.”

Auf Seite 602 sind unter der Überschrift “Analyse von Goldmans Interessenkonflikten” folgende Unterüberschriften aufgezählt:

  • Abbau des eigenen Wertpapierbestands
  • Vorenthaltung von Schlüsselinformationen gegenüber Investoren
  • Falsche Angaben über Herkunft von Wertpapieren
  • Nichtangabe der Beteiligung von Kunden
  • Minimierung von Prämien
  • Verkauf von Wertpapieren, die auf Wertverlust ausgelegt waren
  • Verschleppte Liquidierung
  • Falsche Deklaration von Wertpapieren
  • Nichteinhaltung von Put-Obligationen
  • Besicherung mit Krediten von schlechter Qualität
  • Verheimlichung der eigenen Netto Short Positionen

Der Bericht schließt mit einer Übersicht über Bundesgesetze zu Wertpapiergeschäften, unter die Goldmans Geschäftsaktivitäten fallen. Auf Seite 606 heißt es zum Beispiel: „Hinsichtlich eines Brokers bzw. Händlers vertritt die SEC den Standpunkt: ‚Wenn ein Wertpapierhändler einem Kunden Aktien empfiehlt, ist er nicht nur verpflichtet, falsche Tatsachenbehauptungen zu vermeiden. Er muss auch ihm bekannte negative Informationen offenlegen. Das schließt auch die Offenlegung von „entgegenstehenden Interessen“ wie „wirtschaftlichem Eigeninteresse“ ein, das die Empfehlung beeinflusst haben könnte.’

Niemand kann reinen Gewissens behaupten, dass Goldman Sachs bei seiner geldgierigen Profitmacherei mit dem Zusammenbruch des Häusermarktes keine Bundesgesetze verletzt habe. Der Senatsbericht ist eine vernichtende Anklage krimineller Praktiken – nicht nur von Goldman Sachs, sondern von allen großen Banken, Hedgefonds und Finanzinstitutionen.

Der Schutzschild, den die Regierung für die Finanzmafia gespannt hat (nicht ein einziger führender amerikanischer Banker ist seit dem Zusammenbruch von 2008 angeklagt worden), widerlegt alle Behauptungen, das Finanzsystem könne reformiert werden. Die Kontrolle der Finanzoligarchie über die Gesellschaft kann nur durch die unabhängige revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms gebrochen werden. Im Zentrum dieses Programms stehen die Enteignung der Großbanken und ihre Verwandlung in Einrichtungen im Dienste der Öffentlichkeit unter der demokratischen Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung.

 

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