Sarkozy und Cameron in Tripolis: das Wettrennen um Afrika

Mit ihrem Überraschungsbesuch in Tripolis am Donnerstag haben der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister David Cameron den Run der Großmächte auf das libysche Öl eröffnet.

Der Besuch war nicht angekündigt worden und fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Er schloss eine kurze Visite in einem Krankenhaus in Tripolis und eine gemeinsame Pressekonferenz mit Mustafa Abdel Jalil, dem früheren Justizminister Gaddafis, der jetzt dem von der Nato unterstützten Nationalen Übergangsrat (TNC) vorsitzt, und Mahmud Jibril ein. Jibril wurde in den USA als Ökonom ausgebildet und war ebenfalls früher ein Parteigänger Gaddafis. Er ist jetzt als „Ministerpräsident“ des TNC vorgesehen.

Nach der Pressekonferenz verließen Sarkozy, Cameron und die Chefs des TNC die libysche Hauptstadt unter schwerer Bewachung in Richtung Bengasi, wo die TNC-Führer sich bis zum Ende der Kämpfe mit Gaddafi-Anhängern, die in mehreren Städten noch andauern, aufhalten wollen.

Die hastige Abreise aus Tripolis lässt darauf schließen, dass weder die Nato, noch ihre libyschen Marionetten der Sicherheitslage in der Hauptstadt trauen, während die Kämpfe um die Küstenstadt Sirte und um Bani Walid 140 Kilometer südöstlich der Hauptstadt noch andauern.

Noch beunruhigender für Camerons und Sarkozys Sicherheitsabteilung sind zweifellos zunehmende Hinweise, dass auch die Kontrolle des TNC in Tripolis selbst bestenfalls wacklig ist. In der Hauptstadt patrouillierende Milizen islamistischer Elemente kritisieren die TNC-Führung und fordern ihren Rücktritt.

In seiner Rede in Tripolis betonte Cameron, dass der Krieg der Nato gegen das Land weitergehen werde. „Teile von Libyen sind noch unter Gaddafis Kontrolle und Gaddafi ist noch auf freiem Fuß. Wir müssen sicherstellen, dass die Aufgabe vollendet wird“, sagte Cameron. „Wir müssen die Nato-Mission weiterführen, bis alle Zivilisten geschützt sind und die Aufgabe erfüllt ist.“

Der Vorwand, die Nato-Mission” bestehe darin, Zivilisten zu schützen, wird mit jedem Tag absurder. Während Cameron sprach, bombardierten Nato-Flugzeuge Sirte und Bani Walid. Die Nato ermöglicht mit ihrer enormen Feuerkraft den „Rebellen“ jetzt eine Belagerung von Bevölkerungszentren, die die westliche Militärallianz den Gaddafi-Truppen vor Bengasi unmöglich machen wollte.

Cameron stellte in Aussicht, 948 Millionen in Großbritannien eingefrorene Dollar libyschen Vermögens freizugeben – d.h. nur einen Bruchteil der Gesamtsumme -, und britische Militär“berater“ zur Unterstützung des TNC zu entsenden.

Sarkozy betonte, Frankreich habe keine heimlichen wirtschaftlichen Interessen bei seinem Angriff auf Libyen gehabt.

“Wir haben das getan, weil wir das für das Richtige hielten”, behauptete er unverfroren. Er sagte, es habe keine Absprachen hinter den Kulissen über Öl oder den Wiederaufbau gegeben“ und dass „wir uns keine Vorzugsbehandlung ausbedungen haben.“.

Jalil hingegen machte klar, dass genau eine solche Bevorzugung in Arbeit sei. „Unsere Freunde werden eine bevorzugte Rolle spielen, entsprechend der Anstrengungen, die sie gemacht haben, Libyen zu helfen“, sagte er. Obwohl der TNC bisher versichert hat, alle Verträge der Gaddafi-Regierung zu respektieren und zu erfüllen, machte Jalil deutlich, dass das keineswegs gesichert sei.

“Wir werden die bestehenden Verträge einhalten, sofern sie sauber und transparent sind. Als früheres Mitglied der Regierung weiß ich, dass das auf einige nicht zutrifft, die daher überprüft werden müssen“, sagte er. Andere Vertreter des TNC haben offen damit gedroht, China und Russland aus den libyschen Verträgen rauszudrängen, weil sie sich gegen die Resolution des UN-Sicherheitsrats gewandt hatten, die eine „Flugverbotszone“ zum Schutz von Zivilisten einrichtete, die von den Nato-Mächten als Vorwand für ihren Krieg für einen Regimewechsel benutzten.

Es wird in den Medien breit spekuliert, dass die Sarkozy-Regierung sich ihre Anerkennung des TNC und die Bombardierung Libyens als erstes Land versilbern lassen werde. Der französische Erdölkonzern Total könnte sich als der große Nutznießer erweisen.

Die libysche Nationale Ölgesellschaft gab am Dienstag bekannt, dass die libyschen Ölexporte innerhalb zehn Tage wieder aufgenommen würden. Die Produktion könne in sechs Monaten wieder eine Million Barrel am Tag erreichen.

Der amerikanische Vizeaußenminister für den Nahen Osten, Jeffrey Feltman, war schon einen Tag vor Sarkozy und Cameron in Tripolis. Seine Aufgabe war die Sicherung amerikanischer Interessen bei der bevorstehenden imperialistischen Aufteilung Libyens.

Er nutzte die Gelegenheit auch, um die Sorge zu zerstreuen, dass als Ergebnis des Nato-Kriegs zum Sturz Gaddafis islamistische Elemente, zum Teil mit Verbindungen zu al-Qaida, beträchlichen politischen Einfluss gewonnen hätten. „Wir machen uns keine Sorgen, dass eine Gruppe nach dem gemeinsamen Kampf des libyschen Volkes die Situation dominiert“, sagte Feltman auf eine Frage zur zunehmenden Macht der Islamisten

Aber es ist unübersehbar, dass solche Sorgen zunehmen. Die New York Times und die Washington Post berichteten am Donnerstag in mehreren Artikeln über den Aufstieg der Islamisten und über die Kämpfe zwischen ihnen und den ehemaligen Gaddafi-Anhängern und den von Washington und der Nato unterstützen Emigranten. Beide wiesen auf den zunehmenden Einfluss islamistischer Politiker hin: auf Ali Sallabi, der eine islamistische Sammlungsbewegung mit Namen Etilaf leitet, und Abdel Hakim Belhaj, den ehemaligen Leiter der libyschen Islamistischen Kampfgruppe, der in Afghanistan mit al-Qaida zusammengearbeitet hatte und jetzt Militärkommandeur in Tripolis ist.

Vor einigen Tagen verlangte Sallabi den Rücktritt des TNC-Vorsitzenden Jibril und warf Mitgliedern des Rates vor, Entscheidungen zu monopolisieren, um sich persönlich zu bereichern. Er warnte, Vertreter des TNC bereiteten „eine neue Ära der Tyrannei und der Diktatur vor“.

Sallabis Äußerung provozierte eine Demonstration von TNC-Anhängern in Tripolis gegen die Islamisten.

Die New York Times zitierte einen Berater Belhajs mit den Worten: “Jibril macht es nicht mehr lange.” Das ist eine bedrohliche Warnung angesichts des Schicksals des ehemaligen Militärkommandeurs und Ex-Gaddafi-Innenministers, General Abdel Fateh Junes. Seine verbrannte Leiche wurde im Juli vor den Toren Bengasis gefunden, nachdem er scheinbar mit islamistischen Milizionären aneinandergeraten war.

Die in London erscheinende arabisch-sprachige Tageszeitung Al-Quds Al-Arabi warnte am Mittwoch in einem Kommentar, dass die politischen Spannungen zu „blutigen Zusammenstößen zwischen den beiden Konfliktparteien“ führen könnten.

Obwohl die Kämpfe in Libyen andauern und es Anzeichen gibt, dass das von der Nato unterstützte Regime in einem erneuten Bürgerkrieg enden könnte, erklärten Sarkozy und Cameron in ihren Reden, dass der Libyenkrieg ein neues Modell imperialistischer Intervention werden könne.

Sarkozy ließ anklingen, dass Syrien das nächste Ziel sein könne. „Ich habe den Traum, dass junge Syrer eines Tages genauso glücklich sein könnten, wie die jungen Libyer heute. Dann werden sie auch sagen können: ‚Demokratie und eine friedliche Revolution sind gut für uns’.“

Derweil machte der Kommandeur des Afrika Kommandos (AFRICOM) des Pentagon klar, dass der Libyenkrieg für das amerikanische Militär das Vorspiel für neue imperialistische Kriege in der Region sei. General Carter Ham erklärte, dass die Rolle des AFRICOM bei der Intervention in Libyen eine Art Feuertaufe für das Kommando gewesen sei, das bisher im wesentlich nur militärische Beistandseinsätze geleistet hatte und auf der Suche nach Stützpunkten für amerikanische Truppen auf dem afrikanischen Kontinent gewesen sei.

“Der Abwurf von Bomben und der Einsatz von Tomahawks und so was war bisher nicht unser Metier“, sagte er. „Die Frage stellt sich uns jetzt, wie wir so weiter machen können, sodass wir das nächste Mal besser geübt sind, wenn wir wieder einen solchen Einsatz führen müssen.“

Ham sagte auch, er fordere mehr Sondereinsatztruppen für das AFRICOM, um die “Terrorismusbekämpfung in Afrika zu intensivieren. Er nannte drei Gruppen, die eine Bedrohung darstellten: Al Shabab in Ostafrika, die Boko Haram in Nigeria und al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM).

Letztere Gruppe hatte sich 2007 mit der libyschen Islamischen Kampfgruppe zusammengeschlossen. Ein Großteil der Führung der Rebellenkräfte in Libyen entstammen dieser Gruppe.

Ham äußerte sich besorgt, dass tragbare Boden-Luftraketen aus Gaddafis Beständen durch den Krieg der USA und der Nato verloren gegangen seien. Er sagte auch, dass Washington und die Nato sicherstellen müssten, dass die islamistischen Elemente, die sie bewaffnet und unterstützt hatten, nicht „plötzlich als Bestandteil der Interimsregierung oder einer späteren regulären Regierung auftauchten“.

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