Seit dem 28. April beteiligt sich Italien aktiv am Bombenkrieg gegen Libyen. Tag und Nacht starten italienische Kampfjets vom Luftwaffenstützpunkt Trapani Birgi auf Sizilien und vom Flugzeugträger Garibaldi, um ihre tödliche Fracht über der ehemaligen italienischen Kolonie abzuwerfen.
Noch vor wenigen Wochen hatte Außenminister Franco Frattini auf der Homepage seines Ministeriums erklärt, Italien dürfe sich nicht aktiv am Krieg gegen Libyen beteiligen: „Falls ein italienisches Flugzeug Libyen bombardieren und zufällig Zivilisten treffen würde, wäre die Intervention kontraproduktiv“, hieß es da. Grund ist die koloniale Vergangenheit Italiens, das Libyen vor hundert Jahren erstmals annektiert hatte und den Widerstand gegen die Kolonialherrschaft unter der faschistischen Herrschaft Mussolinis mit ungeheurer Brutalität unterdrückte.
Die Entscheidung, sich trotz dieser Vergangenheit am Krieg zu beteiligen, erfolgte nach Gesprächen über den Umgang mit afrikanischen Einwanderern zwischen Regierungschef Silvio Berlusconi und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy am 26. April in Rom. Sarkozy und Berlusconi vereinbarten, „jede Art Handel oder Transport von Treibstoff zu boykottieren, der dem Gaddafi-Regime nützen könnte“. Unmittelbar darauf gab der italienische Regierungschef bekannt, sein Land werde sich ab dem 28. April aktiv am Krieg beteiligen.
Italiens Kriegsteilnahme entspringt der Befürchtung, seinen Einfluss in Libyen an Frankreich, Großbritannien und die USA zu verlieren. Die Financial Times schrieb: „Der italienisch-französische Konflikt über Immigration folgt auf scharfe Differenzen über Libyen. Rom wird zu einem Krieg gedrängt, den es gerne vermieden hätte, denn es muss fürchten, dass eine Verbindung zwischen Paris und Bengasi seine wesentlichen Interessen an libyschem Öl und Gas blockieren könnte.“
Die libyschen Öl- und Gasvorkommen sind für die italienische Bourgeoisie ein starkes Motiv, aktiv am Kampf um den nordafrikanischen Nachbarn teilzunehmen. Italien bezieht ein Viertel seines Ölimports und zehn Prozent seines Erdgases aus Libyen. Der Energiekonzern ENI hat viele Milliarden Euro in Anlagen in Libyen investiert. Bis zum offenen Ausbruch der Feindseligkeiten war Italien der größte Außenhandelspartner Libyens, der größte Abnehmer von Rohöl und einer der stärksten Waffenlieferanten Gaddafis.
Rom hat den Nationale Übergangsrat von Bengasi bereits am 4. April offiziell anerkannt und ihm zehn militärische Berater zur Seite gestellt. Es behandelt den Übergangsrat als libysche Regierung im Wartestand und hat ihn mit Geld und offenbar auch mit Waffen ausgerüstet, wie ein Sprecher in Bengasi am Wochenende erklärte.
Die Entscheidung für die aktive Beteiligung am Krieg sorgte innerhalb der italienischen Regierungskoalition für einige Querelen. Die Lega Nord wandte sich dagegen, weil sie den unkontrollierten Zustrom afrikanischer Flüchtlinge fürchtet, sollte sich der Krieg in die Länge ziehen. Gaddafi, der afrikanische Flüchtlinge in den letzten Jahren am Überqueren des Mittelmeers gehindert und mit italienischer Finanzhilfe in Konzentrationslager gesteckt hatte, hat damit gedroht, sie in großer Zahl nach Italien emigrieren zu lassen.
Die Lega Nord fürchtet auch, Italien könnte zu sehr ins Schlepptau anderer europäischer Mächte, vor allem Frankreichs, geraten. Umberto Bossi, Chef der Lega Nord, sagte der Zeitung Padania: „Wir sind zu einer französischen Kolonie geworden.“ Dass Italien immerzu den Forderungen aus Paris nachgebe, werde „ernste Folgen“ haben. „Internationale Bedeutung erwirbt man sich nicht, indem man immer Ja sagt.“
Aber die Lega Nord achtet sorgfältig darauf, die Regierung nicht ernsthaft zu gefährden. Als diese als Kompromiss eine zeitliche Befristung der italienischen Kriegsbeteiligung auf drei bis vier Wochen vorschlug, ließ sich die Lega beschwichtigen. Die anderen Nato-Partner lehnen eine solche Befristung des Kriegs allerdings ab.
Die stärkste Unterstützung für den Libyen-Krieg kommt in Italien mittlerweile von der so genannten Mittelinks-Opposition und ihrem angeblich „linken“ Umfeld.
Die Demokratische Partei (PD), die aus der Kommunistischen Partei (KPI) hervorgegangene größte Oppositionspartei, unterstützt den Nato-Krieg gegen Libyen nach Kräften. Am 23. März und am 4. Mai sprach sie sich im Parlament ausdrücklich für die Angriffe der Nato aus.
In der Sitzung vom 4. Mai brachte PD-Führer Pier Luigi Bersani einen Antrag ein, der die Regierung verpflichtete, „jede notwendige Initiative zu ergreifen, um den konkreten Schutz der Zivilbevölkerung zu sichern“. Das entspricht dem Wortlaut der UN-Resolution, die grünes Licht für den Krieg gab. Bersani sagte dazu: „Wir wollen doch sehen, ob die Mehrheit in der Lage ist, das italienische Engagement wirklich durchzusetzen.“ Sein Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen, wobei sich die Regierungskoalition der Stimme enthielt.
Staatspräsident Giorgio Napolitano, vormals langjähriger KPI-Funktionär, rechtfertigte Italiens Kriegsteilnahme mit den Worten: „Wir befinden uns nicht im Krieg; die Charta der Vereinten Nationen enthält ein Kapitel, das siebte, das im Interesse des Friedens besagt, auch Aktionen der bewaffneten Streitkräfte seien erlaubt, um Verletzungen des Friedens zu unterdrücken.“
Von der Zeitung il Manifesto aufgefordert, zu erläutern, wie dies mit Artikel 11 der italienischen Verfassung zusammengehe, der den Krieg gegen andere Völker verbietet, antwortete Napolitano: „Der Verfassungsartikel 11, der den Krieg verbietet, muss korrekt gelesen und im Zusammenhang interpretiert werden. Wenn wir uns an den Operationen gegen Libyen aufgrund der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats beteiligen, nimmt Italien nicht an einem Krieg teil und verletzt nicht die Würde anderer Völker.“
Auch Politiker wie Fausto Bertinotti (bis 2006 Führer von Rifondazione Comunista) und Nichi Vendola (Sinistra Ecologia Libertà) erweisen sich als unverzichtbare Stützen der italienischen Bourgeoisie. Niemand versteht es besser, die Tatsachen zu vernebeln und den Krieg als „humanitäre Mission“ und „Verteidigung von Demokratie“ zu beschönigen. Sie verstehen es meisterhaft, der Bourgeoisie die Argumente für den Libyen-Krieg zu liefern.
Fausto Bertinotti schrieb auf seiner Homepage, die Anti-Gaddafi-Opposition müsse verteidigt werden. „Pazifismus ist kein Begriff, der ein für allemal im Handbuch niedergelegt ist“, erklärte er. Man dürfe den Pazifismus nicht wie eine Monstranz vor sich her tragen, sondern müsse „flexibel“ sein.
Nichi Vendola hatte im Februar den Nationalen Übergangsrat unterstützt, um Gaddafi zu entmachten, und Anfang März die UN-Resolution 1973 begrüßt. Heute fordert er einen Waffenstillstand und humanitäre Hilfe unter der Kontrolle der Europäischen Union.
Die EU strebt ein von der Nato unabhängiges Eingreifen in Libyen an. Sie steht mit der Mission EUFOR Libya „Gewehr bei Fuß“ und wartet auf eine entsprechende Aufforderung der UNO. Die Mission besteht aus zwei europäischen Battlegroups zu je 1.500 Mann und steht unter dem Kommando eines italienischen Konteradmirals. Aufgabe von EUFOR Libya wäre es, unter Anwendung militärischer Gewalt einen „humanitären Korridor“ in das umkämpfte Gebiet zu schlagen.
Zur zeit des Irakkriegs hatte sich Rifondazione Comunista, zu deren Mitgliedern damals auch Vendola gehörte, noch an die Spitze der Antikriegsbewegung gestellt. Allein in Rom hatten am 15. Februar 2003 drei Millionen Menschen unter der Parole „Nein zum Krieg ohne Wenn und Aber“ demonstriert. Rifondazione hatte allerdings schon damals dafür gesorgt, dass die Bewegung die bürgerliche Herrschaft in Italien nicht gefährdete. Heute dagegen spielen gerade Rifondazione und ihre Nachfolger die Schlüsselrolle, den Antikriegsprotest zu unterdrücken und zu desorientieren.
Militärexperten geben sich weniger Mühe, den wahren Charakter des Libyenkriegs zu verbergen. Andrea Nativi, Direktor der Militärzeitung Rivista Italiana di Difesa, sagte: „Das ist ein Krieg, und einen Krieg ohne Toten gibt es nicht.”
Auf den Einwand, die italienischen Einsätze richteten sich nur gegen ganz bestimmte militärische Zielobjekte, antwortete Nativi: „Je stärkere Beschränkungen man sich auferlegt, desto länger dauert ein Krieg, und je länger ein Krieg dauert, desto mehr Tote gibt es. Das mag zynisch erscheinen, aber so läuft es.“ Auf die Frage nach dem Einsatz von Bodentruppen sagte er: „Die Pläne dafür sind schon bereit.“
Die Intervention richtet in Libyen schon jetzt große Zerstörungen an. Seit sieben Wochen werden täglich Raketenangriffe geflogen. Die Medien verschweigen, wie viele Menschen, Zivilisten oder Soldaten bereits den Tod gefunden haben.
In der Nacht zum 10. Mai griff die Nato zum wiederholten Mal die Hauptstadt Tripolis an und entfesselte ein dreistündiges mörderisches Inferno. Die offizielle Version besagt, die Nato-Mission nehme ausschließlich militärische Einrichtungen aufs Korn, um „libysche Zivilisten zu schützen“. Doch es werden nachweislich auch zivile Ziele, wie Radio- und TV-Stationen und Privaträume Gaddafis systematisch beschossen.
Der wahre Charakter der „humanitären Mission“ zeigt sich auch am Schicksal der Flüchtlinge. Ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre demokratischen Rechte sind offenbar nicht gemeint, wenn es um den „Schutz der Zivilisten“ geht.
Viele Migranten sterben bei ihrer gefährlichen Überfahrt von Libyen nach Lampedusa auf offener See. Am 9. Mai, wurde ein Boot gefunden, das sechzehn Tage lang hilflos auf dem Meer getrieben hatte. Von 72 Insassen hatten einem Bericht des Guardian zufolge nur elf Menschen den Horrortrip überlebt. 61 Menschen waren unterwegs an Hunger, Durst und Entkräftung gestorben. Wie die Überlebenden berichteten, fanden sie jeden Morgen neue Leichen im Boot, „die wir dann nach 24 Stunden über Bord warfen“.
Von den Kriegsflugzeugen und Hubschraubern der Nato, die diese Region täglich überfliegen und zum „Schutz der Zivilisten“ Bomben abwerfen, will kein einziges das Boot gesichtet haben. Soviel zum „humanitären“ Charakter der Nato-Mission und der italienischen Beteiligung daran.