Streikende der Charité demonstrieren in Berlin

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Am vergangenen Dienstag haben rund 2.500 Beschäftigte der Berliner Charité an einem Demonstrationszug durch die Innenstadt teilgenommen.

Das Pflegepersonal der Uniklinik streikt seit Anfang der Woche für eine Lohnerhöhung von 300 Euro monatlich und bessere Arbeitsbedingungen. Protestierende Pfleger verlangen außerdem eine Angleichung zwischen Ost und West, da Angestellte im Osten 20 Prozent weniger verdienen. Auch sollen Tarifverträge für Transportarbeiter und Küchenpersonal eingeführt werden. Die von der Charité am zweiten Tag des Streiks angebotene Gehaltserhöhung von 180 Euro lehnen die Streikenden einhellig ab.

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Demonstrationsteilnehmer berichteten der WSWS von den schwierigen Bedingungen, unter denen sie täglich ihren höchst verantwortungsvollen und kümmerlich bezahlten Beruf verrichten. Seit Jahren stellt die Charité kaum noch neue Fachkräfte ein. Die Stellen von kranken oder in Rente gegangenen Pflegern werden einfach nicht mehr besetzt.

Mehmed aus der Kinderradiologie erzählte, dass ihm viele seiner Überstunden nicht angerechnet und also auch nicht bezahlt werden. Wie viele seiner Kollegen kritisiert er den bisherigen Verlauf der Verhandlungen von ver.di mit der Geschäftsführung.

Eine Mitarbeiterin aus der Rheumatologie musste innerhalb des vergangen Jahres eine Leistungssteigerung von 20 Prozent erbringen, die keinen Niederschlag auf ihrem Gehaltszettel fand.

Pfleger von der Intensivstation berichten, dass Pfleger aufgrund des Personalmangels immer häufiger Aufgaben der Ärzte übernehmen müssen. Entlohnt wird dieser zusätzliche Arbeitsaufwand nicht, doch vor Gericht sind sie im Falle einer fehlgeschlagenen Behandlung nicht rechtlich abgesichert und können haftbar gemacht werden.

Max arbeitet seit acht Jahren in der Charité und ist als Pfleger in der Neurologie für einen Stundenlohn von 8,50 Euro tätig. Er kritisiert vor allem, dass es schon finanziell keinerlei Perspektiven für junge Beschäftigte gibt. Von den Pflegern werden fortwährend weitere Kürzungen verlangt, während dafür nicht einmal die Arbeitsplätze gesichert werden. Der Pflegeberuf drohe so zu einem Billigjob zu degradieren.

Angesichts der zweifelhaften Rolle, die die Gewerkschaften bisher im Arbeitskampf der Pfleger gespielt haben, sieht Max keinen Sinn darin, selbst Mitglied zu werden. Dass keine der etablierten Parteien oder Organisationen in Deutschland für die Interessen der arbeitenden Bevölkerung eintritt, sieht er durchaus als Problem. Doch obwohl er eine unabhängige Organisation der Arbeiter in Betriebskomitees für notwendig hält, kann er sie sich momentan nicht vorstellen.

Auch Alex, ein junger Pfleger in der Unfallchirurgie, bemerkt, dass es bei der Charité kontinuierlich bergab geht, seitdem er 2005 dort angefangen hat. Schlechte Bezahlung und schwierige Arbeitsbedingungen bringen viele junge Fachkräfte dazu, nach ihrer Ausbildung die Uniklinik zu verlassen. Ihn persönlich, so sagt er, stört dabei sehr das Arbeitsklima im Krankenhaus. Er fühle sich nicht wie ein Mitarbeiter der Charité.

Während Zeitungen wie die BZ versuchen, die Bevölkerung gegen die Streikenden aufzuwiegeln, betonen die Pfleger, dass sie mit ihrem Arbeitskampf auch die Interessen der Kranken und Patienten verfechten, auf deren Rücken letztlich die massiven Einsparungen im Sozialhaushalt ausgetragen werden.

Angesichts der herrschenden Arbeitsbedingungen sehen sich die Pfleger nicht in der Lage, ihrem Berufsethos und ihrer eigentlichen Aufgabe als Pfleger der Patienten nachzukommen. Gespräche seien aus rein zeitlichen Gründen nicht mehr drin, und die Arbeit beschränke sich hauptsächlich auf die medizinische Versorgung der Kranken.

Sarah und Bernd aus der Radiologie berichten, wie die Krankenpflege zunehmend einem „Dienstleistungssektor“ ähnelt, da aufgrund des konsequenten Stellenabbaus und der chronischen Unterbesetzung und Überarbeitung des Pflegepersonals, keine Zeit mehr bleibt, den Patienten menschliche Zuwendung zukommen zu lassen.

Nach den Streiks des Jahres 2006 sind viele der Streikenden der Gewerkschaft gegenüber skeptisch eingestellt. Die Streiks waren letztlich erfolglos geblieben, da ver.di 2007 einen Tarifvertrag akzeptiert hat, der die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtert.

Auch die seit November letzten Jahres ergebnislos laufenden Verhandlungen haben viele enttäuscht und ihnen den Eindruck vermittelt, ver.di sei gar nicht an einer Durchsetzung ihrer Forderungen interessiert. So sind zahlreiche Streikende, insbesondere jüngere Arbeiter, nicht in der Gewerkschaft organisiert oder ihr erst vor kurzem beigetreten, um den gegenwärtigen Streik zu unterstützen.

Auf der Demonstrationskundgebung setzten Gewerkschaftsvertreter auf die altbekannte Karte, die Beschäftigten gegeneinander auszuspielen – die Ärzte gegen die Pfleger, die Beschäftigten der Charité gegen die der anderen Berliner Krankenhäuser und zu guter Letzt die Berliner Krankenhäuser gegen die Baden-Württembergs.

Wie immer durften sich die Demonstranten anhören, dass sie „toll“ seien. Diese Demo sei ein unglaublicher Erfolg, so viele Streikende hätte niemand erwartet. Den gleichen Honig hatte die GEW im April protestierenden Lehrern in Berlin um den Mund geschmiert.

Gleichzeitig machten die Gewerkschaften klar, dass sie eine Verbesserung der Situation an der Charité letztlich von der Politik der Berliner Regierung, abhängig mache. Schließlich rühre die gesamte Misere daher, dass die Berliner Charité nicht wettbewerbsfähig sei. Und warum sei sie nicht wettbewerbsfähig? Weil sich der Berliner Senat nicht genug um Investitionen kümmere.

Ganz offen erklärt hiermit die ver.di-Vertreterin, dass sie nicht vorhabe, gegen die systematische Privatisierung der Charité zu kämpfen. Dabei fordert eine Mehrzahl der Protestierenden ein Ende der Privatisierungsmaßnahmen, die sie zu Recht mit der kontinuierlichen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen in Verbindung bringt.

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Neben einigen hart gesottenen Gewerkschaftsbürokraten standen nur Vertreter der MLPD, der Linkspartei und der SAV bedingungslos hinter ver.di und dem dbb. Sie bemühten sich in ihren Flugblättern, die verräterische Rolle der Gewerkschaften im Arbeitskampf der Berliner Charité zu verschleiern und so unter den Streikenden die Illusion zu schüren, dieses Mal könnten ihre Forderungen mithilfe der Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt werden.

In Wahrheit ist ver.di für jene Missstände, gegen die die Streikenden protestieren, zu einem Großteil mitverantwortlich. Ohne die Hilfe der Gewerkschaften hätten die massiven Kürzungen im Rahmen des Sozialabbaus und der Privatisierung der Charité niemals durchgesetzt werden können.

Wie schon 2006 setzen die Gewerkschaften zuerst auf die Verzögerungstaktik bei den Tarifverhandlungen, um dann in einem begrenzt angelegten Streik die Wut der Arbeiter verdampfen zu lassen, sie zermürbt nach Hause zu schicken und am Ende ihre Unterschrift unter einen Vertrag zu setzen, dessen eigentliche Funktion darin besteht, den Weg für weitere Kürzungsmaßnahmen zu ebnen.

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