Die USA sind auf dem besten Weg, zur ungleichsten Gesellschaft unseres Planeten zu werden. Eine umfangreiche Wirtschaftsanalyse letzte Woche in der Washington Post beweist diesen Trend mit überwältigender Klarheit. Sie lotet den wachsenden Graben zwischen den Wohlhabenden und dem Rest der Gesellschaft aus.
Die Studie trägt den Titel “Die Zunahme von Arbeitsplätzen und Einkommen unter Spitzenverdienern und die Ursachen der wachsenden Einkommens-Ungleichheit: Was die US-Steuerstatistik zeigt“ [Jobs and Income Growth of Top Earners and the Causes of Changing Income Inequality: Evidence from U.S. Tax Return Data]. Sie stammt von den beiden Wirtschaftswissenschaftlern, Jon Bakija vom Williams College und Bradley Heim von der Universität von Indiana, in Zusammenarbeit mit Adam Cole vom Amt für Steueranalysen im US-Finanzministerium.
Die Studie ist sehr technisch und in wirtschaftlichem Fachjargon gehalten, aber die Tatsachen, die sie enthüllt, bergen sozialen und politischen Sprengstoff.
Die Forscher haben sich die Einkommenssteuerdaten des obersten Zehntels vom obersten Prozent aller US-Einkommenssteuerpflichtigen vorgenommen. Dabei handelt es sich um etwa 140.000 Personen, deren jährliches Durchschnittseinkommen bei 1,7 Millionen US-Dollar lag. Die Studie untersucht die Entwicklung des Einkommensanteils dieser privilegiertesten Schicht der Bevölkerung in den vergangenen 35 Jahren.
Was die Forscher feststellten, widerspricht aller Medienberichterstattung, die sich auf eine Handvoll Prominenter aus der Unterhaltungsbranche und Topsportler mit sieben- und achtstelligen Einkommen konzentriert. In Wirklichkeit sind mehr als sechzig Prozent der Spitzenverdiener Angestellte, Manager und Controller von Finanzfirmen und Konzernen. Weitere elf Prozent sind Anwälte und Immobilienhaie. Die Prominenten machen nur drei Prozent aus.
Die Studie belegt im Detail die gewaltige Veränderung der sozio-ökonomischen Struktur der USA in den vergangenen 35 Jahren. Während dieser Zeit vervierfachte sich der Anteil des Zehntel-Prozents an der Spitze. Er stieg von 2,5 Prozent des Nationaleinkommens im Jahr 1975 auf 10,4 Prozent im Jahr 2008.
Der Anteil der 0,01 Prozent Spitzenverdiener verfünffachte sich und erhöhte sich in derselben Zeit von 0,85 Prozent auf 5,03 Prozent. Grob geschätzt bedeutet das, dass die Reichsten der Reichen, etwa 15.000 Menschen, ein jährliches Durchschnittseinkommen von 27 Millionen US-Dollar einstreichen.
Die ständig wachsenden Vergütungen von Konzernchefs sind weit davon entfernt, einen „Exzess“ ähnlich einer Warze im Gesicht darzustellen. Sie sind die wichtigste Triebkraft, die hinter dieser zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichheit steckt.
Die Vergütung der Konzernchefs hat sich in den vergangenen 35 Jahren vervierfacht und mit den Einkommen der 0,1 Prozent an der Spitze Schritt gehalten.
Auf die Angestellten und Manager, die etwa sechzig Prozent dieser 140.000 Spitzensteuerzahler ausmachen, entfallen siebzig Prozent des Einkommenszuwachses der vergangenen 35 Jahre.
In der Zusammenfassung der Washington Post heißt es bezeichnenderweise: „Dies sind nicht nur Angestellte von Wall-Street-Firmen. Sie kommen aus Unternehmen in relativ alltäglichen Branchen, wie zum Beispiel aus dem Milchgeschäft.“
Anders ausgedrückt: Es handelt sich nicht nur um eine Folge der atemberaubenden Profite an den Finanzmärkten, sondern um ein Phänomen, das das gesamte amerikanische Geschäftsleben infiziert hat.
Um den Wandel zu veranschaulichen, skizzierte die Washington Post das Profil zweier Konzernchefs: des gegenwärtigen Chefs von Dean Foods und seines Vorgängers von vor vierzig Jahren.
Der heutige Chef, Gregg L. Eagles, verdient zehnmal so viel wie sein Vorgänger Kenneth J. Douglas (der in heutigen Dollar eine Million pro Jahr verdiente), bewohnt ein sechs Millionen Dollar teures Haus in einem Vorort von Dallas, besitzt eine Ferienresidenz in der Nähe von Vail in Colorado, ist Mitglied in vier Golfklubs und reist in einem zehn Millionen Dollar teuren Firmenjet.
Während der Chef dieses Unternehmens, das zu den 500 von der Zeitschrift Fortune aufgelisteten Topfirmen zählt, heute eine zehnmal so hohe Vergütung kassiert, ist laut Washington Post „der Stundenlohn der Leute, die die Milch in den Molkereien der Firma verarbeiten, pasteurisieren und verpacken, real um neun Prozent gesunken“.
Dies verdeutlicht den allgemeine Trend in der Wirtschaft: Während die Einkommen der Superreichen dem Geldsegen für die Chefs folgten und sich vervierfacht haben, hat der Lebensstandard der arbeitenden Menschen entweder stagniert oder ist gesunken.
Die Ungleichheit in den Vereinigten Staaten übertrifft die aller anderen fortgeschrittenen Industrieländer Europas und Asiens, ihrer Hauptrivalen auf dem Weltmarkt.
Was Ungleichheit betrifft, rangieren die USA auf einer Stufe mit einigen der ärmsten unterentwickelten Länder. Sie sind nur wenig ungleicher als Kamerun und die Elfenbeinküste und weniger ungleich als Uganda.
Die Zahlen, die Bakija, Heim und Cole anführen, basieren auf Steuerdaten, die bis 2008 gesammelt wurden. Sie spiegeln daher nicht den Einfluss des Wall-Street-Crashes vom September 2008 wider und auch nicht den darauf folgenden Zusammenbruch der US- und der Weltwirtschaft und den Übergang in die größte Rezession seit der Großen Depression.
Die wirtschaftliche Ungleichheit ist durch die anschließende Rallye am Aktienmarkt, die fast alle seine Verluste wettgemacht hat, genauso verstärkt worden wie durch das Rekordniveau von Unternehmensgewinnen und Chefgehältern, den gegenwärtigen Lohnabbau und die Schaffung einer permanenten Armee von fünfzehn Millionen Arbeitslosen.
Es gibt viele politische Erkenntnisse, die man aus diesen Zahlen folgern kann. Man könnte fast endlose Gegensätze anführen zwischen der obszönen Selbstbereicherung der herrschenden Elite in den USA und der wachsenden Zahl verlorener Arbeitsplätze, der Armut, den Zwangsversteigerungen, der Obdachlosigkeit, des Hungers und unbehandelter Krankheiten.
Erst letzte Woche berichtete eine Studie der Universität von Washington über den weit verbreiteten Rückgang der Lebenserwartung, insbesondere bei Frauen, und dem Abrutschen der USA vom 20. Auf den 37. Platz der internationalen Statistik für die vergangenen zehn Jahre.
Aber eine Schlussfolgerung sollte als erste gezogen werden: Was in den USA als öffentliches Leben gilt – das politische Gerangel zwischen Demokraten und Republikanern – ist die Politik des Spitzenzehntels eines Prozents der Bevölkerung. Daher konzentriert man sich ausschließliche auf die Verringerung von Haushaltsdefiziten, eine Forderung, die ja vor allem die Wallstreet-Geldmanager aufstellen, während gleichzeitig Millionen Menschen eher gutbezahlte Jobs und angemessene soziale Dienstleistungen, z. B. im Erziehungs- und Gesundheitswesen, brauchen würden.
Die zwei offiziell anerkannten Parteien repräsentieren nur jene, deren Anteil am Nationaleinkommen in den vergangenen drei Jahrzehnten ständig gestiegen ist. Beide Parteien verteidigen das kapitalistische Profitsystem, und ihre Politik ist darauf ausgerichtet, das Krebsgeschwür sozialer Ungleichheit zu füttern, das mittlerweile alle Bereiche der amerikanischen Gesellschaft durchdringt.
Die Vereinigten Staaten sind im eigentlichen Sinne des Wortes keine Demokratie, sondern eine Regierung der Reichen, durch die Reichen und für die Reichen. Es kann keine Lösung der Probleme der arbeitenden Menschen in den USA und auf der ganzen Welt geben, die nicht mit der Enteignung der gewaltigen Vermögen dieser gesellschaftlichen Schicht beginnt.
Der Ausschluss der überwältigenden Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung von politischer Einflussnahme verstärkt ihre ökonomische und soziale Ausbeutung. In einer Zeit, in der sich die Weltwirtschaftskrise verschärft und eine weltweite, revolutionäre Erhebung der arbeitenden Menschen sich ankündigt, kann dieser Zustand nicht auf Dauer aufrechterhalten werden.
Die amerikanische Arbeiterklasse wird in das politische Geschehen eingreifen, und dies wird sowohl die amerikanische, als auch die weltweite Politik unwiderruflich verändern. Um ihre unabhängigen Klasseninteressen zu verteidigen, müssen die arbeitenden Menschen den Kampf für ein sozialistisches und internationalistisches Programm aufnehmen und eine unabhängige politische Massenbewegung aufbauen, um so die Herrschaft der finanziellen Elite zu beenden.