Syrien wird zum Zentrum des Kampfes um regionalen Einfluss

Nach dem die regierungsfeindliche Bewegung gegen das Baath-Regime von Präsident Bashir al-Assad keine signifikanten Fortschritte erzielen konnte, gibt es nun regionale Bemühungen, um die ganz unterschiedlichen und zersplitterten oppositionellen Kräfte zu unterstützen.

 

Assads Regime scheint die sozialen Unruhen in den von Armut geplagten landwirtschaftlichen Gebieten zumindest vorerst eingedämmt und die Ausbreitung auf die wichtigsten Bevölkerungszentren Damaskus und Aleppo verhindert zu haben. Ein Aufruf zum Generalstreik von letzter Woche auf der Facebook-Seite Syrische Revolution 2011 traf auf wenig Resonanz und die Demonstrationen nach dem Freitagsgebet waren unbedeutend.

 

Am vergangenen Wochenende verschärfte die Regierung ihr tödliches Vorgehen gegen alle Regimekritiker. Es gab Berichte, dass nach dem Freitagsgebet 30 Menschen getötet wurden. Die Freitagsgebete haben sich zu einem Sammelpunkt für Demonstranten entwickelt, weil jede öffentliche Versammlung in Syrien eine Bewilligung erfordert. Weitere 20 Menschen wurden am Wochenende getötet. Gestern kamen mindestens acht weitere Todesfälle hinzu.

 

Assads todbringender Einsatz von Panzern, Armee-Truppen, Sicherheitskräften, Polizei und bewaffneten Schlägertrupps haben Demonstranten erfolgreich abgeschreckt. Doch ein weiterer Faktor ist der Charakter, die Perspektive und die Führung der "oppositionellen" Kräfte und Regimekritiker, die von den amerikanischen, britischen und französischen Medien gefördert werden.

 

Viele der prominenteren Sprecher der Opposition sind eng mit Washington, London und Paris verbunden und versuchen Syrien von seiner Allianz mit dem Iran zugunsten einer offenen pro-westlichen Orientierung abzubringen. Nicht wenige von ihnen sind Überläufer des Regimes und CIA-Agenten. Mehrere werden von Washington gesponsert oder finanziert, einschließlich der Gruppe Erklärung von Damaskus, einer zersplitterten Koalition syrischer Oppositionsparteien, einschließlich der Muslimbruderschaft. Zu den Anführern gehören Dr. Kamal al-Labwani, der ins Weiße Haus eingeladen wurde, Michel Kilo sowie Riad Seif, ein reicher Geschäftsmann und ehemaliger Abgeordneter.

 

Ein anderer Oppositioneller ist der wohlhabende syrische Geschäftsmann und ehemalige Vizepräsident Abdul Halim Khaddam, der enge Verbindungen zum ermordeten ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, zu dessen Sohn Saad Hariri und zum saudischen Regime besitzt und heute in Paris im Exil lebt.

 

Khaddams bewaffnete Anhänger und Islamisten waren in die Proteste in der Küstenstadt Banias verwickelt. Sie hatten versucht, Assad mittels einem geplanten Anschlag zu stürzen, der in den US-Botschaftsdepeschen im Voraus angedeutet wurde. Die Facebook-Seite Syrische Revolution 2011, die beim Aufruf zu den Protesten und bei der Verbreitung von Nachrichten über die Unruhen eine prominente Rolle gespielt hat, wird aus Schweden betrieben und steht in enger Verbindung mit der Muslimbruderschaft und anderen islamistischen Gruppen.

 

Die USA und andere Großmächte haben deutliche Vorbehalte bezüglich einem offenen Aufruf zu Assads Absetzung aus Angst vor einer Destabilisierung der Region, in der Syrien der Dreh- und Angelpunkt ist. Dennoch hat sich ihre Haltung verhärtet. Das Weiße Haus, dessen wahres Ziel Teheran ist, hat Sanktionen gegen Mitglieder des syrischen Regimes verhängt, einschließlich gegen Assad selbst. Bei der Bekanntgabe weiterer Sanktionsmaßnahmen im April schloss Präsident Barack Obama die iranischen Revolutionsgarden mit ein, wobei er diese beschuldigte, Assad bei der Unterdrückung der Opposition zu unterstützen. Die Europäische Union und Kanada sind dem Beispiel gefolgt und haben die Sanktionen gegen Assad verschärft.

 

Letzte Woche verlangte Obama in seiner historischen Rede zur Nahost- und Nordafrikapolitik, von der syrischen Regierung "einen ernsthaften Dialog, um einen demokratischen Wandel voranzutreiben." Er ging nicht so weit, Assad zum Rücktritt aufzufordern, doch er sagte "er sollte entweder sein Land durch einen demokratischen Wandel führen oder beiseite treten."

 

Dies scheint Teil einer umfassenderen politischen Umorientierung in Washington zu sein. Bezeichnenderweise bemerkte Soumaya Ghannoushi im britischen Guardian: "Eine Reihe von arabischen Aktivisten, darunter der ägyptische Demokratie- und Menschenrechtsaktivist Esraa Abdel Fattah, wurden letzten Monat zu einer vom Projekt für Demokratie im Nahen Osten durchgeführten Veranstaltung eingeladen, eine von zahlreichen Konferenzen und Seminare in jüngster Zeit. Treffen zwischen hochrangigen US-Beamten, wie dem früheren Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses Steny Hoyer und der Muslimbrüderschaft fanden im letzten Monat in Kairo statt, während der stellvertretende Vorsitzende der tunesischen islamistischen Ennahda Partei vor kurzem von einem Besuch in Washington, zurückgekehrt ist, wo er 'den demokratischen Übergang’ diskutierte.

 

Am 24. Mai organisierte der amerikanisch-syrische Rat ein Treffen von 400 amerikanisch-syrischen Oppositionellen in Washington. Dort wurde die Obama-Regierung aufgefordert, Druck auf die syrische Regierung auszuüben und den Internationalen Strafgerichtshofs zu mobilisieren, um Assad wegen der Repression in Syrien anzuklagen.

 

Die Muslimbruderschaft hat die Menschen aufgerufen, die regierungsfeindlichen Proteste zu unterstützen und hat religiöse Konflikte gefördert. Ihr Ziel, die Errichtung eines Sunnitisch-Islamischen Staates, wird von Saudi-Arabien, Katar und den anderen Golfstaaten als Mittel zur Bekämpfung des iranischen und schiitischen Einflusses in der Region unterstützt. Die Muslimbruderschaft verfügt in Syrien jedoch nicht einmal unter der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung über eine breite Unterstützung. In dem Land gibt es viele Religionen und Sekten.

 

Scheich Yusuf al-Qaradawi, der auf Al Dschasira predigt, rief dazu auf, Assad abzusetzen, was den syrischen Präsidenten veranlasst hat, bei einem Treffen mit dem katarischen Premierminister Hamad bin Jassem zu drohen, alle politischen und wirtschaftlichen Beziehungen abzubrechen. Assad hat zudem Katars Investitionsvorhaben in Syrien im Umfang von sechs Milliarden Dollar (ungefähr vier Milliarden Euro) vorübergehend ausgesetzt.

 

Laut dem Wall Street Journal haben sich Dissidenten in ganz Europa getroffen, scheiterten jedoch daran, ein gemeinsames Programm oder eine Strategie aufzustellen. In dem Bestreben, diese Differenzen zu überwinden, veranstaltet die Türkei nächste Woche ein großes viertägiges Treffen von Oppositionsgruppen und Aktivisten in Antalya, einschließlich der Regimekritiker aus der von den USA unterstützten Gruppierung Erklärung von Damaskus und der mit der Muslimbruderschaft verbundenen Regimegegner.

 

Das Ziel der Türkei ist es, Einfluss auf jedes mögliche neue Regime in Damaskus zu gewinnen oder zumindest Einfluss auf Parteien auszuüben, die neben den Baathisten eine Rolle in der Regierung spielen könnten, wenn Assad von den imperialistischen Mächten ein Kompromiss aufgezwungen werden sollte. Die Konferenz steht allen Oppositionsgruppen offen und soll einen nationalen Übergangsrat wählen.

 

Das Treffen folgt einer Konferenz der lange verbotenen syrischen Muslimbruderschaft in Istanbul im letzten Monat. Deren Pressekonferenz wurde auf Al Dschasira, dem in Katar ansässigen Nachrichtensender, live übertragen. Angeführt von der Unabhängigen Vereinigung der Industriellen und Geschäftsleute, wurde die Konferenz von Gazi Misirli, einem Syrer mit türkischer Staatsangehörigkeit und Führer der Muslimbruderschaft, finanziert und organisiert.

 

Dass die Türkei Gastgeber dieses Treffens ist, trifft in Damaskus, wo die Bruderschaft nach deren bewaffnetem Aufstand gegen Hafez al-Assad, den Vater des derzeitigen Präsidenten, in den späten 1970er Jahren verboten wurde, auf Empörung. Der Aufstand wurde rücksichtslos unterdrückt und Tausende von Anhängern der Bruderschaft wurden 1982 in Hama massakriert. In einem Interview mit Hürriyet Daily News, sagte Nidal Kabalan, Syriens Botschafter in der Türkei: "Für uns ist die Muslimbruderschaft das, was die PKK für die Türkei ist", wobei er sich auf die Arbeiterpartei Kurdistans bezieht, die in der Türkei verboten ist. "Die Muslimbruderschaft hat zudem die Armee [in Dara'a und Banias] angegriffen", fügte er hinzu.

 

Ankaras Unterstützung für Syriens Oppositionelle markiert eine Wende in den Beziehungen zu Damaskus, die in den letzten zehn Jahren immer enger geworden waren. Handel und Investitionen stiegen an, Visa-Beschränkungen wurden aufgehoben und die beiden Länder haben sogar gemeinsame Kabinettssitzungen und gemeinsame militärische Übungen durchgeführt. Aber in den letzten Wochen waren Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Außenminister Ahmet Davutoglu in Damaskus, um Assad dazu zu drängen, auf einen "nationalen Dialog" mit den Demonstranten einzugehen, Mitglieder der Muslimbruderschaft in das Kabinett aufzunehmen, eine Anti-Korruptions-Kampagne zu starten, sowie Mehrparteienwahlen und Demonstrationen zuzulassen.

 

Hinter dieser Verhärtung der Haltung gegenüber dem Assad-Regime steht die Befürchtung in der Türkei, dass Unruhen in den vorwiegend kurdischen Städten im Nordosten Syriens, die unter einer vier Jahre langen Dürre zu leiden haben, auf die Türkei übergreifen könnten, vor allem deshalb, weil ein Absturz in den Bürgerkrieg dazu führen würde, dass Tausende von Syrern über die Grenze fliehen würden.

 

Erdogan rechtfertigte die Haltung der Türkei mit den Worten: "Die Situation in Syrien ist für die Türkei gleichbedeutend mit Innenpolitik." Die Türkei sei "besorgt und verärgert" über die Ereignisse dort, sagte er.

 

Außenminister Ahmet Davutoglu ging noch weiter und forderte, Assad solle unmittelbar Reformen veranlassen, um die Demonstranten zu beruhigen. Er sagte: "Er muss jetzt eine Schocktherapie anwenden, um die Herzen seines Volkes zu gewinnen" und zwar "so früh wie möglich."

 

Das Treffen in Antalya sollte ursprünglich in Ägypten stattfinden. Aber nachträglich weigerte sich Kairo, die Erlaubnis für das Treffen zu geben, das die erste große Zusammenkunft der syrischen Opposition in einer arabischen Hauptstadt seit mehr als einem Jahrzehnt gewesen wäre.

 

Seit dem Sturz Mubaraks versucht Ägyptens Militärregime sein Ansehen als regionaler Vermittler wiederherzustellen und im eigenen Land Unterstützung zu gewinnen. Zu diesem Zweck hat sich das Regime von Israel distanziert und versöhnliche Gesten gegenüber den Palästinensern gemacht, wie beispielsweise die Öffnung der Grenze zum Gazastreifen. Es hat auch versucht, die Muslimbruderschaft und andere islamistische Parteien in eine neue Regierung einzubeziehen.

 

Die Libanon News erwähnte, dass es Qaradawi war, der vor kurzem eine große Kundgebung auf Ägyptens Tahrir-Platz leitete, was nicht nur aufgrund "seines Einflusses in der Muslimbruderschaft" wesentlich ist, sondern auch im Hinblick auf eine "aufkommende Annäherung zwischen Katar und Ägypten". Katar hat Pläne, über zehn Milliarden Dollar in Ägypten zu investieren.

 

Allerdings wird diese Verschiebung auch durch eine gewisse Annäherung an den Iran begleitet, einschließlich provisorischer Gespräche, um nach einer 30-jährigen Unterbrechung diplomatische Beziehungen wiederherzustellen, was erklären könnte, warum die Erlaubnis für die Veranstaltung schließlich doch noch verweigert wurde. Trotz alledem sieht Kairo den Iran immer noch als einen großen Rivalen und ist sich bewusst, dass jegliche Erwärmung der Beziehungen mit Teheran auf scharfe Opposition aus den Vereinigten Staaten stoßen wird.

 

Der amerikanische stellvertretende Außenminister für den Nahen Osten, Jeffrey Feltman, äußerte diese Woche eine versteckte Warnung an Ägypten, sich dem Khamenei-Regime nicht zu sehr anzunähern: "Die Ägypter kennen die Art der Probleme sehr gut“, die der Iran in der Region verursacht. Aufgrund dessen sind die USA nicht "sehr besorgt" über Kairos Entscheidungen bezüglich seiner Beziehungen mit Teheran.

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