Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Kommission (EK) reisten diese Woche nach Athen, um zusammen mit der griechischen Regierung die Planungen für weitere drastische Sparmaßnahmen abzuschließen.
Schon das erste Sparpaket hat große Teile der griechischen Bevölkerung verarmt. Es bestand aus Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, Lohnkürzungen und der Zerstörung des Sozialstaats und der sozialen Infrastruktur. Aber das alles reichte nicht aus, um die europäischen Banken zufriedenzustellen. Sie fordern jetzt die direkte Kontrolle über die Wirtschaft des Landes. Dazu wollen Repräsentanten von EZB, IWF und der EK (bekannt als die Troika) die Verantwortung für ein Privatisierungsprogramm übernehmen, in dessen Verlauf das Staatseigentum Griechenlands verkauft werden und der Gewinn an die Banken fließen soll.
Zunächst wollen die Europäische Union und die sozialdemokratische griechische Regierung von Premierminister Giorgos Papandreou bis Ende nächsten Monats die Bedingungen für die zusätzliche Finanzspritze (um die zwölf Milliarden Euro) ausarbeiten, um den Staatsbankrott zu vermeiden. Nächstes Jahr werden weitere dreißig Milliarden nötig sein, und 2013 sogar noch mehr Geld. Griechenland verfehlte das Haushaltsziel, das ihm letztes Jahr gesetzt wurde, nachdem der IWF und die Regierungen der Eurozone ein Darlehen im Gesamtwert von 110 Milliarden Euro bewilligten. Das Land sollte eigentlich 2012 wieder auf den Markt für Privatanleihen zurückkehren, aber das gilt nicht mehr als realistisch.
Das Kernstück des neuen Bailout-Pakets ist eine Privatisierungskampagne, die bis 2015 fünfzig Milliarden Euro einbringen soll. Unter anderem sollen staatseigene Strom- und Wasserkonzerne, Häfen, Banken, das frühere Telekommunikationsmonopol, Eisenbahngesellschaften und andere Firmen wie Opap, Europas größte Lotto- und Sportwettenfirma, verkauft werden. Außerdem wird es weitere umfassende Ausgabenkürzungen geben, die mehr als sechs Milliarden innerhalb von zwölf Monaten umfassen, was etwa 2,8 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts entspricht. Auch die Massensteuern, die die Arbeiterklasse belasten, sollen erhöht werden.
Am Sonntag berichtete die Financial Times, die Bedingung für neue Darlehen sei eine „beispiellose äußere Einmischung in die griechische Wirtschaft, zum Beispiel in Fragen der Steuererhebung und Privatisierung von Staatseigentum“. Gestern fügte die griechische Tageszeitung Kathimerini hinzu: „Die Troika besteht darauf, dass ihre Repräsentanten ein Mitspracherecht an den Entscheidungen [der zur Durchsetzung der Privatisierungen eingerichteten Behörde] haben sollen, und dass sie alle Entscheidungen blockieren können, mit denen sie nicht einverstanden sind. Sie fordert außerdem, dass keine Regierungsvertreter in der Behörde mitarbeiten dürfen, und dass alle Entscheidungen gesetzlich so geschützt sind, dass sie nicht von einer späteren Regierung geändert werden können.“
Diese außergewöhnlichen Forderungen machen klar, dass die europäischen Finanzoligarchen jeden Deckmantel an demokratischen Normen und dem Prinzip nationaler Souveränität in Griechenland fallen lassen.
Die Bevölkerung lehnt die vorgeschlagenen Maßnahmen in ihrer überwiegenden Mehrheit ab. In den vergangenen sieben Tagen haben sich junge Studenten und Arbeiter vor dem griechischen Parlament versammelt. Sie bezeichnen sich nach der spanischen Protestbewegung „Los Indignados“ (die Empörten), und organisieren sich über soziale Netzwerke im Internet, unabhängig von den Gewerkschaften und den etablierten Parteien.
Vergangenen Sonntag demonstrierten in Athen etwa 50.000 Menschen. Wie es in einem Bericht von Kathimerini heißt, „ließen sich die Parolen, die auf den wenigen Transparenten zu lesen waren, keiner Partei zuordnen, was die Abwesenheit der Gewerkschaften und Vereine unterstreicht, die normalerweise in Griechenland Demonstrationen organisieren. Seither haben mehrere Dutzend Studenten und Arbeitslose auf dem zentralen Platz der Stadt eine Zeltstadt aufgebaut.“
Die Gewerkschaften haben viel dazu beigetragen, dass die von EU und IWF diktierten Sparmaßnahmen umgesetzt werden konnten. Sie haben den Massenwiderstand der Arbeiterklasse gegen die Regierung Papandreous entschärft. Letztes Jahr organisierten die Gewerkschaften eine Reihe 24-stündiger Generalstreiks. Diese gingen aber nicht über symbolische Aktionen hinaus, in denen die Arbeiter Dampf ablassen sollten. Gegen die Durchsetzung der Sparmaßnahmen wurde nichts unternommen.
Für Juni sind weitere Streiks geplant, und die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, ADEDY ruft diesen Samstag zu Demonstrationen auf. Der Chef von ADEDY, Ilias Iliopoulos, hat offen erklärt, sein Hauptanliegen sei es, zu verhindern, dass sich eine Bewegung der Arbeiterklasse außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaften bildet. „Das Land wird noch explodieren, wenn sie mit dieser Politik und all diesen Maßnahmen gegen das Volk weitermachen“, sagte Iliopoulos letzte Woche der Webseite EuroNews. „Die Bevölkerung wird Widerstand leisten, mit unkontrollierbarem Ergebnis.“
Der Premierminister appellierte an das politische Establishment, sich hinter das Sparprogramm zu stellen. In den letzten Tagen traf sich Papandreou mit den Führern der meisten im Parlament vertretenen Parteien, darunter dem Oppositionsführer Antonis Samaras von der rechten Neuen Demokratischen Partei, sowie den Führern der stalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands und der rechtsextremen LAOS-Partei (Laikós Orthódoxos Synagermós, Völkisch-nationale Versammlung). Samaras erklärte, er werde die Maßnahmen der Regierung nicht unterstützen. Zwar hält er die Einsparungen für richtig, er ist aber gegen Steuererhöhungen und fordert stattdessen, dass die Steuern für Unternehmen auf fünfzehn Prozent gesenkt werden sollen.
Samaras steht unter dem Druck europäischer Banker, Papandreous Politik bedingungslos zu unterstützen; so erklärte der EU-Kommissar für wirtschaftlich und finanzielle Angelegenheiten, Olli Rehn, es sei „essenziell wichtig“, dass sich alle Parteien einig würden.
Die Krise zeigt außerdem tiefe Spaltungen zwischen den europäischen Mächten. Die deutsche Regierung versucht, als Bedingung für weitere Darlehen an Griechenland eine Form von Umschuldung zu erzwingen, zu der eine Änderung der Rückzahlungsbedingungen an private Schuldner gehören würde. Die Europäische Zentralbank lehnt dieses Vorhaben ab, und Ratingagenturen haben davor gewarnt, dass jede Form von Umschuldung als so schwerwiegend wie ein Staatsbankrott gesehen würde.
Das Wall Street Journal berichtete: „Die EZB warnt lautstark, eine Umschuldung, egal zu welchen Bedingungen, hätte eine ‚Kernschmelze‘ des griechischen Bankensystems und eine Finanzmarktpanik in Europas verschuldeten Randstaaten zur Folge.“
Sprecher der EZB wiesen die Deutschen scharf zurecht. Das EZB-Vorstandsmitglied Lorenzo Bini Smaghi sagte der Financial Times, „eine Umschuldung oder ein Austritt aus dem Euro wäre das Todesurteil – und wir haben in der EU die Todesstrafe abgeschafft.“ Bini Smaghi bezeichnete die Möglichkeit einer „geordneten“ Umschuldung als „Märchen“, und fügte hinzu, jeder, der behaupte, die Auswirkungen wären kontrollierbar, habe „auch Mitte September 2008 behauptet, die Märkte seien auf den Zusammenbruch von Lehman Brothers vollkommen vorbereitet gewesen.“
Die EZB und die französischen Banken würden bei einer griechischen Umschuldung an stärksten verlieren, während die deutschen Banken deutlich geringere Verluste hätten, für die sie vermutlich von der Merkel-Regierung in voller Höhe entschädigt würden. Der gefühlte Vorteil einer Umschuldung, jedenfalls aus der Perspektive von Deutschland und seinen kleineren Verbündeten in der Eurozone, wäre es, dass dadurch weniger Geld in die Banken von Frankreich und anderen Konkurrenzmächten fließen würde.
Diese Differenzen sind vermutlich nicht zu lösen, ehe sich die Finanzminister der Eurozone zu ihrem Gipfeltreffen am 20. Juni, und die EU-Staats- und Regierungschefs am 23. und 24. Juni treffen.
Keine der konkurrierenden Wirtschaftsmächte hat eine Antwort auf die eskalierende Krise des europäischen Bankensystems. Die Befürchtungen wegen der Schulden von Irland, Portugal, Spanien und anderen verschuldeten Ländern nehmen zu, ebenso das Geschrei nach weiteren Sparmaßnahmen, zusätzlich zu denen, die bereits eine historische Verschlechterung der Löhne und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse bewirkt haben.
Unabhängig davon, was sie für Differenzen untereinander haben, sind sich alle großen Mächte einig, dass die europäische Arbeiterklasse für die Wirtschaftskrise zahlen muss. Die Offensive, die die Finanzoligarchen führen, provoziert in ganz Europa immer stärkeren Widerstand. Die spanische Protestbewegung gegen die Sparmaßnahmen, die ihrerseits von den Aufständen in der arabischen Welt inspiriert ist, dient als Vorbild für ähnliche Bewegungen in mehreren europäischen Ländern.