Griechisches Parlament diskutiert trotz Massenprotesten neue Sparmaßnahmen

Fieberhaft und in enger Abstimmung mit europäischen Politikern versucht die griechische Regierung diese Woche, massive Sparmaßnahmen im Parlament durchzusetzen – gegen den Widerstand der überwältigenden Mehrheit der griechischen Arbeiterklasse.

Die Schocktherapie zielt darauf ab, die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung um Generationen zurückzuwerfen. Sie sieht erhebliche Lohnkürzungen für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst, Steuererhöhungen und die Privatisierung von Staatsvermögen im Wert von fünfzig Millionen Euro vor und wird zu Massenentlassungen führen.

Will Hutton, Kommentator der britischen Tageszeitung Guardian, schreibt: “Man mutet Griechenland größere wirtschaftliche Qualen zu als Deutschland in den Zwanzigerjahren.“

Die Abstimmung über den ersten Teil des Sparpaketes ist für Mittwoch angesetzt, eine weitere, über die ausgiebigen Privatisierungsvorhaben, soll am Donnerstag folgen.

Mehr als zwanzigtausend Demonstranten umzingelten am Dienstag das Parlament in Athen. Sie versuchten, die Abgeordneten am Betreten des Gebäudes zu hindern. Dreitausend Mann starke Sondereinheiten der Polizei antworteten mit Tränengas und wiederholten Angriffen, um die Demonstranten auseinander zu treiben.

Parallel zur parlamentarischen Debatte begannen die griechischen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes am Dienstag mit einem 48-Stunden-Streik. Betroffen sind Verkehrsbetriebe und öffentliche Dienstleistungen wie Schulen, Behörden und die Gerichte. Wegen eines Fluglotsenstreiks wurden Flüge gestrichen, und ein Ausstand der Arbeiter in Elektrizitätswerken sorgte für Stromausfälle.

Die PASOK-Regierung von Ministerpräsident Giorgos Papandreou verlässt sich darauf, dass die Gewerkschaften die Massenproteste wie bisher im Zaum halten. Sie werden von den Demonstrationsteilnehmern scharf kritisiert. Nach fünfzehn ergebnislosen eintägigen Streiks reagiert die Bürokratie jetzt mit einem zweitägigen Streik, den die Regierung und die Arbeitgeber wie gehabt mit einem Achselzucken hinnehmen.

Die europäische Finanzelite ist entschlossen, die Kürzungen durchzusetzen: zum einen, um den Wert der griechischen Staatsanleihen zu erhalten, zum anderen, um einen Präzedenzfall für ähnliche Maßnahmen auf dem gesamten Kontinent zu schaffen. Sowohl die EU als auch der IWF haben kürzlich gedroht, bereits vereinbarte Kredite zurückzuhalten, falls die griechische Regierung nicht in der Lage sein sollte, den Haushalt durchzusetzen.

Vor zwei Wochen reagierte Regierungschef Papandreou auf den Druck der “Troika” (EU, IWF und Europäische Zentralbank) und schlug der wichtigsten Oppositionspartei des Landes, der Neuen Demokratie, eine Regierung der nationalen Einheit vor. Die konservative Opposition ist mit den massiven Kürzungen einverstanden, weist aber die von der Regierung vorgeschlagenen Steuererhöhungen für Unternehmen, einschließlich kleinerer Betriebe, zurück, da diese ihre Wählerschaft weiter dezimieren würden.

Der Führer der Neuen Demokratie, Antonis Samaras, lehnte Papandreous Angebot ab und stellte klar, dass seine Partei gegen den Haushalt stimmen werde.

Papandreou sieht sich auch mit der potentiellen Opposition eines kleinen Teils seiner eigenen Parlamentsfraktion konfrontiert. In ihren Augen könnten weitere Spaßmaßnahmen gegen die griechische Bevölkerung der Partei bei den nächsten Wahlen schaden. Letzte Woche verweigerte eine Handvoll PASOK-Abgeordneter im Parlament die Unterstützung. Papandreou reagierte auf den innerparteilichen Widerstand mit einem Umbau seines Kabinetts.

Er ernannte Evangelos Venizelos, einen Mann mit engen Verbindungen zur griechischen Gewerkschaftsbürokratie, zum Finanzminister. Auf diese Weise gelang es ihm, sich eine Mehrheit zu sichern und das parlamentarische Vertrauensvotum vor einer Woche zu überstehen.

Die PASOK hat im griechischen Parlament nur eine hauchdünne Mehrheit von fünf Stimmen. Es ist aber möglich, dass einige Mitglieder der Opposition Papandreou bei der Abstimmung unterstützen. Wenigstens eine Abgeordnete der Neuen Demokratie hat angekündigt, sie ziehe in Betracht, für die Sparmaßnahmen zu stimmen. Papandreou kann sich möglicherweise auch auf die Unterstützung von fünf Mitgliedern der rechtsgerichteten Demokratischen Allianz stützen.

Politische Kommentatoren sind sich einig: Sollte der Haushaltsentwurf der PASOK scheitern, wäre sie zum Rücktritt gezwungen und müsste Neuwahlen ausrufen. In einer solch kritischen Situation würde ein Griechenland ohne Parlament die europäischen und internationalen Finanzmärkte ins Chaos stürzen. Die Existenz des Euros und der Europäischen Union wären bedroht.

Aber selbst wenn die Regierung überlebt, kann die neue Runde an Sparmaßnahmen die scharfe Wirtschaftskrise in Griechenland nur verschlimmern. Die Gespräche in den herrschenden Kreisen drehen sich nicht mehr um die Frage, ob Griechenland den Staatbankrott erklärt, sondern wann und unter welchen Umständen. Seit dem 110-Milliarden-Euro-Kredit der Troika im März 2010 haben europäische Politiker immer wieder ihr Engagement für den Euro betont. Jetzt allerdings werden Vorbereitungen für ein Szenario getroffen, das noch vor einem Jahr undenkbar erschien.

Am Sonntag erklärte Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble in der Bild am Sonntag, seine Regierung habe schon einen Plan für Eindämmungsmaßnahmen. Im Fall eines griechischen Staatsbankrotts „müssten wir darauf achten, dass die Ansteckungsgefahr für das Finanzsystem und andere EU-Länder eingegrenzt wird“, sagte Schäuble, ohne die in Betracht gezogenen Maßnahmen im Einzelnen zu beschreiben. Vor zwei Wochen hatte der Präsident der Deutschen Bundesbank bereits verlauten lassen, die Bank erarbeite Pläne für den Fall einer griechischen Staatspleite. (Siehe: Germany contemplates “nuclear option” for Greece.)

Wie die Griechenland-Krise auch immer ausgeht, sie wird die Spannungen zwischen den Klassen gewaltig verschärfen. Noch verlässt sich die herrschende Klasse in Griechenland und Europa auf die Gewerkschaften, um die Opposition in Schach zu halten und zu unterdrücken. Doch sie erwägt bereits andere Maßnahmen.

Vize-Premier Theodoros Pangalos sprach eine deutliche Warnung aus. Falls Griechenland keinen Zugang zu einer weiteren Runde an Krediten erhalte, “stehen wir vor einem schrecklichen Szenario… einer Rückkehr zur Drachme, Banken, die von verängstigten Volksmassen belagert werden, die ihre Spareinlagen abholen wollen. Weil es nicht genug Polizisten gibt, werden Panzer die Banken schützen müssen“.

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