Perspektive

US-Senat billigt Militärgewahrsam für amerikanische Staatsbürger

Der US-Senat stimmte am Donnerstagabend für einen Militärhaushalt, der für die kriminellen Praktiken, die unter Bush im Rahmen des „weltweiten Kriegs gegen den Terror“ eingeführt – und von Obama fortgesetzt– wurden, einen legalen Rahmen schafft.

Das Gesetz gibt dem Militär ausdrücklich die Befugnis, amerikanische Staatsbürger ohne Prozess in Militärgewahrsam zu nehmen. Es verfügt, dass alle Nicht-Staatsbürger, die als Terroristen inhaftiert werden – auch wenn sie auf amerikanischem Staatsgebiet verhaftet wurden – für unbegrenzte Zeit vom Militär festgehalten werden können, anstatt vor ein ziviles Gericht gestellt zu werden.

Der Entwurf war Teil des National Defense Authorization Act (etwa: Gesetz über die Befugnisse der Landesverteidigung), durch den der amerikanische Militärapparat und seine Kriege im Ausland mit 662 Milliarden Dollar finanziert werden. Er wurde vom Senat mit der überwältigenden Mehrheit von 93 zu sieben Stimmen angenommen, obwohl die Demokraten im Senat die Mehrheit haben. Damit zeigt sich wieder einmal, dass es in keinem Teil der herrschenden Elite Amerikas, und auch nicht in den beiden Wirtschaftsparteien ein ernsthaftes Interesse an der Verteidigung demokratischer Rechte gibt.

Dieses Gesetz verstößt gegen das Recht auf „einen schnellen und öffentlichen Prozess vor einem unparteiischen Geschworenengericht,“ das im sechsten Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung allen garantiert wird, die eines Verbrechens angeklagt werden, Es verstößt auch gegen den Kerninhalt des fünften Zusatzartikels, der verfügt, dass niemandem „ohne rechtmäßiges Verfahren“ die Freiheit entzogen werden darf. Es legalisiert die Aufhebung des grundlegenden Prinzips des Habeas Corpus, das seit einem Jahrzehnt gängige Praxis ist. Es besagt, dass der Staat einen Verhafteten vor ein unabhängiges Gericht stellen und gerechtfertigte Gründe für die Haft liefern muss.

Das Gesetz verhindert auch, dass mit dem Geld des Pentagons das berüchtigte Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba geschlossen werden kann und erschwert die Freilassung der derzeit dort Inhaftierten. Damit gibt es einer Einrichtung einen legalen Rahmen, die die Vereinigten Staaten zu einem Paria unter den Nationen der Welt gemacht hat.

Schließlich wird auch noch – mehr als zehn Jahre nach dem 11. September 2001 - die Authorization of the Use of Military Force (AUMF, Befugnis zur Anwendung militärischer Gewalt) verlängert. Diese war kurz nach den damaligen Terroranschlägen durch den Kongress gedrückt worden. In seiner jetzigen Form erteilt er der Exekutive allerdings noch weitreichendere Befugnisse als in ihrer ursprünglichen Form.

Genauer gesagt, gab die AUMF, die im September 2001 erlassen wurde, die Befugnis zur Anwendung von Gewalt gegen „Nationen, Organisationen oder Personen“, die nach Ansicht des US-Präsidenten an der „Planung, Autorisierung oder Unterstützung“ der Anschläge des 11. September beteiligt waren oder denjenigen Zuflucht gewährten, die dafür verantwortlich waren.

In seiner jetzigen Form geht sie allerdings noch viel weiter. Sie erlaubt die Anwendung von Gewalt und die verfassungswidrige Verhaftung eines jeden, der „Mitglied oder bedeutender Unterstützer von Al Qaida, den Taliban oder mit ihnen verbündeter Kräfte ist, die Kriegshandlungen gegen die Vereinigten Staaten oder ihre Koalitionspartner begehen.“

Hier geht es darum, das zu ermöglichen, was George W. Bush einmal „die Kriege des 21. Jahrhunderts“ genannt hat – d.h. endlose Aggressionen unter dem Deckmantel eines andauernden „Kriegs gegen den Terror“, in dem die ganze Welt – inklusive das amerikanische Staatsgebiet – als Schlachtfeld gilt.

Welche „verbündeten Kräfte“ sind hier gemeint, und wer sind die namenlosen „Koalitionspartner?“ Diese Begriffe werden nicht näher definiert und absichtlich vage gehalten, um als rechtliches Feigenblatt für Amerikas Kriege in Somalia, im Jemen und in anderen Staaten dienen zu können. Die Erfahrung zeigt, dass die Definition dessen, was mit Al Qaida und dem Terrorismus „verbündete“ Kräfte sind, von Amerikas geostrategischen Interessen abhängt. So werden ehemalige Al-Qaida-Mitglieder als „Freiheitskämpfer“ gefeiert und genutzt, um in Libyen einen Regimewechsel durchzuführen, während anderswo Kräfte, die keine nennenswerten Kontakte zu dem Terrornetzwerk haben, dämonisiert und bekämpft werden.

Und was ist mit „bedeutende Unterstützung“ für Al-Qaida oder die Taliban gemeint? Artikel schreiben, Stellungnahmen veröffentlichen oder Demonstrationen organisieren, bei denen amerikanische Kriege kritisiert werden, die angeblich gegen diese Kräfte geführt werden?

Im Jahr 1918 wurde der Sozialistenführer Eugene V. Debs auf Grundlage des drakonischen Sedition Act („Aufwiegelungsgesetz“) ins Gefängnis gesteckt, weil er in einer Rede den Ersten Weltkrieg kritisiert und die Arbeiterklasse aufgefordert hatte, die Macht zu übernehmen und die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft anzugehen. Allerdings musste die Regierung ihn damals noch vor Gericht stellen. Das Gesetz, das am Donnerstag verabschiedet wurde, macht solche demokratischen Spielereien überflüssig. Jetzt würde man für ein solches Vergehen in einem Konzentrationslager unter Führung des Militärs verschwinden.

Senator Lindsey Graham (Republikaner aus South Carolina), einer der eifrigsten Unterstützer des Gesetzes, ließ keine Zweifel an seiner Bedeutung. Er erklärte: „Wenn man als amerikanischer Staatsbürger sein Land verrät, wird man dafür in Militärgewahrsam genommen und muss darüber Frage und Antwort stehen, was man weiß. Man erhält keinen Anwalt, wenn unsere nationalen Sicherheitsinteressen das nicht zulassen.“

Die American Civil Liberties Union und verschiedene andere liberale Gruppen haben das Weiße Haus für die Drohung gelobt, sein Veto gegen das Gesetz einzulegen, und haben Obama zum Handeln aufgefordert. In Wirklichkeit jedoch ist der demokratische Präsident nicht gegen das Gesetz, weil er Probleme mit dessen undemokratischem Inhalt hat. Im Gegenteil, genau wie die Bush-Regierung hat Obamas Regierung die Befugnisse daraus bereits angewandt.

Sie ist noch deutlich weiter gegangen als ihre Vorgängerin. Sie beansprucht das Recht, US-Staatsbürger zu ermorden, wobei der Präsident ihre Ermordung befehlen kann, ohne auch nur den geringsten Beweis gegen sie erbringen zu müssen. Sie hat dieses Recht im diesem Jahr mit der Ermordung von Anwar al-Awlaki bereits wahrgenommen, einem muslimischen Geistlichen aus New Mexico, der von einer Rakete getötet wurde, die von einer Drohne abgefeuert wurde. Wenn das Weiße Haus bereit ist, amerikanische Staatsbürger ohne Anklage oder Prozess zu töten, hat es auch keine Bedenken gegen Militärgewahrsam und dauerhafte Inhaftierung.

Der Obama-Regierung geht es nicht um verfassungsmäßige Rechte, sondern um den Schutz ihrer verfassungswidrigen, halbdiktatorischen Vollmachten zum Führen von Kriegen und zur Unterdrückung ohne Einmischung der Legislative.

Das Weiße Haus beklagt, dass das Gesetz „die Arbeit unserer erfahrenen Antiterror-Experten, darunter unserer Militärkommandanten, Geheimdienstexperten und anderer Operateure vor Ort“ reglementiere. Es stellt fest, dass „der Kongress einen Fehler macht, wenn er die taktische Flexibilität der Antiterrorexperten unseres Landes überwacht oder einschränkt.“

Senator Carl Levin aus Michigan, ein Demokratischer Unterstützer des Gesetzes, stellte klar, dass die Obama-Regierung sich in das Verfahren eingemischt und dafür gesorgt habe, dass der Teil der Originalversion des Gesetzes, der amerikanische Staatsbürger und legale Einwohner vor unbegrenzter Haft ohne Anklage schützte, gestrichen wurde. Das Weiße Haus empfand diese Einschränkung als unzumutbare Beschneidung seiner Macht, darunter auch die beanspruchte Möglichkeit, Staatsbürger durch das Militär zum „Verschwinden“ zu bringen, ohne öffentlich zu machen, für welche Vergehen.

Die Entscheidung des Senats enthüllt die bereits bestehende Struktur der Diktatur von Polizei und Militär, die hinter der zerfallenden Fassade der amerikanischen Demokratie in den vergangenen zehn Jahren errichtet wurde, und die vollständige Komplizenschaft der beiden großen Parteien in diesem Prozess.

Das brutale Vorgehen der Polizei im ganzen Land gegen die Occupy-Bewegung hat gezeigt, wie eine Regierung der Reichen, von den Reichen für die Reichen wirklich ist. Angesichts der beispiellosen sozialen Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und des sozialen Elends, das diese Proteste überhaupt erst hervorgerufen hat, werden selbst die rudimentärsten Formen demokratischer Regierung unhaltbar. Die Diktate der Finanzelite können nur mit offener Unterdrückung durchgesetzt werden.

Die Verteidigung demokratischer Rechte ist heute untrennbar verbunden mit dem Kampf für soziale Gleichheit, und beides steht im unversöhnlichen Gegensatz zur herrschenden Elite der USA und aller ihrer Einrichtungen, inklusive der Demokratischen Partei und der Obama-Regierung. Dieser Kampf kann nur gewonnen werden durch die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse – der einzigen gesellschaftlichen Kraft, die imstande ist, diese sozialistische Umwandlung der Gesellschaft durchzuführen und die Bedingungen von Ungleichheit, Krieg und Unterdrückung zu beenden, die der Kapitalismus hervorruft.

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