Perspektive

Die Wahrheit über den Irakkrieg

Am Dienstagmorgen fand auf dem Militärflughafen Andrews Air Force Base in Maryland eine Zeremonie statt, mit der das Ende des Irakkrieges und die Rückkehr des US-Oberbefehlshabers für den Irak, General Lloyd Austin, gefeiert wurden. Mit stillschweigender Zustimmung des anwesenden Präsidenten erklärte Austin: „Was unsere Truppen in fast neun Jahren im Irak erreicht haben, ist wirklich bemerkenswert. Zusammen mit unseren Verbündeten und zahlreichen entschlossenen Zivilisten haben sie einen brutalen Diktator entmachtet und dem irakischen Volk die Freiheit zurückgegeben.“

Feldmarschall Hermann Göring hätte es in seiner Rede zur „Befreiung“ Polens im zweiten Weltkrieg nicht besser formulieren können.

Der Abzug der letzten Kampftruppen aus dem Irak bedeutet keinesfalls das Ende der US-Intervention. Allerdings bietet er die Gelegenheit, eines der größten Verbrechen der Moderne näher zu untersuchen. Entgegen dem ekelhaften und heuchlerischen Gerede von „Erfolg“ und „Freiheit“ waren der Krieg und die Besetzung für das irakische Volk eine Katastrophe und für das amerikanische Volk eine Tragödie. Statistiken geben eine gewisse Vorstellung vom Ausmaß der Zerstörung, die das amerikanische Militär angerichtet hat.

• Laut wissenschaftlichen Schätzungen von 2007 wurden mehr als eine Million Iraker durch den Einmarsch und die Besetzung getötet.

• Die Vereinten Nationen schätzten 2008, dass 4,7 Millionen Menschen oder etwa 16 Prozent der Bevölkerung zu Flüchtlingen gemacht wurden.

• Die Infrastruktur des Landes, darunter auch das Stromnetz, wurden zerstört. Laut dem UN-Bericht State of the World’s Cities für die Jahre 2010 und 2011 stieg die Anzahl der Iraker, die in städtischen Slums leben, also keinen Zugang zu grundlegenden Dingen wie Kanalisation und Wasser haben, von 20 Prozent im Jahr 2003 auf 53 Prozent im Jahr 2010.

• Die reale Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 50 Prozent, die Inflationsrate bei über 50 Prozent. Ärzte und andere Fachkräfte sind in Massen abgewandert (schätzungsweise 40 Prozent seit Beginn des Krieges). Das Bildungssystem liegt in Scherben.

• Die Säuglings- und Kindersterblichkeit im Irak ist in erschreckendem Ausmaß angestiegen. Laut einem Bericht von 2007 leiden etwa 28 Prozent der Kinder an chronischer Unterernährung. Laut einer irakischen Regierungsbehörde waren im Jahr 2007 35 Prozent aller irakischen Kinder Waisen. Eine ganze Generation ist damit aufgewachsen, dass ihre Eltern getötet oder entführt wurden.

• Während des Krieges wurden mehr als 4.500 US-Soldaten getötet und mehr als 30.000 verwundet. Außerdem wurden zehntausende durch den Einsatz im Irak psychisch schwer traumatisiert.

• Die Kosten für die Kriege im Irak, in Afghanistan und Pakistan belaufen sich auf mehr als vier Billionen Dollar. In dieser Summe sind die direkten Kosten und die langfristigen Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaftswachstum enthalten. Hunderte Milliarden Dollar wurden an private Söldnerfirmen und Profiteure verteilt. Mindestens sechzehn Milliarden Dollar sind verlorengegangen oder wurden gestohlen.

Der Krieg im Irak war in jeder Hinsicht ein Verbrechen. Die Grundlage waren dreiste Lügen über „Massenvernichtungswaffen, die dem internationalen Publikum aufgetischt wurden.“ Der Krieg war ein Angriffskrieg, der ohne die geringste Provokation und gegen den massiven Widerstand in den Vereinigten Staaten und in der ganzen Welt geführt wurde. Er war ein Musterbeispiel internationalen Banditentums. Sein Ziel war es, zum Wohle der amerikanischen Ölkonzerne die Kontrolle über eines der ölreichsten Länder der Welt zu erlangen und gleichzeitig die Stellung der Vereinigten Staaten im Nahen Osten zu stärken und ihren Status zum Nachteil der rivalisierenden Großmächte zu verbessern.

Alle Gräueltaten, an die man sich beim Thema Irakkrieg erinnern wird, ergaben sich aus dem imperialistischen Charakter des Krieges: Die massenhafte Verhaftung und Folterung von Irakern in Abu Ghraib und anderen Gefängnissen, die Zerstörung von Falludschah, das Massaker an 24 Zivilisten in Haditha, die Vergewaltigung und Ermordung eines vierzehnjährigen Mädchens und ihrer Familie in Mahmudiyah; die alltäglichen Morde an Checkpoints, bei nächtlichen Razzien und durch Bomben und Raketen, die von Kampfhubschraubern abgefeuert wurden.

Die Einflussnahme des  US-Imperialismus im Irak ist noch lange nicht vorbei. Die US-Botschaft im Irak, die größte der Welt, beherbergt 15.000 Mann. CIA-Mitarbeiter und private Söldner, die eine große Rolle während der Besetzung gespielt haben, werden im Land bleiben. Es befinden sich auch weiterhin Zehntausende von Soldaten in der Region, die bei Bedarf jederzeit eingesetzt werden können.

Fast neun Jahre nach dem ursprünglichen Einmarsch herrscht im Irak ein instabiles und zunehmend autoritäres Regime, das von Fraktionskämpfen erschüttert wird, die durchaus zu einem offenen Bürgerkrieg führen könnten.

Auch in der amerikanischen Gesellschaft hat der Krieg seine Spuren hinterlassen, nicht nur in Form der Zehntausenden von Toten und Verwundeten und der verschwendeten Billionen Steuergelder. Der Krieg hat maßgeblich zur zunehmenden Macht des Militärs in der Innenpolitik und der Entwicklung eines Apparates von Militär und Polizei beigetragen, der eine ernste Gefahr für die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung darstellt.

Zwar hat die Bush-Regierung diesen Krieg begonnen und geführt, aber die Verantwortung dafür, dass der Widerstand zu nichts geführt hat und in die Irre gelenkt wurde, tragen die Demokratische Partei und ihre „linken“ Unterstützer. Vor der Invasion kam es in den Vereinigten Staaten zu den größten Antikriegsprotesten seit dem Vietnamkrieg. Hunderttausende von Amerikanern und Millionen in der ganzen Welt waren gegen das bevorstehende Gemetzel.

Mehrere Versuche der amerikanischen Bevölkerung, den Krieg durch Wahlen zu beenden, wurden von den Demokraten blockiert; das fand seinen Höhepunkt mit der Wahl von Obama im Jahr 2008. Ein wichtiger Faktor für seinen Sieg war die Antikriegsstimmung in den Massen, die Obama zynisch bediente.

Die offiziellen „Antikriegs“-Gruppen haben den Widerstand gegen den Krieg unterwandert, indem sie ihn für die Wahlkämpfe der Demokraten in den Jahren 2004 und 2006 benutzt und nach Obamas Wahlsieg abgewürgt haben. Anstatt mit Bushs Politik zu brechen, hat die Obama-Regierung sie im Wesentlichen fortgesetzt. Obama hat nicht nur die Besetzung des Iraks und Afghanistans fortgeführt, sondern auch den Afghanistankrieg auf Pakistan ausgedehnt und einen neuen Krieg gegen das ölreiche Libyen begonnen.

Die gleichen Organisationen, die sich als Gegner des Irakkrieges präsentierten, unterstützten die Invasion Libyens. Sie und Magazine aus der Mittelschicht wie die Nation haben nach der Wahl von Obama ihren Frieden mit dem Imperialismus gemacht.

Der Rückzug der Kampftruppen aus dem Irak ist ein Vorspiel zu neuen, noch blutigeren Kriegen. Die Krise des Kapitalismus tritt in ein neues Stadium ein. Die Spannungen zwischen den Großmächten wachsen. Teile der herrschenden Klasse sahen in der Besetzung des Iraks ein törichtes Abenteuer, das Ressourcen und Aufmerksamkeit von wichtigeren Bedrohungen ablenkte. Dazu zählen regionale Mächte wie der Iran und aufstrebende Weltmächte wie China.

Die herrschende Elite Amerikas wird bei den Angriffen auf Arbeitsplätze und Sozialprogramme der Arbeiter genauso rücksichtslos vorgehen wie bei der Durchsetzung ihrer weltweiten Interessen.

Die starke Antikriegsstimmung in den Vereinigten Staaten muss erneut ihren Ausdruck finden, und zwar als Teil einer sozialen und politischen Bewegung der Arbeiterklasse im Kampf gegen das kapitalistische System.

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