Verdi zementiert schlechte Arbeitsbedingungen für Beschäftigte der Berliner Verkehrsbetriebe

Letzte Woche begrüßten SPD und Linkspartei den Abschluss eines neuen Manteltarifvertrages bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Der Kommunale Arbeitergeberverband (KAV) hatte den Vertrag mit den Gewerkschaften Verdi, GKL (Gewerkschaft kommunaler Landesdienste) sowie der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ausgehandelt.

Der Manteltarifvertrag für den Berliner Nahverkehr verfüge über „wesentliche Verbesserungen für das Fahrpersonal der BVG“, heißt es in Pressemeldungen. Ein Arbeitskampf sei damit abgewendet worden. Die Gewerkschaften GKL und GDL, die sich in der Vergangenheit oft kritisch über Verdi geäußert hatten, begrüßten den Abschluss auf ihrer Website mit der Überschrift „Geschafft“.

In den Tarifverhandlungen ging es um Rahmenbedingungen wie etwa die Arbeits- und Ruhezeiten. Im Vorfeld hatte Verdi verkündet, sie wolle bei den Verhandlungen eine „Beschäftigungssicherung“ für alle Mitarbeiter, eine „Arbeitszeitverkürzung“ bei Alt- und Neubeschäftigten, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und eine Entgeltumwandlung zur Entgeltsicherung durchsetzen.

Tatsächlich heraus kam Folgendes:

Die geplante Beschäftigungssicherung für Neueingestellte wurde vertagt, bis die Tarifverhandlungen auf Bundesebene zwischen Verdi und der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände abgeschlossen sind. Eine Senkung der reinen Arbeitszeit erfolgt von gegenwärtig etwa 9 auf maximal 8,5 Stunden pro Schicht. Das Minimum der Wendehaltezeit von 4 Minuten, das bisher nur auf den Metrolinien galt, wird auf allen Straßenbahn- und U-Bahnlinien zwischen 6 Uhr und 22 Uhr festgelegt.

Die Ruhepause zwischen den Diensten wird von 10,5 auf 11 Stunden erhöht. Der gesetzliche Mindesturlaub bei Langzeiterkrankten verfällt nicht mehr, womit eine Anpassung an die europäische Gesetzesregelung erfolgt.

Während Gewerkschaftsbürokraten und Parteifunktionäre einzelne Vertragsteile preisen, zementiert die Vereinbarung, die Anfang Oktober in Kraft treten soll, den systematischen Sozialabbau der vergangenen Jahre. Der Abschluss festigt und verschlimmert die Arbeitsbedingungen, die mittlerweile alle Bereiche des Fahrdienstes betreffen!

Die lächerlichen 4 Minuten Wendezeit lassen sich auf den meisten Buslinien nicht halten, da der Verkehr – wie in allen Großstädten – staut und die Straßen chronisch verstopft sind. Aber auch in den seltenen Fällen, in denen die Wendezeit nicht der Stau-Verspätung zum Opfer fällt, stellt sich die Frage: Was kann ein Fahrer in vier Minuten tun, um sich für die nächste Stunde Fahrzeit zu erfrischen?

Tatsächlich bräuchte der Busfahrer eine halbe Stunde Wendezeit, um die Fahrgäste wieder sicher befördern zu können, wie es in nur ganz wenigen Verkehrsbetrieben Europas der Fall ist. Somit sind die ausgehandelten 4 Minuten ein Witz. Auf einigen Websites und Foren fragen sich die Fahrer voller Sarkasmus, ob diese Zeiten jetzt auch auf Linienstrecken, wo es wegen einer anderen Pausenregelung noch bis zu 15 Minuten Wendezeit gibt, „bald auf vier Minuten“ gekürzt werden.

Die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe sollten die Tarifverträge sowie den jüngsten MTV-Abschluss gemeinsam ablehnen. Was hier an minimalen Erleichterungen festgeschrieben wurde, hatten sie sich schon in den 70er Jahren erkämpft. Doch sie wurden von den Gewerkschaften in den letzten 20 Jahren Zug um Zug wieder aufgegeben.

Verdi hat dafür gesorgt, dass die Produktivität des Betriebes durch Arbeitshetze – verkürzte Fahr- und Wendezeiten, Abschaffung der bezahlten Pausen, Einführung von Arbeitszeitkonten, Krankenrückkehrgespräche mit dem Vorgesetzen – drastisch erhöht wird, und tut dies auch weiterhin. Gleichzeitig hat Verdi die Teilprivatisierungen und Ausgliederungen, die Abschaffung des Bahnsteigpersonals und die Einführung von Niedriglohnsektoren zu verantworten.

Seit geraumer Zeit fungiert Verdi, wie alle anderen Gewerkschaften auch, als Co-Manager der Landesunternehmen gegen die Beschäftigten.

Kurzer Rückblick

2003 vereinbarte Verdi in Berlin eine Lohnkürzung von bis zu 16 Prozent für nahezu alle Beschäftigten im Verkehrsbereich und brüstete sich mit der Feststellung, dadurch für das Unternehmen eine Kosteneinsparung von mehreren Millionen Euro erreicht zu haben. Bemerkenswert ist, dass das gekürzte Gehalt für die obersten zwei Führungsriegen 2008 wieder angehoben wurde.

2005 wurde dann der von Verdi erarbeitete Tarifvertrag Nahverkehr (TVN) bei der BVG eingeführt. Beteiligt war der heutige Personalchef Lothar Zweiniger. Der langjährige Gewerkschaftsfunktionär hatte seine Karriere bei der ÖTV begonnen und war später stellvertretender Verdi-Chef in Niedersachsen. Heute kassiert er für seine Dienste für den Berliner Senat und kommunalen Arbeitergeber mehr als 25.000 Euro im Monat.

Der TVN kann nur im Zusammenhang mit dem zwei Jahre später zwischen Senat und BVG vereinbarten Verkehrsvertrag verstanden werden. Er hat Bestand bis 2020 und sichert der BVG das nahezu alleinige Recht zu, den Berliner Nahverkehr zu bedienen. Mit ihm wurde auch vereinbart, dass die Reallöhne der Altbeschäftigten, die zum überwiegenden Teil erheblich über dem neuen Tarifvertrag lagen, über den so genannten Sicherungsbetrag erhalten bleiben.

Zentrale Achse der Gewerkschaftspolitik war und ist nach wie vor die Senkung der Personalkosten. Zu diesem Zweck spaltete sie die Belegschaft und schuf einen Niedriglohnsektor innerhalb der BVG. So erhalten alle neueingestellten Mitarbeiter, ob jung oder alt, nur ein Einstiegsgehalt von 1.680 Euro brutto.

Der damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) wollte die BVG für einen symbolischen Euro auf dem Markt bringen und privatisieren. Das gelang ihm nicht, denn Verdi und die Linkspartei überzeugten andere Teile der Berliner Sozialdemokratie von ihrer Fähigkeit, die BVG im Vergleich zu deutschen und europäischen Konkurrenten selbst „wettbewerbsfähig“ zu machen.

Noch heute brüstet sich die BVG auf ihrer Website mit dem TVN: „Den Vertragsparteien war beim Abschluss des neuen Tarifvertrages sehr bewusst, dass allen Beschäftigten, die nach Abschluss des TVN eingestellt wurden und werden, aufgrund des nicht vorhandenen Sicherungsbetrages branchenübliche und damit niedrigere Gehälter bei höherer Arbeitszeit gezahlt werden. Das führte dazu, dass in einem Spitzengespräch am 31. August 2005 zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden der BVG, Herrn Dr. Sarrazin, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft ver.di, Herrn Bsirske und den ver.di-Vertretern, Frau Stumpenhusen und Herrn Bäsler, vereinbart wurde, dass im Falle von Lohnvereinbarungen nach 2007 unterschiedliche Regelungen für Neubeschäftigte und Mitarbeiter, die bereits vor dem 1. September 2005 bei der BVG AöR beschäftigt waren, möglich sind.“

Laut diesem Plan sollte der Lohn für Langzeit-Beschäftigten allmählich gesenkt werden, während sich der Lohn der Neueingestellten leicht erhöhen sollte. Und so wurde auch beim Streik 2008 getrennt verhandelt, die Alt- und Neubeschäftigten wurden weiter gespalten. Allein die Dynamik des Streiks und die hohe Anzahl der Altbeschäftigten konnte die geplante Lohnsenkung verhindern.

Dem systematischen Lohn- und Sozialabbau steht eine hemmungslose Bereicherung an der Spitze des Unternehmens gegenüber. So bekommt Frau Dr. Sigrid Nikutta, die derzeitige BVG-Chefin, ein Monatsgehalt von ca. 33.000 Euro brutto und damit das Zwanzigfache eines Neubeschäftigten.“

Frau Nikutta leitet seit Oktober vergangenen Jahres das Verkehrsunternehmen und hat den Sparkurs gegen Beschäftigte und Fahrgäste verschärft. Dass Betriebs- und Werkstätten geschlossen, wichtige Posten in den Technischen Abteilungen nicht neu besetzt werden, bekommen die Berliner in Form überhitzter Busse wegen nichtfunktionierender Klimaanlagen, verdreckter und speziell im Winter auffallend vielen defekten Fahrzeugen zu spüren.

Wie stark Verdi in die Bereicherungsorgie an der Unternehmensspitze eingebunden ist, wird auch dadurch deutlich, dass Verdi-Chef Bsirske vor zehn Jahren dafür sorgte, dass seine Ehefrau Bettina Jankovsky eine lukrativen Posten im BVG-Management als Leiterin der Stabsabteilung Strategieentwicklung Personal erhielt. Sie wurde damals vom Personalchef Hilmar Schmidt-Kohlhas eingestellt, der vor seinem Sprung an die Spitze der Personalabteilung ÖTV-Funktionär und Gewerkschaftskollege von Frank Bsirske war.

Loading