Die Volkswirtschaften der Industriestaaten der G-7-Gruppe werden wesentlich langsamer wachsen, als bisher für den Rest von 2010 angenommen. Das geht aus einem Bericht hervor, der am Donnerstag von der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgelegt wurde.
Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der G-7 - das ist eine Kennziffer für die Gesamtzahl aller in einem Land produzierten Güter und Dienstleistungen - wird im dritten Quartal wahrscheinlich auf 1,4 Prozent zurückgehen und im vierten Quartal auf 1,0 Prozent. Damit würde sich der Gesamttrend der Volkswirtschaften der USA, Japans, Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Kanadas fortsetzen, deren Wachstum vom ersten Quartal aufs zweite Quartal von 3,2 Prozent auf 2,5 Prozent zurückgegangen war.
Die neue Wachstumserwartung ist eine scharfe Korrektur nach unten gegenüber den letzten Vorhersagen für die G-7, die zusammen mehr als die Hälfte zur globalen Wirtschaftsleistung beitragen.
Im Mai billigte die OECD den USA, der weltweit größten Wirtschaft, für die Quartale drei und vier noch ein Wachstum von 2,8 bzw. 2,7 Prozent zu. Der neue Bericht geht für diesen Zeitraum nur noch von einem Wachstum von zwei bzw. einem Prozent aus.
Viele Ökonomen glauben, dass die amerikanische Wirtschaft mit einer Jahresrate von mehr als drei Prozent wachsen muss, um die katastrophalen Arbeitsplatzverluste der vergangenen drei Jahre langsam wieder wettzumachen. Eine Wachstumsrate von unter zwei Prozent würde wahrscheinlich zu einem erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit führen, die gegenwärtig offiziell bei 9,6 Prozent steht.
Der schärfste Einbruch beim Wachstum wird für Deutschland erwartet, Europas führender Wirtschaftsmacht. Es wird ein Rückgang von 9,0 Prozent im zweiten Quartal auf nur noch 0,9 Prozent im dritten und auf 1,1 Prozent im vierten Quartal erwartet. „Im Fall von Deutschland hat die Verlangsamung ihre Ursache im Bausektor, aber auch in einem Rückgang der Aufträge für die Industrie“, sagte Pier Carlo Padoan, OECD-Chefökonom. „Das starke exportgetriebene industrielle Wachstum in Deutschland könnte sich abschwächen.“
Japan, zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, bis sie dieses Jahr von China überholt wurde, wird in seiner zwanzigjährigen Stagnation verharren, sagte die OECD voraus. In den beiden letzten Quartalen dieses Jahres wird ein Wachstum von nur 0,7 und 0,6 Prozent erwartet.
Frankreich und Italien, die zweit- und drittgrößten Volkswirtschaften der Eurozone, werden wohl auf ein Nullwachstum, wenn nicht sogar auf ein negatives Wachstum zurückfallen. Das Wachstum in Frankreich im dritten Quartal von 0,7 Prozent, soll im vierten Quartal nur noch 0,3 Prozent betragen. Der italienischen Wirtschaft wird für das dritte Quartal ein Schrumpfen um 0,3 Prozent vorausgesagt, bevor es im vierten Quartal wieder ein minimales Wachstum von 0,1 Prozent geben könnte.
Für die Wirtschaft Großbritanniens und Kanadas wird eine bessere Entwicklung erwartet. Für beide wird für die zweite Jahreshälfte ein Wachstum von etwas mehr als zwei Prozent angenommen. Diese Wachstumsraten sind aber nichtsdestoweniger ein scharfer Rückgang gegenüber dem Wachstum von 4,9 Prozent im zweiten Quartal in Großbritannien, und von Kanadas exportgetriebenem Wachstum von 5,8 Prozent im ersten Quartal.
Die gleichförmig negativen Daten zusammenfassend, versuchte die OECD dennoch Optimismus zu verbreiten. „Es ist noch nicht klar, ob der geringere Schwung der Erholung nur vorübergehend ist… oder ob er ein Zeichen für tiefer liegende Schwächen beim privaten Konsum ist, während gleichzeitig die staatlichen Stützungsmaßnahmen auslaufen“, hieß es in dem Bericht.
Er schloss mit einer Warnung: „Wenn die Verlangsamung langfristigere Kräfte widerspiegelt, die auf der wirtschaftlichen Aktivität lasten, dann könnten zusätzliche Konjunkturprogramme in der Form von erleichtertem Liquiditätszugang und festen Zusagen für eine Verlängerung der quasi Null-Prozent Kreditpolitik für einen längeren Zeitraum notwendig sein. Wo die Staatsfinanzen es zulassen, sollte die Haushaltskonsolidierung verschoben werden.“
Die Politik zahlreicher Regierungen in allen Teilen der Welt bewegt sich in die genau entgegen gesetzte Richtung. Nachdem überall die globale Finanzindustrie mit Dutzenden Billionen Dollar gerettet wurde, wird jetzt in allen großen Industrieländern der Arbeiterklasse die „Haushaltssanierung“ durch Sozialkürzungen in jedweder Form und durch einen umfassenden Angriff auf die Löhne aufgebürdet.
Zu dem OECD-Bericht gesellte sich eine Erklärung der Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC), die ein geringeres Wachstum des Ölverbrauchs erwartet. Die OPEC erwartet sogar, dass die Nachfrage nach Öl in Westeuropa in den letzten vier Monaten des Jahres zurückgehen wird.
“Die aktuelle Wirtschaftslage in den meisten entwickelten Ländern ist entmutigend”, erklärte die OPEC.
„Die Tatsache, dass einige OECD-Länder sich keine Konjunkturprogramme mehr leisten können, wird ihre Wirtschaften in der zweiten Jahreshälfte wahrscheinlich unter Druck setzen. Das wird zu einer schwächeren Ölnachfrage im Vergleich zur ersten Jahreshälfte führen.“
Obwohl sich der Bericht der OECD auf die G-7 Länder konzentrierte, stellte er dennoch fest, dass die Abflachung des lebhaften Aufschwungs der Produktion in den G-7 in ähnlicher Weise auch bei den großen Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC) festzustellen ist.
Der Bericht stellte auch fest, dass der Welthandel nach seiner Erholung vom Tiefpunkt Ende 2008 in den letzten Monaten wieder zurückgegangen ist, und dass der Wert von Häusern in der Mehrheit der 33 OECD-Länder erneut zu stagnieren und zu sinken begonnen hat. Die Arbeitslosenzahlen hätten sich sowohl in den USA, wie auch in den Ländern der Eurozone auf dem hohen Niveau von ca. zehn Prozent eingependelt.
Bezeichnenderweise dokumentiert der Bericht, dass die gesamten Geschäftsinvestitionen in den USA, der Eurozone und Japan sich nicht von dem Zusammenbruch von 2008 erholt haben, die Unternehmensprofite in den drei Regionen seit Mitte 2009 dagegen sehr wohl scharf gestiegen sind. Mit anderen Worten fahren die Konzerne in aller Welt Riesengewinne ein, aber das Kapital wird nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf zur Ausweitung der Produktion und der Schaffung von Arbeitsplätzen investiert. Die amerikanische Zentralbank berichtet zum Beispiel, dass die Banken inzwischen auf flüssigen Mitteln von mehr als einer Billion Dollar hocken.
Der von der OECD erwartete Rückgang des amerikanischen Wirtschaftswachstums wurde am Mittwoch von der Zentralbank bestätigt, die das so genannte „beige book“ mit den Berichten ihrer zwölf regionalen Zweigstellen veröffentlichte. In diesen Berichten wurde überwiegend über negative wirtschaftliche Aussichten berichtet.
Zusammenfassungen der Berichte sagen aus, dass die Wirtschaft in der Region New York ein geringeres Tempo einschlage. In Cleveland „gaben Unternehmen an, dass die Produktion entweder stabil sei, oder zurückgehe. In Richmond,Virginia, „wurden die Anzeichen für langsamere oder schrumpfende Wirtschaftsaktivität auffälliger“. Und im Bankendistrikt von Atlanta „ist die Wirtschaftsaktivität rückläufig“.
Die Regionalvertretungen der Bank berichteten alle über negative Trends am Häusermarkt und die meisten berichteten über stagnierende oder negative Entwicklungen in der Produktion und im Einzelhandel.
Das US-Arbeitsministerium berichtete am Donnerstag, dass die Zahl neuer Arbeitsloser in den USA gegenüber der Vorwoche um 27.000 auf 451.000 gefallen sei. Das wurde als Beleg dafür gewertet, dass die Wirtschaft vielleicht doch nicht schrumpfe. Für den statistisch aussagekräftigeren Vier-Wochen-Zeitraum ging die Zahl aber nur um 9.250 auf 477.750 zurück.
Ökonomen glauben allerdings, dass die Wochenstatistik unter 400.000 fallen müsste, um einen Rückgang der Arbeitslosigkeit zu signalisieren. Durchschnittlich haben im ganzen Jahr pro Woche durchschnittlich 454.000 Menschen zum ersten Mal Arbeitslosengeld beantragt.