In Kuba sollen in den nächsten sechs Monaten über 500.000 Staatsbedienstete ihren Arbeitsplatz verlieren. Diese Massenentlassungen stellen den schärfsten Angriff des Castro-Regimes auf die kubanischen Arbeiter dar, seit es von mehr als einem halben Jahrhundert ans Ruder kam.
Die Meldung erschien in der Tageszeitung der Kommunistischen Partei, Granma, am 13. September, im Namen des Nationalen Sekretariats des CTC (Central de Trabajadores de Cuba, Zentrale Gewerkschaft der Kubanischen Arbeiter), der einzig zugelassenen, staatlich kontrollierten Gewerkschaft.
In seiner Bekanntmachung konkretisierte und befürwortete der CTC die geplanten Massenentlassungen, die Staats- und Regierungschef Raúl Castro im August erstmals öffentlich erwähnt hatte. Vor dem Parlament hatte er erklärt, die Regierung sei entschlossen, „ausufernde“ Personalkosten einzudämmen und „ein für alle Mal mit der Vorstellung aufzuräumen, dass Kuba das einzige Land der Welt ist, in dem man leben kann, ohne arbeiten zu müssen“.
Dass der CTC vorgeschoben wurde, um die Massenentlassungen bekanntzugeben, sollte den Anschein erwecken, dieser vehemente Angriff auf Arbeitsplätze sei mit den Vertretern der kubanischen Arbeiter vereinbart worden; praktisch aber untersteht die Gewerkschaft dem Staat. In seiner Verlautbarung und auch in der Rede des Präsidenten kam die Feindseligkeit der Führungselite des Regimes gegenüber den kubanischen Arbeitern deutlich zum Ausdruck.
Zur Begründung der Massenentlassungen wurde behauptet, „aufgeblähte Gehälter“ in Staatsunternehmen „belasten die Wirtschaft, wirken schließlich kontraproduktiv, führen zu schlechten Angewohnheiten und schädlichen Verhaltensweisen der Arbeiter“. Es sei notwendig, „die Produktion anzukurbeln und die Qualität des Dienstleistungssektors zu erhöhen, die überzogenen Sozialleistungen einzudämmen und unangemessene Sonderzahlungen, überhöhte Subventionen und vorzeitige Verrentung abzuschaffen“.
Eine rücksichtslose Sparpolitik also, die die kubanischen Arbeiter geballt mit den umfangreichen Angriffen auf Arbeitsplätze, Löhne und Lebensbedingungen konfrontiert, die als Reaktion auf die weltweite Wirtschaftskrise in jedem Land stattfinden.
Sage und schreibe zehn Prozent der Staatsangestellten (die insgesamt 85 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Kubas ausmachen) werden bis Ende März 2011 ihren Job verlieren. Das wird Kubas offizielle Arbeitslosenquote von 1.7 Prozent in kürzester Zeit verzehnfachen. Aber das ist noch nicht das Ende. Der CTC spricht von über einer Million „überflüssiger“ Arbeitsplätze im Staatsdienst, und von „schrittweisen“ Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt innerhalb der nächsten vier Jahre. Die unmittelbar bevorstehenden Massenentlassungen, so die Warnung des CTC, würden aufgrund ihres „Umfangs und ihrer Auswirkungen jeden Bereich (der kubanischen Wirtschaft) erfassen“.
Die Ankündigung des CTC schweigt sich darüber aus, was mit den Entlassenen geschehen soll. Sie lässt aber darauf schließen, dass Raúl Castros Versprechen vom August, niemand werde „seinem Schicksal überlassen“, nur der Form nach gegeben wurde.
Die Entlassenen, die in der Ankündigung nicht als Arbeitslose, sondern als “verfügbare” bzw. „freigestellte“ Arbeiter bezeichnet werden, sollen in Kubas Privatwirtschaft unterkommen, die es praktisch nicht gibt. Sie beschäftigt weniger als 600.000 Arbeitskräfte, die großteils kleine Bauernhöfe als Familienbetrieb führen, sowie weitere 143.000 cuentapropistas, Selbständige, die vor allem in Friseur- und Kosmetiksalons und als Taxifahrer arbeiten.
“Im Bereich Vermietung, usufructo (Langzeitpachtverträge des Staates mit privaten Bauern), in Kooperativen und als Selbständige werden in den nächsten Jahren Hunderttausende von Beschäftigten arbeiten“, heißt es in der Bekanntmachung.
Einem kleinen Teil der Entlassenen machte der CTC Hoffnung auf einen neuen Arbeitsplatz in anderen Bereichen der verstaatlichten Wirtschaft. In drohendem Unterton hieß es: „Das Verhalten und die persönliche Einstellung eines Bewerbers werden [bei der Besetzung dieser Stellen] eine sehr wichtige Rolle spielen.“
Es liegt auf der Hand, was das bedeutet: Wer sich gegen die Massenentlassungen wehrt, wird beim Staat nie wieder Arbeit finden.
Der CTC warnte außerdem, dass die Entlassungen mit der Einführung „neuer Normen” zusammenhingen, die Veränderungen „bei den Gehältern und Rechten von verfügbaren und freigestellten“ Arbeitern (Arbeitslosen) mit sich brächten. „In Zukunft können Arbeiter nicht mehr damit rechnen, dass ihre Löhne auf Dauer geschützt sind und subventioniert werden.“
Unklar blieb, ob das Arbeitslosengeld ganz abgeschafft, gekürzt oder die Bezugsdauer verringert werden soll. Sicher ist nur, dass der Verlust des Arbeitsplatzes für die Arbeiter in Kuba genauso katastrophale Auswirkungen haben wird wie für ihre Kollegen auf der ganzen Welt. Soziale Vergünstigungen sind in Kuba stärker als in vielen anderen Ländern davon abhängig, einen Arbeitsplatz zu haben.
Auch warnte die Bekanntmachung, dass die Massenentlassungen benutzt würden, die verbleibenden Arbeiter schärfer auszubeuten. „Löhne spielen eine außerordentlich wichtige Rolle“, heißt es. „Wir müssen dem sozialistischen Verteilungsprinzip wieder zur Geltung verhelfen, jeden nach der Menge und Qualität seiner Arbeit zu entlohnen. Ergebnisabhängige Bezahlung, die in Zentren mit vernünftigeren Gehaltsstrukturen bereits erfolgt, wird auch in Zukunft die Produktivität und damit das Einkommen der Arbeiter steigern helfen.“
Dieses von der CTC bemühte “Prinzip” ist ein kapitalistisches, kein Prinzip des Sozialismus, der die Abschaffung des Lohnsystems anstrebt. Es fördert die soziale Ungleichheit und wird von der herrschenden Bürokratie hochgehalten. Die „Qualität“ ihrer Arbeit wird deutlich höher eingestuft als die der Arbeit des durchschnittlichen Arbeiters.
Die Regierung kürzt auch Subventionen, von denen ein großer Teil der Bevölkerung abhängt. Sie hat die Schließung von Kantinen veranlasst, in denen die Arbeiter freie Mahlzeiten erhielten, und hat Zigaretten von den Bezugskarten genommen, die Arbeiter zusätzlich zu ihrem Lohn erhielten. Der Durchschnittslohn liegt bei 420 Pesos, das entspricht etwa 20 Dollar. Viele befürchten, dass nun der erste Schritt zur vollständigen Abschaffung von Subventionen getan ist.
Über Jahrzehnte hörten die kubanischen Arbeiter; dass ihnen im Unterschied zu ihren Kollegen in anderen lateinamerikanischen Ländern Arbeitsplätze, Bildung, Gesundheitswesen und bescheidene staatliche Subventionen sicher seien, wenn auch ihr Lebensstandard bescheiden sei. Diese sicher geglaubten Garantien fallen nun weg, und das kubanische Regime ist dabei, ein Heer von arbeitslosen Armen zu schaffen, die sich selbst überlassen bleiben, wie man es aus anderen Ländern in der Region kennt.
Das Wall Street Journal reagierte begeistert auf die Maßnahmen der kubanischen Regierung, erblickte in der massenhaften Zerstörung von Arbeitsplätzen einen Sieg für die „Freiheit“ und lobte das Regime dafür, dass es „seine praktisch bankrotte Wirtschaft auf ein marktfreundlicheres System umstellt“.
“Kubas Bemühen, der arbeitenden Bevölkerung eine neue Orientierung zu geben, ist der größte Schritt zu einer freieren Wirtschaft seit den frühen 1990er Jahren, als Havanna kurzzeitig Veränderungen anstrebte, um ohne die Zahlungen seines größten Wohltäters, der Sowjetunion, nach deren Zusammenbruch zu überleben“, schrieb die Zeitung.
Es liegt auf der Hand, dass die kubanische Regierung ihre heftigen Angriffe auf Arbeitsplätze und soziale Bedingungen der Arbeiterklasse unter dem Druck einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise durchführt, die in der globalen Finanzkrise ihre Ursachen hat. Ihre Reaktion darauf wird durch den kleinbürgerlichen nationalistischen Charakter des Regimes bestimmt, das 1959 durch eine Guerillabewegung an die Macht gebracht wurde. Seither stand ihr Führer Fidel Castro an der Spitze der Regierung, bis sein Bruder Raúl vor vier Jahren den kränkelnden Führer ablöste.
Die Wirtschaftskrise hat Kuba schwer getroffen. Der Preis seines wichtigsten Exportgutes, Nickel, fiel von 50.000 Dollar auf 10.000 Dollar/Tonne; der Tourismus erlitt einen starken Einbruch und die Geldüberweisungen von Exilkubanern gingen stark zurück.
Die Massenentlassungen wurden just zu einem Zeitpunkt angekündigt, als ein Interview von Fidel Castro mit einem amerikanischen Journalisten für kontroverse Reaktionen gesorgt hatte. Demnach soll er geäußert haben: „Das kubanische Modell funktioniert nicht einmal mehr bei uns.“
Der Journalist Jeffrey Goldberg von der Zeitschrift Atlantic habe ihn „falsch verstanden“, behauptete Castro später. Goldberg bestand jedoch darauf, den ehemaligen Staatschef korrekt wiedergegeben zu haben.
Gleichermaßen bedeutsam waren Castros Äußerungen in besagtem Interview, in denen er das iranische Regime des Antisemitismus bezichtigte und es aufrief, “zu verstehen, weshalb Israelis um ihre Existenz fürchten”.
Diese Aussagen zu einer Zeit, da Washington den Druck auf Teheran verschärft, scheinen darauf angelegt, sich bei der US-Regierung lieb Kind zu machen. Schon früher gab es ähnliche Gesten Kubas, darunter die Freilassung von 52 „Dissidenten“ nach Verhandlungen mit dem Vatikan, der spanischen Regierung und der Europäischen Union.
Doch die Regierung Obama steht der Politik Kubas bisher weiterhin unversöhnlich gegenüber. Sie hat die seit einem halben Jahrhundert anhaltende Wirtschaftsblockade gegen die Insel kürzlich um ein weiteres Jahr verlängert und nur einige Reiseerleichterungen zugestanden.
Teile der US-Wirtschaftselite wollen eine stärkere Lockerung des Embargos. Sie fürchten, gegenüber ihren europäischen Rivalen ins Hintertreffen zu geraten, weil das Land gar keine andere Wahl hat, als sich verstärkt ausländischem Kapital zu öffnen. Es sind vor allem Telefongesellschaften, die unbedingt grünes Licht für ein direktes Engagement auf der Insel haben wollen.
Die Ankündigung von Massenentlassungen erfolgt im Zuge weiterer Veränderungen in der Wirtschaftspolitik. So soll ausländischen Investoren bald erlaubt sein, im Staatsbesitz befindliches Land bis zu 99 Jahre zu pachten. Damit sollen Verträge mit ausländischen Firmen erleichtert werden, die Golfclubs und Luxuswohnungen für Ausländer bauen wollen. Die neuen Bestimmungen würden „ausländischen Investoren größere Sicherheit und Garantien“ verschaffen, ließ die Regierung verlauten.
Diese Maßnahme hat augenscheinlich beträchtliche Unruhe ausgelöst. Jorge Gómez Barata, ein regierungsfreundlicher Journalist und Intellektueller, verteidigte in einem Artikel mit der Überschrift “Tourismus für Millionäre, Einkommen für Millionen” die neue Politik gegen alle, die „überholten Dogmas und Stereotypen“ nachhängen. Die Öffnung des Landes für Millionäre bedeute, so Barate, „sich in Wirtschaft, Kultur und Handel Standards anzunähern, die mehr oder weniger überall gelten“.
Gómez Barata beklagte sich lediglich darüber, dass die Kubaner, “die durch ihre Arbeit und andere gesetzeskonforme Geschäfte über ausreichend Mittel verfügen, die neuen Luxuswohnungen und -einrichtungen nicht kaufen können“.
Ganz sicher gibt es in den herrschenden Kreisen eine wachsende Zahl von Personen, die durch ihre Beziehungen zu ausländischen Geldgebern und durch andere zweifelhafte Geschäfte „Mittel“ anhäufen, die ihnen gestatten, wie Millionäre zu leben.
Im Juni 2009 schloss die Kommunistische Partei Kubas einen ihrer führenden Intellektuellen und Fernsehkommentatoren, Esteban Morales, aus der Partei aus, nachdem er warnend auf die vielen Korruptionsskandale in den herrschenden Kreisen hingewesen und diese als Symptome einer wachsenden „Konterrevolution“ im Innern des Regimes bezeichnet hatte.
“Es zeigt sich immer deutlicher, dass es Leute in der Regierung und im Staatsdienst gibt, die Reichtümer beiseite schaffen für den Fall, dass die Revolution Schiffbruch erleidet. Andere sind vielleicht schon bestens darauf vorbereitet, staatlichen Besitz in privaten zu überführen, wie es in der ehemaligen Sowjetunion geschah“, schrieb Morales.
Aus den angekündigten Maßnahmen wird ersichtlich, dass dieses Streben führender Elemente innerhalb des Castro-Regimes nach Selbstbereicherung nur durch einen Frontalangriff auf die kubanische Arbeiterklasse erfolgreich sein kann. Soziale und politische Erschütterungen werden die unvermeidliche Folge sein.