Lettische Regierung ernennt SS-Veteran zum Ausschussvorsitzenden

Lettlands Regierung hat am 8. November ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS zum Vorsitzenden des Parlamentsausschusses gewählt, der für den Umgang mit der russischen Minderheit im baltischen Staat zuständig ist.

Der 86-jährige Abgeordnete Visvaldis Lacis leitet in Zukunft den für die Umsetzung der Staatsbürgerschaftsgesetze zuständigen Parlamentsausschuss. Lacis ist Mitglied der neofaschistischen Partei „Alles für Lettland“, die bei den Wahlen vom 2. Oktober ins Parlament eingezogen ist. Sie fordert ein Verbot der russischen Sprache im Schulunterricht und die Deportierung der ethnischen Russen, die rund ein Viertel der Einwohner des Landes ausmachen.

Lacis, der im Zweiten Weltkrieg als Mitglied der Lettischen Legion der Waffen-SS gegen die Sowjetunion kämpfte, hat zahlreiche Artikel und Bücher veröffentlicht, die Hitlerdeutschland, die Waffen-SS und den Krieg gegen die Sowjetunion verherrlichen. Er wird von den lettischen Neofaschisten verehrt und unterhält enge Kontakte zu rechten Schlägergruppen, die für Provokationen und Gewalttaten gegen Minderheiten berüchtigt sind. Mit ihnen feiert er alljährlich den Einmarsch der deutschen Truppen im Jahr 1941.

Seit der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion haben praktisch alle lettischen Regierungen auf die Mobilisierung extrem rechter, antikommunistischer Kräfte gesetzt. Auch Lacis war für seine Verdienste im Kampf gegen die Sowjetunion mit Orden dekoriert worden. Mit seiner Ernennung zum Ausschussvorsitzenden erreicht die Zusammenarbeit mit den Neofaschisten aber eine neue Qualität.

Der 39-jährige Regierungschef Valdis Dombrovskis hatte sogar lange darauf gedrängt, die Neofaschisten in seine neue Regierung aufzunehmen, war aber schließlich an Widerständen im eigenen rechtliberalen Wahlbündnis „Einheit“ gescheitert.

Nach den Wahlen Anfang Oktober hatten rund vier Wochen lang Gespräche und Verhandlungen über die Zusammensetzung der neuen Regierung stattgefunden. Obwohl die bisherigen Regierungsparteien „Einheit“ und „Union aus Grünen und Bauern“ über 55 der 100 Abgeordnetensitze verfügen und sich rasch darauf einigten, ihre Koalition unter Ministerpräsident Dombrovskis fortzusetzen, entbrannte eine lange Debatte darüber, ob man auch ultra-rechte Kräfte in die Regierung einbinden solle.

Am Ende einigte man sich darauf, die Ultra-Rechten nicht offiziell in die Regierung aufzunehmen, doch die acht Abgeordneten von „Alles für Lettland“ und „Vaterland und Freiheit“ stimmten trotzdem für Dombrovskis und bestätigten ihn im Amt.

Doch auch so ist die Regierung mit ultra-rechten Figuren durchsetzt.

Außenminister Girts Valdis Kristovskis, Vorsitzender von Dombrovskis’ „Einheit“, überstand am Dienstag nur knapp ein Misstrauensvotum, nachdem bekannt geworden war, dass er in einem E-Mail-Wechsel mit einem in den USA lebenden lettischen Arzt dieselben rassistischen Ansichten vertreten hatte wie „Alles für Lettland“. Sein eifrigster Verteidiger in der Parlamentsdebatte über das Misstrauensvotum war der frühere SS-Mann Lacis.

Als stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister ist der ehemalige Außenminister Artis Pabriks in die neue Regierung zurückgekehrt. Er steht für einen bedingungslos pro-europäischen Kurs und eine scharfe Abgrenzung zu Russland.

Die Aufwertung von Neofaschisten und das Schüren von ethnischen Spannungen gegen die russische Minderheit stehen in direktem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten Lettlands und den sozialen Angriffen auf die Arbeiterklasse. Lettland ist so hart wie kein anderes EU-Land von der internationalen Wirtschaftskrise betroffen. 2009 brach die Wirtschaftsleitung um 18 Prozent ein und laut lettischem Finanzministerium soll das BIP in diesem Jahr nochmals um mindestens drei Prozent schrumpfen.

Die Probleme des einstigen baltischen Tigers hatten schon vor Ausbruch der internationalen Finanzkrise begonnen. Nach dem Platzen einer Immobilienblase war das BIP schon im zweiten Quartal 2008 ins Minus gerutscht. Ende 2008 stand Lettland vor dem Staatsbankrott. Nur ein Notkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU über 7,5 Milliarden Euro bewahrte das Land vor der Pleite.

Als Gegenleistung verpflichtete sich die Regierung zu einem dramatischen Sparkurs, der jetzt noch einmal verschärft wird. Die neue Regierung hat sich bislang auf weitere Einsparungen in Höhe von 600 Millionen Euro festgelegt, obwohl der bisherige Kahlschlag den durchschnittlichen Lebensstandard bereits katastrophal verschlechtert hat.

Nachdem rund die Hälfte der Kliniken des Landes geschlossen worden sind, gibt es schon heute nicht mehr ausreichende Kapazitäten zur gesundheitlichen Versorgung. In den noch bestehenden Kliniken reichen die Medikamente nicht. Ärzte und Pflegepersonal sind derart abgebaut worden, dass auch notwendige Operationen teilweise nicht mehr durchgeführt werden können.

Den öffentlich Bediensteten sind die Löhne um bis zu 60 Prozent gekürzt worden. Selbst höhere Angestellte brauchen einen Zweitjob, um über die Runden zu kommen. Vielfach wurde die Befürchtung geäußert, ein harter Winter werde zu zahlreichen Kältetoten führen, weil die Menschen die Heizkosten nicht bezahlen können.

Dombrovskis und seine Regierung sind trotz der sozialen Konsequenzen entschlossen, den Sparkurs zu verschärfen.

Das neue Kabinett setzt sich aus einer Mischung von alten und jungen Gesichtern der lettischen Politik zusammen. Mit Artis Kampars und Andris Vilks als Wirtschafts- und Finanzminister hat Dombrovskis zwei Schlüsselministerien mit Vertrauensleuten besetzt. Vilks war bis vor kurzem Chefanalytiker der schwedischen Bank SEB. Die schwedischen Banken, die hohe Summen in den baltischen Staaten investiert haben, drängen auf noch härtere Maßnahmen, um ihre Verluste zu begrenzen.

Das Einbeziehen extrem rechter Kräfte in die Regierung dient dazu, jede Opposition gegen den rabiaten Sparkurs und die soziale Verelendung breiter Schichten zu unterdrücken.

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