Der Dokumentarfilm Fritz Bauer - Tod auf Raten von Ilona Ziok würdigt den deutschen Juristen Fritz Bauer (1903 - 1968), der heute zu Unrecht fast vergessen ist. In der "Geschichte der Bundesrepublik" von Manfred Görtemaker fehlt sein Name.
Der jüdische Sozialdemokrat, der die NS-Zeit in KZ und Emigration verbrachte, war ab 1956 hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main, einer der wenigen Juristen ohne Karriere im Dritten Reich. Die meisten ehemaligen Nazi-Beamten, darunter die des Justizapparats, zeigten nach dem Krieg keinerlei Schuldbewusstsein gegenüber den Nazi-Verbrechen, da man dem Staat, d.h. Hitler, verpflichtet gewesen sei. Ehemalige SS-Beamte pochten in der jungen Bundesrepublik mit größter Selbstverständlichkeit auf Wiedereinstellung oder ihre Beamtenrente.
Fritz Bauer kämpfte dagegen für ein allgemeines Recht auf Widerstand bei Verbrechen des Staats. Für ihn galt nicht allein der in der Bundesrepublik gefeierte konservative Widerstand der Männer des 20. Juli 1944 als anerkennenswert, sondern er bezog auch den kommunistischen Widerstand mit ein. Dessen teilweise Anerkennung blieb später der 68er Bewegung vorbehalten. Fritz Bauer brachte den berühmten Frankfurter Auschwitz-Prozess in Gang (1963-1965) und bereitete einen Prozess gegen die juristischen Schreibtischtäter der Euthanasie vor, als er 1968 unter ungeklärten Umständen starb.
Mit Hilfe von historischem Archivmaterial, darunter ein Gespräch des Juristen mit Studenten aus dem Jahr 1964 und Interviews mit Zeitzeugen, gelingt es dem Film Bauer als aufrechten Mann zu würdigen, welcher dem juristischen braunem Sumpf entgegentrat, der die Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre dominierte. Und diese ehemaligen Nazis traten mit dreistem Selbstbewusstsein gegen jeden Versuch auf, sie zur Rechenschaft zu ziehen.
Wir erfahren, dass Fritz Bauer dem israelischen Geheimdienst heimlich Informationen zukommen ließ, die 1961 zur Ergreifung des Nazi-Verbrechers Adolf Eichmann führten. Bauer war sich sicher: Bei einem offiziellen Auslieferungsantrag wäre Eichmann sofort von Beamten aus den entsprechenden deutschen Behörden gewarnt worden.
Der Film zeigt, wie die ehemaligen Nazi-Richter den Opfern des NS-Regimes, ihren einstigen Gegnern, einen beilspiellosen Zynismus entgegenbrachten. So war das geltende Strafrecht (teilweise noch aus der Kaiserzeit) natürlich nicht eingerichtet auf Massenmord. So kamen gerade Nazi-Massenmörder mit geringen Strafen davon.
Als einen einflussreichen Juristen lernen wir Eduard Dreher kennen, während der Nazizeit Erster Staatsanwalt des Sondergerichts Innsbruck. Er erarbeitete in der Bundesrepublik einen Gesetzentwurf, der in Kombination mit einer bereits verabschiedeten Verjährung die Bestrafung von wirklichen Nazi-Verbrechern in Zukunft unmöglich machen sollte. Dreher, heute bekannt durch ein juristisches Standardwerk, seinen allseits geschätzten Kommentar zum Strafgesetzbuch, fasste das Gesetz, vermuten die Filmemacher, so geschickt ab, dass der Bundestag getäuscht wurde. Es wurde einstimmig verabschiedet, u.a. mit der Stimme von Willy Brandt, dem späteren SPD Bundeskanzler, und Herbert Wehner (SPD).
Ingo Müller, Verfasser des Buches "Furchtbare Juristen" hält dieser verbreiteten Auffassung entgegen, dass der Gesetzesentwurf, bevor er dem Bundestag vorgelegt wurde, mehrere Expertengremien durchlief, was die Schlussfolgerung zulässt, dass es einen stillschweigenden allgemeinen Konsens darüber gab, einen Schlussstrich unter das Kapitel Nationalsozialismus zu ziehen.
Müllers Argument wäre auch ein Hinweis, warum es der Bundestag unterließ, Gesetze für die Verurteilung von Massenmördern zu verabschieden und warum er 1960 alle Tötungsdelikte der Nazizeit außer Mord verjähren ließ. Fritz Bauer bemerkte dazu kritisch, es sei kein Wunder, dass Gerichte und Staatsanwaltschaften daraus schlussfolgerten, "nach Auffassung von Gesetzgebung und Exekutive sei die juristische Bewältigung der Vergangenheit abgeschlossen".
Der Hauptverdienst des Films besteht mit Sicherheit darin, an die braune Vergangenheit der BRD zu erinnern, ganz nebenbei auch an einen jungen CDU-Politiker namens Helmut Kohl, der 1962 als Historiker gegen Bauer auftrat und erklärte, man könne sich noch kein objektives Urteil über den Nationalsozialismus bilden. Dies 17 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reichs! 1982 wurde Kohl deutscher Bundeskanzler.
Auch Ernst Achenbach wird erwähnt, FDP-Abgeordneter und ehemaliger Nazi, wie viele in dieser Partei. Wenn man sich vor Augen führt, dass quasi der gesamte braune Justizapparat in der Justiz der BRD aufging bis hin zum Ersten Präsidenten des Bundesgerichtshofs, ebenfalls ein ehemaliger Nazi-Richter, ist das alles einfach ungeheuerlich.
Aus dem Film spricht ehrliche Empörung, und es gehört sicherlich zu seinem Anliegen, eine kritische Haltung zum heutigen Staat zu entwickeln. Gegenüber der Gegenwart ist der Film aber eher zurückhaltend. Zwei Protagonisten versichern, Zustände wie damals seien heute nicht mehr möglich. Natürlich sitzen heute keine Alt-Nazis mehr im Bundestag. Eine Untersuchung der damaligen, wie Ingo Müller ironisch schreibt, "gesetzlichen Fehlleistungen" wäre aber aufschlussreich. Auch heute werden Gesetze verabschiedet, die rechten Kräften in die Hände spielen.
An dieser Stelle soll auf einen Aspekt hingewiesen werden, der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs weiter bestand: Das autoritäre Vorgehen des Staats im Interesse einer wohlhabenden Minderheit. Fühlten sich rechte Kräfte, darunter die alten Richter, in den fünfziger Jahren durch die Politik des "Wirtschaftswunders" in ihrem sozialen Selbstbewusstsein bestätigt, sind es in jüngster Vergangenheit diverse Steuererleichterungen für Reiche und parallel dazu die Verabschiedung von Hartz IV durch die rot-grüne Regierung. Momentan kennzeichnen das Bankenrettungspaket und das skandalöse Emily-Urteil die sozialen Pole dieses Zustands. Man kann die jüngsten demagogischen Ausfälle des deutschen Außenministers Guido Westerwelle (FDP) gegen Hartz-IV-Empfänger dazu nehmen.
Eduard Dreher trat während der Nazizeit als Vertreter einer Klassenjustiz auf, die härteste Strafen für Banalitäten forderte. Auf seinen Antrag hin wurde ein einfacher Gärtner zum Tode verurteilt, der lediglich ein paar Lebensmittel gestohlen und ein Fahrrad unbefugt benutzt hatte.
Die einstimmige Verabschiedung der bereits erwähnten Dreher-Gesetze 1968 versetzten Fritz Bauer einen schweren Schlag. Die Verabschiedung einer Notstandsverfassung durch die Große Koalition von CDU und SPD im selben Jahr, die dem Staat das Recht gab, in dieser Zeit politischer Unzufriedenheit und wirtschaftlichen Niedergangs grundlegende demokratische Rechte einzuschränken, zeigte den Sozialdemokraten Fritz Bauer schockiert und ohnmächtig. Vielleicht auch, weil es seine Partei war, die hier mithalf, jenen rechten antidemokratischen Kräften Auftrieb zu geben, die er so lange hartnäckig bekämpft hatte. Fritz Bauer, der, wie wir aus dem Film erfahren, unter den Studenten Ansehen genoss, starb wenige Wochen später.