Am gestrigen Donnerstag beschloss das griechische Parlament das Sparpaket, das der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU als Gegenleistung für die in Aussicht gestellten Notkredite gefordert hatten. 172 Abgeordnete stimmten für das Sparprogramm, darunter 15 Oppositionsabgeordnete. 121 votierten dagegen und drei Abgeordnete der Regierungspartei PASOK enthielten sich der Stimme. Sie wurden von Regierungschef Giorgos Papandreou anschließend aus der Fraktion ausgeschlossen.
Papandreou schilderte vor der Abstimmung im Parlament die Lage mit dramatischen Worten: "Die Zukunft Griechenlands steht auf dem Spiel". Gegenwärtig würden die Wirtschaft, die Demokratie und der soziale Zusammenhalt Griechenlands auf eine harte Probe gestellt.
Am Vortag hatten sich drei Millionen Arbeiter an einem Generalstreik beteiligt, der ganz Griechenland lahmlegte. 200.000 demonstrierten allein in Athen. "Wir werden die Verlorenen sein", sagte ein Student der Polytechnischen Hochschule einem Reporter im Zuge der Proteste gegen die Sparmaßnahmen. "Wenn wir den Abschluss machen, bekommen wir keine Jobs - oder aber flexible Verträge, die alle Arbeiterrechte zunichtemachen, die hier in hundert Jahren erkämpft wurden." Ein Kommilitone fügte hinzu: "Wir haben die Asche gesehen, die der IWF in anderen Ländern hinterlassen hat."
Bereits am Sonntagabend hatten die Finanzminister der Euro-Länder dem hoch verschuldeten Griechenland Notkredite in einem Umfang von bis zu 110 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre zugesagt. Im Rahmen des Hilfspakets sollen bis zu achtzig Milliarden Euro von den Euro-Staaten und weitere dreißig Milliarden Euro vom IWF bereitgestellt werden. Voraussetzung für die Auszahlung der Kredite ist die strikte Verwirklichung des Sparpakets.
Am gleichen Tag hatte Papandreou der griechischen Bevölkerung in einer live vom Fernsehen übertragenen Kabinettsitzung erklärt: "Wir müssen große, aber notwendige Opfer bringen." Danach überließ er es seinem Finanzminister Giorgos Papakonstantinou, die harten Einschnitte zu verkünden: Der Löhne für Beamte werden nach Kürzungen um zehn Prozent im März nun um weitere acht Prozent gesenkt, und es gibt einen Einstellungsstopp im staatlichen Sektor. Für Staatsbedienstete mit einem Bruttolohn ab dreitausend Euro wird das 13. und 14. Monatsgehalt gestrichen. Die Beihilfen für den öffentlichen Dienst werden ebenfalls noch einmal um acht Prozent gekürzt. Für einen Lehrer, der tausend Euro im Monat und zusätzlich 500 Euro Beihilfe verdient, bedeutet dies beispielsweise, dass er pro Jahr über tausend Euro weniger haben wird.
Doch das ist noch lange nicht alles. Bis zum Jahr 2015 soll die Lebensarbeitszeit, die zum Bezug der vollen Rente berechtigt, von 37 auf 40 Jahre angehoben werden. Für Renten ab 2.500 Euro wird das Weihnachtsgeld gestrichen und die 14. Monatszahlung eingestellt. Die Mehrwertsteuer, die ebenfalls bereits im März von 19 auf 21 Prozent erhöht wurde, wird erneut um zwei Prozentpunkte, auf nunmehr 23 Prozent hochgesetzt. Gleich um zehn Prozent steigen werden die Steuern auf Tabak, Spirituosen und Kraftstoff.
Diese Massensteuererhöhungen treffen, wie alle anderen Maßnahmen auch, vor allem die Arbeiterklasse, da diese sie auf Grund ihrer geringeren finanziellen Mittel viel schlechter verkraften kann als vermögende Schichten. Nach Berechnungen der griechischen Tageszeitung Eleftherotypia wird die griechische Bevölkerung allein dadurch 2,4 Milliarden Euro weniger in der Tasche haben. Darüber hinaus soll in der Privatwirtschaft der Kündigungsschutz gelockert werden.
Das griechische Sparpaket könnte in seinem Klassencharakter deutlicher nicht sein. Während die gesamte Last der Krise auf die griechischen Arbeiter abgewälzt wird, bleiben die Eliten des Landes und die Banken, die für die Krise verantwortlich sind, verschont.
"Die Ärmeren werden noch ärmer", stellte ein Lehrer aus Athen gegenüber einem Reporter der Süddeutschen Zeitung fest. "Und wir werden jahrelang Vormünder und Verwalter aus dem Ausland hier haben." Konstantinos G., der Eigentümer eines Paukstudios sagte: "Die Menschen sind voller Wut, weil sie die Schulden zahlen sollen für Ausgaben, die ihnen nie selbst zugute kamen. Zwei Drittel der Griechen müssen schon jetzt von 700 Euro im Monat leben."
Jens Bastian von der Hellenischen Stiftung für Europa- und Außenpolitik erläuterte der Süddeutschen Zeitung, welche Folgen die Kürzungen für die verarmte griechische Bevölkerung haben: "Die verkündeten Maßnahmen bedeuten mindestens 20 Prozent weniger Geld für die meisten und in vielen Fällen sind es sogar 30 Prozent weniger."
Insgesamt will Papakonstantinou in den kommenden drei Jahren dreißig Milliarden Euro einsparen. Sein Ziel ist es, das Defizit von 13,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis Ende 2014 auf die nach den Maastricht-Kriterien erlaubten drei Prozent zu drücken. Allein in diesem Jahr soll die Quote um vier Prozent gesenkt werden.
Was dies bei einem ähnlichen Szenario für Deutschland bedeuteten würde, rechnete Spiegel Online jüngst in einem Bericht unter dem Titel "Sparen wie die Griechen" vor. Dort sagt Clemens Fuest, der Chef des wissenschaftlichen Beirats im Finanzministerium, dass der Bund und die Länder etwa hundert Milliarden Euro einsparen müssten, um vier Prozent des Defizits pro Jahr abzubauen. Dies wäre "jeder zehnte Euro der Staatsausgaben".
Das Rechenexempel von Fuest macht deutlich, dass die griechischen Sparmaßnahmen eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse sind. Um Summen in dieser Größenordnung zu generieren, sagt Fuest, müsste die Regierung an die "ganz großen Ausgabenposten ran, an die Renten und an die Bezahlung der öffentlich Bediensteten". Darüber hinaus müsste der ohnehin geringe ALG II Regelsatz gekürzt und auch in anderen Bereichen wie der Familienförderung, dem Gesundheitswesen, der Infrastruktur und den Investitionen in Forschung und Entwicklung müsste der Rotstift angesetzt werden. Zusätzlich wäre eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ins Auge zu fassen. Eine Anhebung dieser um ein Prozent würde jährlich acht Milliarden Euro einbringen. Bereits vor der letzten Bundestagswahl hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent in die Diskussion gebracht.
Angesichts dieser Zahlen stellt Spiegel Online die berechtigte Frage: "Trägt die Bevölkerung den Sparkurs mit?" Ökonom Fuest ist der Meinung, dass ein solches Sparziel von vier Prozent "völlig unrealistisch" sei. Genau dieses Sparziel wird aber jetzt der griechischen Bevölkerung in Form des "Rettungsprogramms" diktiert - mit all den dramatischen Konsequenzen für ihr persönliches und gesellschaftliches Leben. Es geht hier nicht um fiktive Zahlenspiele, sondern um die Realität des Sparprogramms für die griechische Bevölkerung.
Auch in Lettland wurde bereits ein solches "Blut-Schweiß-und-Tränen-Programm" (Spiegel Online) gegen den Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt. Lettland war in Folge der Finanzkrise bereits 2009 unter die Kontrolle von EU und IWF gestellt worden, und Brüssel und Washington diktierten dem baltischen Staat ein Sparprogramm ohnegleichen. Allein in den Haushalten für 2009 und 2010 wurden die öffentlichen Ausgaben um neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt. Rechnet man dies auf Deutschland um, betrüge das Einsparvolumen weit über 200 Milliarden Euro.
Für die lettischen Arbeiter wie für die gesamte lettische Gesellschaft haben diese Maßnahmen dramatische Folgen. Es gab Lohnkürzungen von teilweise bis zu vierzig Prozent, Kürzungen bei den Pensionen von zehn Prozent und Kürzungen beim Kindergeld. Insgesamt wurden 12.000 Staatsbedienstete entlassen. Allein im letzten Jahr wurden hundert Schulen und 24 der 59 Krankenhäuser geschlossen. Die offizielle Arbeitslosenquote beträgt mittlerweile 23 Prozent, was den höchsten Wert in der gesamten EU darstellt.
Der lettische Ministerpräsident Valdis Dombrovskis verriet der Süddeutschen Zeitung am Dienstag in einem Interview, wie es möglich sei, ein solches Sparprogramm gegen die Bevölkerung durchzusetzen: "Es ist überaus wichtig, die Sozialpartner ins Boot zu holen, etwa die Gewerkschaften. Wir haben im Juni 2009 den Dialog mit Sozialverbänden und Arbeitnehmervertretern gesucht und einen gemeinsamen Fahrplan aufgestellt."
Zu seinem griechischen Amtskollegen Papandreou, der nun vor einer ähnlichen Herkulesaufgabe stehe, habe er bereits Kontakt aufgenommen und ihm einige wichtige Ratschläge erteilt: "Ich hatte eine Reihe von informellen Gesprächen mit dem griechischen Premier. Es gibt - zumal, wenn man in der Eurozone ist - keine Alternative zum Sparen, wenn man seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen will. Das sollte sehr schnell und brutal und nicht zögerlich umgesetzt werden."
Das griechische Sparprogramm, das einer Schocktherapie gleichkommt, macht deutlich, dass die herrschende Klasse in Europa gewillt ist, die ganze Last der Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen und jeden Euro, der an die Banken geflossen ist, wieder hereinzuholen. Papakonstantinou drohte vor der Abstimmung über das Sparpaket der protestierenden griechischen Bevölkerung: "Wir werden nicht einen Schritt zurückgehen". Die Regierung sei bereit, "einen hohen politischen Preis" zu bezahlen, um das Land aus der Schuldenkrise zu führen.