Der Beust-Rücktritt und die Krise der CDU

Der Rücktritt von Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) am vergangen Sonntag, hat ein starkes Medienecho ausgelöst. Nahezu alle Kommentatoren betonen zwei Dinge: Sie machen darauf aufmerksam, dass von Beust der sechste konservative Ministerpräsident ist, der innerhalb eines Jahres seinen Posten aufgegeben hat. Und sie werten dies als Schwächung der Parteivorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel.

"Die CDU unter Führung von Angela Merkel wirkt nur noch bedingt regierungsfähig. Ihr fehlen die Köpfe - und die Ideen", schrieb das Handelsblatt am Montag. Dann folgt die Liste der Abgänge. Dieter Althaus (Thüringen) sei über einen Skiunfall gestolpert. Jürgen Rüttgers (Nordrhein-Westfalen) sei abgewählt worden. Roland Koch (Hessen) sei aus Angst vor einer drohenden Abwahl in die Wirtschaft gewechselt. Christian Wulff (Niedersachsen) sei "nach oben" weggegangen und sitze nun im Schloss Bellevue. Der Baden-Württemberger Günther Oettinger habe den klassischen Abgang für glücklose Politiker gewählt und sei nun EU-Kommissar in Brüssel.

"Doch trotz aller Unterschiede weisen die Abschiede eine Gemeinsamkeit auf: Sie treffen die Kanzlerpartei", schreibt das Wirtschaftsblatt und fügt hinzu: Merkel habe zwar die Macht, "aber sie zerrinnt unter ihren Händen." Die CDU wirke "amtsmüde, zuweilen fast schon ausgebrannt."

Diese "Amtsmüdigkeit" bedarf genauerer Erklärung. Sie ist Ausdruck einer tiefen politischen Krise die daher kommt, dass die rapide Verschärfung der internationalen Wirtschaftskrise und die Forderung der Banken, die Last der Krise durch drakonische Sozialkürzungen der Bevölkerung aufzubürden, der bisherigen Politik der Union die Grundlage entzieht.

Das erfordert einen Blick in die Geschichte. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die CDU eine tragende Säule des bundesrepublikanischen Staates war und zwar in doppelter Weise.

Als Partei der bürgerlichen Mitte gelang es ihr erstmals in der Geschichte, die zerstrittenen Flügel des deutschen Bürgertums unter einem Dach zu vereinen. Vorher war das politische Geschehen stets durch heftige Fehden zwischen den konservativen Parteien geprägt gewesen, deren Wurzeln bis in die Zeit des deutschen Partikularismus zurückreichten. Im Deutschen Reich tobte der Kulturkampf zwischen Bismarck und Zentrumspartei. In der Weimarer Republik war die bürgerliche Parteienlandschaft völlig zersplittert, ein Umstand, der das Aufkommen der Nazis erleichterte.

Als Volkspartei war die CDU - mehr noch als die SPD - die Verkörperung jener Form des Korporatismus, die den Wesenskern des "rheinischen Kapitalismus" ausmachte. Sie vereinte die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen und Interessen unter einem Dach: Unternehmer, Handwerker, Bauern, Beamte und Arbeiter, Katholiken und Protestanten, Sozialreformer und Wirtschaftsliberale. Interessengegensätze wurden nicht auf offener politischer Bühne ausgetragen, sondern innerparteilich geregelt: durch ein komplexes System von Abhängigkeiten, Beziehungen, Absprachen und Mauscheleien.

In beiderlei Hinsicht, als Partei der bürgerlichen Mitte und als Volkspartei verliert die CDU, wie auch ihre bayerische Schwesterpartei CSU, den politischen und gesellschaftlichen Boden unter den Füßen.

Die Wirtschaftskrise hat die soziale Polarisierung der Gesellschaft stark beschleunigt. Die einst "stabile Mittelschicht" bricht auseinander. Während ein kleiner Teil aufsteigt, rutscht die große Mehrheit in prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse ab. Erst vor wenigen Wochen machte eine neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zur Einkommensverteilung deutlich, wie stark die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland auseinander klafft. Schon 2006 hatte das DIW vor der Erosion der Mittelschicht gewarnt. Die Armut wächst, während am oberen Ende der Gesellschaft die Geldsäcke bersten.

So leben vierzehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland in Armut, haben also weniger als sechzig Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung, während gleichzeitig die Anzahl der Millionärshaushalte allein im letzten Jahr um 23 Prozent gestiegen ist. In Deutschland lebten im letzten Jahr 430.000 Dollar-Millionäre, so viele wie noch nie.

Unter dem Druck der Banken wird diese soziale Polarisierung ständig weiter verschärft. Die Finanzaristokratie und die Superreichen treten immer aggressiver und rabiater auf. Sie setzen ein Sparprogramm mit drastischen Sozialkürzungen nach dem anderen durch und verlangen von den Regierungsparteien, dass sie dem wachsenden Widerstand von Seiten der Bevölkerung standhalten.

Die SPD vollzog in der "Schröder-Ära" bereits eine tiefgreifende Wandlung. Jeder, der auch nur leise Hoffnungen auf eine Rückkehr zur Politik des sozialen Ausgleichs hegte, wurde mit Schröders und Münteferings "Basta-Politik" mundtot gemacht und aus der Partei rausgetrieben. Die SPD ist heute eine vorwiegend staatlich finanzierte Parteibürokratie, die in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die Interessen der Wirtschaft vertritt.

Die Unionsparteien haben diese Umwandlung noch vor sich, beziehungsweise befinden sich mitten darin. Die Rücktritte einiger ihrer Spitzenfunktionäre sind Teil dieses politischen Umbruchs und machen deutlich, dass vielen in der CDU-Führung die Verwandlung der Unionsparteien von Volksparteien in autoritäre Organe zur Durchsetzung kapitalistischer Klasseninteressen nicht schnell genug geht und nicht energisch genug durchgesetzt wird.

In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass Ole von Beust seinen Rücktritt am Sonntag zeitgleich mit der Abstimmungsniederlage seiner schwarz-grünen Landesregierung in der Bildungsfrage bekannt gab.

Anfang 2008 hatte er drei Senatoren der Grün-Alternative Liste (GAL, so nennen sich die Grünen in Hamburg) in die Regierung eingebunden. Die Grünen stellten eine so genannte Bildungsreform von Anfang an ins Zentrum ihrer Politik. Vor der Wahl hatten sie - allen voran ihre damalige Spitzenkandidatin und spätere Bildungssenatorin Christa Goetsch - für eine neunjährige gemeinsame Schulzeit plädiert. Damit sollte die Aufteilung in verschiedene Schularten nach vier Jahren beseitigt werden, die Hauptschülern kaum mehr eine Chance lässt, und als einer der wichtigsten Gründe für den selektiven Charakter des deutschen Schulsystems gilt.

Im Koalitionsprogramm wurde dann ein "Kompromiss" in Form einer komplizierten und umständlichen Neuorganisation des Schulwesens vereinbart. Alle Kinder sollten bis zur sechsten Klasse in einer Primarschule unterrichtet werden. Anschließend würden sie auf eine neu einzurichtende Stadtteilschule (Haupt-, Real- und Gesamtschulen, später auch Förderschulen) oder das Gymnasium aufgeteilt.

Doch diese Einführung einer sechsjährigen Primarschule wurde nicht mit ausreichend finanziellen Mitteln bedacht, um kleine Klassen, gut ausgebildete Lehrer, Integrationsklassen und damit einen guten Unterricht zu garantieren. Stattdessen wurden die Gelder für Bildung weiter gekürzt und damit den Gegnern der Bildungsreform, die ungeniert für eine soziale Spaltung im Bildungssystem eintraten, alle Argumente an die Hand gegeben.

Als die sprichwörtlichen "Hamburger Pfeffersäcke" (Hamburg ist die Stadt mit den meisten Millionären in Deutschland) gegen die Bildungsreform rebellierten und den Volksentscheid für eine rechte Offensive nutzten, trat Ole von Beust zurück und übergab die Regierungsgeschäfte an seinen Innenminister, der für seine Law-and-Order-Politik bekannt ist.

Beust hatte bereits früher deutlich gemacht, dass er keinerlei Skrupel hat mit extrem rechten Kräften zusammenzuarbeiten. Als die CDU bei den Wahlen 2001 viele Stimmen einbüßte, holte er die rechtsradikale Partei Rechtsstaatliche Offensive in den Senat und machte deren Gründer, Ronald Barnabas Schill, zum Innenminister. Als Justizminister diente ihm fünf Jahre lang sein Studienfreund Roger Kusch, der mit der Forderung nach Abschaffung des Jugendstrafrechts von sich reden machte. Inzwischen ist Kusch aus der CDU ausgetreten, hat seine eigene rechtsradikale Partei gegründet und wirbt in bizarren Auftritten für einen Tötungs-Automaten, mit dem Rentner ihrem Leben selbst ein Ende setzen können.

Beusts Rücktritt ebnet nun erneut den rechten Demagogen den Weg, die bereits einen weiteren Volksentscheid gegen die Einführung kostenloser Kitaplätze angekündigt haben. Einige Wochen vor seinem Rücktritt richtete Beust starke Worte Richtung Berlin. Er forderte mehr Führung und ein stärkeres Durchgreifen der Parteiführung, sprich: der Parteivorsitzenden Merkel.

Diese Forderung nach mehr Führung und einer "starken Hand" wird nun wie ein Mantra in den Medien wiederholt und bildet die Begleitmusik für den Umbau der CDU, oder den Aufbau einer neuen Rechtspartei.

Siehe auch:
Kochs Rücktritt: Rechter im Wartestand
(28. Mai 2010)
Loading