Die Washington Post veröffentlichte am Montag den zweiten Teil einer Untersuchung über den enormen Umfang der Inlandsgeheimdienste, die seit den Terroranschlägen vom 11. September aufgebaut wurden. Der Artikel trägt wertvolle Informationen über den Ausbau der Polizei zusammen, die sowohl in Schriftform als auch grafisch dargestellt werden, darunter auch eine interaktive, internetbasierte Landkarte. (Im Internet unter: http://projects.washingtonpost.com/top-secret-america/articles/monitoring-america/)
Genehmigt und finanziert wurde das Behörden-Netzwerk auf Bundes-, Staaten- und Orts-Ebene zwar unter dem Deckmantel der Reaktion auf den Terrorismus, es stellt jedoch eine ungeheuere Bedrohung für die demokratischen Rechte des amerikanischen Volks dar. Es ist das Gerüst für den Aufbau eines Polizeistaats.
Die Studie der Post ist es wert, genau untersucht zu werden, genauso wie der erste Artikel der Serie, der einen Überblick über das Heimatschutzministerium und andere bundesstaatliche Behörden gibt, die sich der Inlandsspionage widmen (Im Internet unter: http://projects.washingtonpost.com/top-secret-america/articles/a-hidden-world-growing-beyond-control/)
Zu den wichtigsten Enthüllungen gehören die folgenden:
* Die Bundesregierung erfasst und verknüpft persönliche Informationen von Hunderttausenden und letztendlich Millionen von Amerikanern, von denen die meisten keine Straftaten begangen haben und sich mit Sicherheit an nichts beteiligen, das in irgendeiner nachvollziehbaren Weise als „Terrorismus“ gelten kann.
* Insgesamt 4058 bundesstaatliche, staatliche und örtliche Organisationen haben jetzt Aufgaben im Bereich der„Terrorismusbekämpfung“. Ein Viertel davon wurde seit dem 11. September entweder neu geschaffen, oder ist seitdem zum ersten Mal mit Anti-Terror-Aufgaben beschäftigt.
* US-Polizeibehörden setzen Technologien ein, die auf den Schlachtfeldern im Irak und in Afghanistan getestet wurden, und benutzen sie, um amerikanische Bürger zu überwachen und ins Visier zu nehmen.
* Staatliche und lokale Polizeibehörden überwachen legale politische Aktivitäten, darunter Proteste wegen Umwelt-, Einwanderungs- und anderen Fragen und archivieren Berichte in Zusammenarbeit mit Antiterror-„Verbindungszentren“ in allen 50 Bundesstaaten.
* Die Obama-Regierung betreibt die Terrorbekämpfung im Inland weit stärker als die Bush-Regierung. Alleine in 2010 stellte das Heimatschutzministerium 3,8 Milliarden Dollar an Antiterrorgeldern für staatliche und örtliche Behörden zur Verfügung.
Zu der eingesetzten Militärtechnologie gehören biometrische Gesichtserkennungsgeräte, die jetzt im Maricopa County, Arizona (Phoenix), benutzt werden, um monatlich 9000 digitale Gesichtsphotos aufzuzeichnen, wie auch der Einsatz von Prädator-Drohnen an der mexikanischen und kanadischen Grenze.
In einem der beängstigendsten Absätze erklärt die Post: „Die Special Operations-Einheiten, die im Ausland eingesetzt wurden, um die Al-Qaida-Führung zu ermorden, haben zu technologischen Fortschritten geführt, die jetzt überall in den Vereinigten Staaten zur Anwendung kommen.“ Mit anderen Worten, dieselben Methoden, die von Todesschwadronen des Militärs und der CIA in den Bergen Afghanistans eingesetzt werden, werden jetzt auf Polizeioperationen innerhalb der Vereinigten Staaten übertragen
Die Post erläutert, was die Integration von Militärtechnologie und Polizeivollzugsdienst sowie lokaler, staatlicher und bundesstaatlicher Datenbanken z.B. für eine typische amerikanische Stadt wie Memphis, Tennessee, bedeutet.
Die Polizei von Memphis benutzt jetzt tragbare, schnurlose Scanner für Fingerabdrücke, die für die US-Truppen entwickelt wurden, die aufständische Viertel in Bagdad und anderen irakischen Städten durchsucht haben, um sofortige Personenüberprüfungen von jedem durchzuführen, der von der Polizei festgehalten wurde. Diese Scanner erlauben der Polizei „sofort ein Passphoto, die Sozialversicherungsnummer und Führerscheininformationen sowie alle offenen Haftbefehle aufzurufen“.
Viele Polizeiautos sind mit militärischen Infrarot-Kameras ausgerüstet, die sich roboterartig bewegen und digitale Bilder von allen Fahrzeugkennzeichen machen, die in Sichtweite sind, und sie dann mit verschiedenen Datenbanken abgleichen; die Polizei wird dann alarmiert, wenn“ für einen Fahrer ein Haftbefehl existiert.
Das Heimatschutzministerium hat die Stadt dabei unterstützt, Überwachungskameras zu kaufen, die in der Nähe von Großsiedlungen mit Sozialwohnungen, viel befahrenen Straßenkreuzungen und anderen „heiklen“ Standorten aufgestellt sind. Die Datengewinnungs-Technologie erlaubt der Polizei, sehr schnell biometrische Daten, Führerscheine und Fahrzeugkennzeichen sowie Kreditkarteninformationen miteinander abzugleichen.
Dies wurde durch die Zusammenarbeit von Privatfirmen mit der Regierung ergänzt. Die Polizei von Memphis hat „die örtlichen Stadtwerke überzeugt, täglich eine Aktualisierung der Namen und Adressen von Kunden“ zur Verfügung zu stellen, damit die Polizei Haftbefehle leichter vollstrecken kann.
Sämtliche Daten, die durch diese Operationen gesammelt werden, werden automatisch an das Memphis Real Time Crime Center hochgeladen. Das ist laut Post „ein Kommando-Zentrum mit drei Wänden voll mit Einrichtungen zur Aufzeichnung und Analyse von Überwachungsvideos, das es mit einem militärischen Kommandozentrum aufnehmen kann“. Die Daten werden „geocodiert“, wodurch praktisch polizeiliche Einsatzpläne für die Stadt entstehen.
Die Daten werden anschließend an die zentrale Dateneinrichtung des FBI in Clarksburg, West Virginia, hochgeladen, wo sie mit dem schon bestehenden Vorrat an Fingerabdrücken zusammengeführt werden, deren Zahl sich jetzt der 100 Million Marke nähert; dazu gehören auch Daten von Gefangenen des US-Militärs im Irak und Afghanistan, wie auch aus Ländern wie Saudi-Arabien und dem Jemen, die eng mit den Antiterror-Operationen der USA zusammenarbeiten.
Laut einer Sprecherin des Bundes sind das FBI, das Heimatschutzministerium und das Verteidigungsministerium in diesem Jahr zum ersten Mal in der Lage, die Datenbank mit Fingerabdrücken gemeinsam zu nutzen. Das bedeutet, dass die Grenze zwischen Polizeiaufgaben im Inland und militärischem Vorgehen praktisch beseitigt wurde.
Das Ziel einer neuen Initiative der Obama-Regierung, der Nationwide Suspicious Activity Reporting Initiative [nationale Meldeinitiative für verdächtige Aktivitäten] oder SAR, besteht darin, dass jede örtliche Polizeibehörde in den Vereinigten Staaten ihre Dateien in die des FBI einbindet; das bedeutet eine gigantische zentrale Datenbank über einen Großteil der amerikanischen Bevölkerung.
Die Definition dessen, was eine verdächtige Aktivität ist – „ein beobachtetes Verhalten, das plausibel auf eine präoperative Planung in Zusammenhang mit Terrorismus oder anderen kriminellen Handlungen schließen lässt“ –, ist so weit gefasst, dass sie praktisch jede Aktivität abdeckt, die das polizeiliche Interesse weckt, und sei sie noch so unschuldig.
Die Post führt ein Beispiel an, wie ein örtlicher Polizist eine SAR-Akte anlegt, der „eine verdächtige Person“ beobachtet, die eine Fähre des Orange County, Kalifornien, mit seinem Handy fotografiert, auch wenn sich zu der Person später zwei weitere Erwachsene und zwei kleine Kinder gesellen und alle zusammen für einen offensichtlichen Vergnügungsausflug die Fähre besteigen.
Dieser Bericht würde in die Sammelzentrale in Los Angeles hochgeladen. Das ist eine von zirka 60 regionalen Einrichtungen, die mit den Geldern des Heimatschutzministeriums (DHS) aufgebaut wurde, um Informationen zu sammeln und zusammenzuführen. Von dort kann er an den FBI weitergeschickt werden, um weiter analysiert oder für einen Zeitraum von fünf Jahren gelagert zu werden. Die Post bemerkt dazu: „Während dieser Zeit könnten viele weitere Informationen über diesen Mann, der an einem Sonntagmorgen ein Schiff fotografiert hat, hinzugefügt werden: Beschäftigung, die Veränderungen seiner Finanzen und Wohnorte, diverse Telefonnummern, Audio-Aufzeichnungen, ein Video von der Kamera auf dem Armaturenbrett des Polizeiautos in dem Hafen, wo er die Fotos machte und alles andere aus staatlichen oder kommerziellen Datenbeständen, ,was von Bedeutung erscheint‘, wie ein FBI-Agent sagte, der für die Datenbank zuständig ist.“
Das Pentagon hat Zugriff auf diese geheime Datenbank, die auch als Wächtersystem bekannt ist und im Moment 161.948 Akten über verdächtige Aktivitäten umfasst. Es gibt auch einen nicht geheimen Teil der Datenbank, für den die staatliche und lokale Polizei Daten beisteuert und zu dem sie Zugang hat.
Die ganze Konstruktion, die in dem Bericht der Post ausführlich beschrieben wird, hat außerordentlich bedrohliche politische Folgen. Es ist doch völlig offensichtlich – auch wenn die Zeitung sich hütet, das auszusprechen –, dass Informationen über die politische Opposition gegen die Politik der US-Regierung, ganz besonders von links, in diese Datenbanken aufgenommen werden. Kürzlich wurden einige „Vorkommnisse“ in Pennsylvania bekannt, das kann aber nur die Spitze des Eisbergs sein.
Neben der gewaltigen Zunahme beim Datensammeln und -einbinden gibt es eine rechte und antidemokratische Einstellung des Personals, das für das gesamte System verantwortlich ist. Der Bericht der Post betrachtet das als Ausreißer oder vielleicht als Exzess, wenn er den hasserfüllten antimuslimischen Rassismus vieler “Ausbilder“ in Sachen Terrorismus für lokale und staatliche Regierungsstellen beschreibt.
Ehemalige Militärangehörige, die jetzt für die Ausbildung eingesetzt werden, sehen alle Moslems in den Vereinigten Staaten als potentielle Feinde, die den Vereinigten Staaten die Scharia-Gesetzgebung aufzwingen und die gesamte Bevölkerung mit Gewalt zum Islam konvertieren wollen. Sie empfehlen, die Moscheen und moslemische Studentengruppen zu unterwandern und die moslemischen Gemeinden systematisch abzuhören.
Das vielleicht Wichtigste vom politischen Standpunkt aus ist die führende Rolle, die Vertreter der Obama-Regierung wie Janet Napolitano, die ehemalige Gouverneurin von Arizona und jetzige Heimatschutzministerin spielen. Napolitano hat Wal-Mart, Amtrak, die wichtigsten Sportligen und Hotelketten engagiert, über „verdächtige Aktivitäten“ zu berichten und „Terror-Tipps“ zu geben.
Die Post stellt fest: „In ihren Reden vergleicht sie die Aktion mit dem Kampf gegen den Kommunismus im Kalten Krieg.“ Genauer ausgedrückt: Die Obama-Regierung macht sich eine Form des McCarthyism zu eigen, wobei der „Terrorismus“ anstatt der „roten Gefahr“ verteufelt wird.
Der Vorteil dieser Herangehensweise vom Standpunkt der amerikanischen herrschenden Klasse besteht darin, dass sozialer Aufruhr im Inland – Streiks, Sit-ins, Massendemonstrationen gegen den Krieg, Kämpfe gegen Zwangsräumungen, Zwangsversteigerungen und Strom-, Gas- und Wasserabschaltungen – als Terrorismus gebrandmarkt werden kann und die daran Beteiligten zum Ziel von Polizeiunterdrückung gemacht werden können.