WikiLeaks Kabel enthüllt Nato-Plan für einen Krieg gegen Russland

Depeschen des US-Außenministeriums, die WikiLeaks veröffentlicht hat, haben Geheimpläne der Nato für einen Krieg gegen Russland wegen der baltischen Staaten unter der Führung der USA aufgedeckt.

Die Depeschen, über die zuerst im Guardian berichtet wurde und die auf der Webseite von WikiLeaks ins Internet gestellt wurden, unterstreichen die geostrategischen Spannungen zwischen den USA und Russland. Und dies sogar während die Obama Regierung den „Neubeginn“ der Beziehungen hervorhob, mit dem die von der Bush-Regierung hinterlassenen Konflikte überwunden werden sollten.

Die Geheimpläne sprechen klar und deutlich von den Vorbereitungen auf einen umfassenden Krieg mit Russland. Sie sahen für den Fall eines russischen Einmarschs in eine der ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken die sofortige Entsendung von neun amerikanischen, englischen und deutschen Divisionen sowie polnischen Truppen vor.

Die Pläne nennen auch deutsche und polnische Häfen, die Sturmtruppen der Marine und amerikanische und englische Kriegsschiffe aufnehmen sollten, die für eine Schlacht mit den russischen Streitkräften bestimmt waren.

Trotz dieser Details gibt es in den Depeschen keinerlei Hinweise auf die potentiell katastrophalen Auswirkungen, die ein solcher bewaffneter Zusammenstoß zwischen den beiden größten Nuklearmächten auf der Welt haben würde.

Während einige Analysten in Moskau darauf bestehen, dass der russische Geheimdienst über die Eventualpläne informiert war, reagierten russische Regierungsbeamte auf die Veröffentlichung durch WikiLeaks sofort mit Protesterklärungen und der Forderung nach einer Erklärung der Nato.

Die Eventualpläne, denen zu Folge US Truppen in den Krieg gegen russische Kräfte geschickt werden sollten, wurden im Gefolge des russisch-georgischen Zusammenstoßes im August 2008 entwickelt, zu dem es aufgrund des erfolglosen georgischen Versuchs kam, die abtrünnige Provinz Südossetien zu überrennen.

Wie die Depeschen belegen, haben die Regierungen Lettlands, Estlands und Litauens, die 2004 der Nato beigetreten sind, bei Vertretern der amerikanischen Regierung auf die Ausarbeitung einer Strategie zur Verteidigung ihres Territoriums im Fall eines Angriffs gedrängt.

Die US Botschaft in Lettland berichtete Washington erstmals über die Sorgen der Regierung in Riga, als die Kämpfe in Südossetien im Gange waren. Eine Nachricht vom 15. August 2008 zitierte aus Diskussionen mit litauischen Regierungsmitgliedern, die der Meinung waren, dass “dies genauso gut ihnen passieren könnte” und berichteten, dass “die Litauer anfangen, sich Gedanken zu machen, ob ihre Mitgliedschaft (in der Nato) ihnen die Sicherheit garantieren könne, die sie sich erhofft hatten.”

Die Dokumente, die als geheim und vertraulich eingestuft waren, geben einen Überblick über die Entwicklung der amerikanischen Politik von diesen ersten Forderungen der baltischen Staaten in Folge des russisch-georgischen Konflikts bis hin zur aktuellen Ausarbeitung des Eventualplans für eine militärische Auseinandersetzung mit Russland, der im Januar 2010 heimlich angenommen wurde.

Die Depeschen weisen darauf hin, dass amerikanische Regierungsbeamte bestrebt waren, Moskau trotz der von den baltischen Staaten geforderten Kriegspläne nicht öffentlich zu düpieren. Ein als geheim eingestufter Bericht des US-Botschafters an die Nato, der über den Inhalt eines Treffens mit den drei Botschaftern der baltischen Staaten berichtete, behauptet: “Wir kehren nicht zum Kalten Krieg zurück.”

Die Nato und Russland haben 1997 wieder formale Beziehungen aufgenommen, die auf einer Vereinbarung beruhen, in der ausdrücklich festgestellt wird: “Die Nato und Russland betrachten einander nicht als Gegner”. Das Problem, vor dem die amerikanischen Regierungsvertreter standen, als sie eine Strategie entwickeln sollten, in der Russland eindeutig als Feind betrachtet wird, bestand darin, gleichzeitig nicht die Beziehungen zu Moskau in Frage zu stellen.

In einer Depesche vom Oktober 2009 spricht US Botschafter Ivo Daalder das Problem aus: “Regierungsvertreter Estlands, Lettlands und Litauens drängen vor dem Hintergrund von Artikel 5 der Nato (der alle Nato Staaten verpflichtet, jedem Mitgliedsstaat, der angegriffen wird, militärisch zur Hilfe zu kommen) auf einen Eventualplan für die baltischen Staaten”, und merkt an, dass Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton schon ihre Unterstützung für solche Pläne geäußert hätten.

Das Problem war, wie Daalder herausstellte, dass solche Pläne “es erforderlich machten, Russland als potentielle Bedrohung darzustellen”, womit Deutschland und andere Nato Mitgliedsstaaten nicht einverstanden waren. Er schrieb: “Wie wir während der Debatte über den russisch-georgischen Krieg gesehen haben, werden viele Verbündete keine Mühe scheuen, um auch nur den Anschein zu vermeiden, die Allianz und Russland könnten sich auf dem Weg in einen neuen kalten Krieg befinden.”

Er schlug vor, Washington könnte, um dem offensichtlichen Widerspruch zu entgehen, den existierenden Eventualplan für die Verteidigung Polens auf die baltischen Staaten ausweiten. Alternativ könne man “allgemein gehaltene Pläne” für eine Nato-Reaktion im Falle einer Aggression nutzen, die die gemeinten Staaten nicht ausdrücklich benennen, aber auf die baltischen Staaten passen würden.

Zu den Bedenken, die Daalder äußerte, gehörte auch, dass die baltischen Staaten beim Fehlen eines Eventualplans kein Vertrauen in ihre Verteidigung durch die Nato hätten und “sich überlegen werden, die Struktur ihrer Streitkräfte mehr auf territoriale Verteidigung hin auszurichten als auf eine Einsatzfähigkeit im Ausland”. Die spezifische Rolle eines "Expeditionskorps", die der US-Botschafter im Sinn hatte, war der Einsatz von litauischen, lettischen und estnischen Truppen im US-geführten Krieg in Afghanistan.”

Die Depesche verwies darauf, dass als erstes Land Deutschland den Vorschlag aufgebracht habe, den Eventualplan für Polen – mit dem Codenamen “Eagle Guardian” – möglicherweise zu erweitern, um die baltischen Staaten mit einzubeziehen. Das war der Weg, für den sich Washington letztlich entschied. Die Nato stimmte dem Plan am 22. Januar 2010 zu, ohne dazu eine öffentliche Erklärung abzugeben.

Eine von Hillary Clinton unterzeichnete Depesche aus dem Außenministeriums vom 26. Januar, die an die US-Diplomaten in den Nato-Staaten und an die amerikanische Botschaft in Moskau gerichtet war, verweist explizit auf die Notwendigkeit der Geheimhaltung bezüglich des Abkommens.

"Die Vereinigten Staaten sind der festen Überzeugung, dass eine solche Planung nicht öffentlich diskutiert werden sollte. Diese militärischen Pläne müssen die Einstufung Nato-GEHEIM erhalten", stellt die Depesche fest. “Die öffentliche Diskussion von Eventualplänen untergräbt ihren militärischen Wert, weil sie Einblick in die Nato-Planungsprozesse gewährt. Das schwächt die Sicherheit aller Bündnispartner.”

Im dem Dokument wird hinzugefügt: “Eine öffentliche Diskussion über die Eventualplanung würde wahrscheinlich außerdem zu einer unnötigen Erhöhung der Spannungen zwischen der Nato und Russland führen. Das sollten wir gemeinsam zu vermeiden suchen, da wir an einer Verbesserung der praktischen Zusammenarbeit in Bereichen arbeiten, in denen die Nato und Russland gemeinsame Interessen haben.”

Die Depesche schließt mit Ratschlägen für einen Umgang mit Medienanfragen zu den Eventualplänen. Es werden nichts sagende Antworten vorgeschlagen wie “die Nato diskutiert keinerlei spezifische Pläne” und “die Nato überprüft und überarbeitet ständig ihre Planung”. Die Diplomaten werden angewiesen, zu unterstreichen, dass die “Nato Planung” nicht “gegen irgendein anderes Land gerichtet ist”, was sie in diesem Fall gar nicht klarer hätte sein können – nämlich gegen Russland.

Russlands Nato-Botschafter sagte am Dienstag, dass Moskau vom westlichen Bündnis verlange, den baltischen Eventualplan aufzugeben und sagte, dass der Plan in direktem Widerspruch zu Versicherungen stünde, die auf dem jüngsten Nato-Gipfel in Lissabon gegeben wurden.

“Wir müssen eine Garantie dafür erhalten, dass diese Pläne fallen gelassen werden und dass Russland für die Nato kein Feind ist”, sagte der russische Gesandte Dmitri Rogosin. “Ich erwarte, dass meine Kollegen aus dem Nato-Russland-Rat bestätigen, dass Lissabon dem Ganzen eine Wende gegeben hat.”

Rogosin wies die Behauptungen der Nato zurück, dass der Eventualplan nicht gegen ein spezielles Land gerichtet wäre. “Gegen wen sonst könnte eine solche Verteidigung gerichtet sein?”, fragte er. “Gegen Schweden, Finnland, Grönland, Island, gegen Eisbären, oder gegen den russischen Bären?”

Währenddessen zitierte der Guardian einen namentlich nicht genannten Beamten des russischen Außenministeriums mit den Worten, dass die Dokumente “eine Menge Fragen und Verwirrung” ausgelöst hätten.

“Russland hat wiederholt die Frage nach der Notwendigkeit aufgeworfen, sicherzustellen, dass es keine gegeneinander gerichteten militärischen Pläne gibt”, sagte die Quelle.

Die Enthüllungen finden vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen Washington und Moskau statt. Der US-Senat hat den neuen START-Vertrag zur Reduzierung der Atomwaffen nicht ratifiziert und die Streitigkeiten über Washingtons Vorhaben, einen neuen Raketenabwehrschirm in Europa zu errichten, halten an.

Ungeachtet der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washington, bleiben der US-Krieg in Afghanistan und der strategische Kurs des US-Imperialismus, seine Vorherrschaft in Zentralasien zu sichern, eine nicht versiegende Quelle für Konflikte.

Diese wachsenden Spannungen wurden noch unterstrichen, als die russische Marine am Mittwoch berichtete, dass amerikanische und japanische Streitkräfte Manöver im Japanischen Meer unterbrochen hätten, nachdem zwei russische Iljuschin-38 Anti-U-Boot-Flugzeuge über das Gebiet geflogen seien.

“Die Gegend liegt in unserem Interessengebiet”, sagte Roman Markow, ein Sprecher der russischen Marine. “Die Flugzeuge führten einen planmäßigen Flug im Rahmen regelmäßiger Aktivitäten in einem Operationsgebiet der russischen Pazifikflotte durch. Unsere Piloten haben keinerlei Regeln des internationalen Luftraums verletzt.”

Die militärische Übung umfasste rund 34.000 japanische und mehr als 10.000 US-Soldaten und Dutzende Kriegsschiffe und Hunderte Flugzeuge. Sie wurde aus der Furcht heraus gestoppt, die russischen Flugzeuge könnten geheime Daten über amerikanische und japanische Einsatzfähigkeiten sammeln.

Die Beziehungen zwischen Moskau und Tokio kippten in den letzten Wochen aufgrund eines Streits der beiden Regierungen über die Kontrolle über eine Inselkette, die sich im Süden der russischen Halbinsel Kamtschatka erstreckt. Sie heißen in Russland Südliche Kurilen und in Japan Nördliche Territorien und wurden im Zweiten Weltkrieg von sowjetischen Truppen besetzt.

Im vergangenen Monat stattete Russlands Präsident Dmitri Medwedew einer der Inseln einen Überraschungsbesuch ab und provozierte damit wütende Proteste aus Japan. Letztes Wochenende flog der japanische Außenminister Seiji Maehara als Teil einer durchsichtigen Reaktion auf den Besuch Medwedews in einem Fugzeug der japanischen Küstenwache an den Inseln vorbei. Ein nicht namentlich benannter russischer Beamter reagierte auf den Vorbeiflug mit den Worten: “Niemandem, auch nicht Japan, ist es verboten, die Schönheiten der russischen Natur zu bewundern.”

Andere Depeschen, die bei WikiLeaks veröffentlicht wurden, verweisen auf die Spannungen innerhalb der Nato über die Beziehungen zu Russland. Insbesondere berichtet eine Depesche aus der US-Botschaft in Paris vom Februar 2010 über einen Zusammenstoß zwischen US-Verteidigungsminister Robert Gates und dem damaligen französischen Außenminister Hervé Morin über französische Pläne für Waffenlieferungen an Moskau.

Gates, berichtet die Depesche, “trug amerikanische Bedenken bezüglich des Verkaufs eines Hubschrauberträgers der Mistral-Klasse an Russland vor, weil er zwiespältige Signale an Russland und unsere mittel- und osteuropäischen Verbündeten aussende.” Der Verteidigungsminister erinnerte weiter daran, dass Moskau die Vereinbarung nicht vollständig erfüllt habe, die der französische Präsident Nicolas Sarkozy bei der Vermittlung des Waffenstillstandsabkommens ausgehandelt hatte, mit dem 2008 der Konflikt zwischen Russland und Georgien beendet wurde.

Der Depesche zufolge antwortete Morin mit der “rhetorischen” Frage: “Wie sollen wir Russland vermitteln, dass wir eine Partnerschaft wünschen, und ihnen dann aber nicht trauen.”

Die Depesche zitiert Morin weiter mit der Auffassung, dass “ein europäisches Raketenabwehrsystem sowohl unklug als auch unnötig ist” und fügte hinzu, dass Gates “Morins Behauptung widerlegte.”

Eine angehängte Notiz, die auf Folgediskussionen zwischen amerikanischen und französischen Regierungsbeamten verweist, stellt fest: "Den Treffen zufolge, wurden Morins kritische Bemerkungen über die Raketenabwehr von leitenden Beamten des amerikanischen Verteidigungsministerium und des französischen Außenministeriums in Abrede gestellt. Diese sagten, das sei seine persönliche Ansicht gewesen und die USA sollten im Wesentlichen 'streichen', was er gerade gesagt habe.”

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