An der Frankfurter Musikmesse bietet sich den Besuchern zurzeit ein ungewöhnliches Bild: Am Haupteingang vor dem Messeturm macht eine Gruppe koreanischer Arbeiter mit Fahnen, Transparenten und über Megaphon lautstark auf sich aufmerksam.
Es handelt sich um Arbeiterinnen und Arbeiter des südkoreanischen Gitarrenproduzenten CORT / Cor-Tek, sowie Künstler und Gewerkschafter, die sie begleiten. Sie befinden sich seit zwei Jahren im Arbeitskampf gegen einen millionenschweren Unternehmer der Gitarrenbranche, Young-Ho Park, Besitzer von CORT-Guitars mit Hauptsitz in Südkorea, einem der weltgrößten Gitarrenproduzenten.
Weil sich die Belegschaften zweier Werke in Südkorea gewerkschaftlich organisiert hatten, ließ Park vor zwei Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion die Produktion nach China und Indonesien verlagern. Die CORT / Cor-Tek-Arbeiterinnen und -Arbeiter reagierten mit Werksbesetzungen und Arbeitskampfaktionen jeder Art und gewannen in Südkorea breite Unterstützung. Mehrere Arbeitsgerichtsverfahren gaben ihnen Recht.
Da der Unternehmer aber nur fünf Prozent der Produktion in Südkorea selbst verkauft, zeigt er sich von der öffentlichen Meinung völlig unbeeindruckt und weigert sich seit zwei Jahren, auf irgendwelche Verhandlungen einzugehen. Aus diesem Grund beschlossen die Arbeiter, sich an die Weltöffentlichkeit zu wenden. Sie reisten nach Frankfurt, um an der internationalen Musikmesse, an der auch CORT ausstellt, auf sich aufmerksam zu machen. Ein Solidaritätskonzert von Künstlern in Seoul half bei der Reisefinanzierung.
Am Vormittag des 1. April halten die koreanischen Gitarrenbauer eine improvisierte Pressekonferenz vor den Messetoren ab.
Ihr Sprecher, Zang-Hyon Bak, der auch als Dolmetscher fungiert, erklärt: "Zurzeit wird die ganze Welt - von Seoul bis Frankfurt - von Demonstrationen erschüttert, die gegen eine Krise protestieren, wie sie von reichen Spekulanten verursacht worden ist."
"Unser Chef, der Millionär Young-Ho Park, ist hier auf der Musikmesse", sagt Bak. "Wir wollen ihn hier treffen und ihm zum ersten Mal seit zwei Jahren ins Gesicht schauen. Wir fordern von ihm, dass er die Menschenwürde respektiert, die Arbeiterinnen und Arbeiter wieder einstellt und die rechtswidrig geschlossenen Werke wieder in Betrieb nimmt."
Wie Bak berichtet, ist CORT / Cor-Tek Zulieferer für die weltberühmten Marken Ibanez und Fender und deckt bis zu dreißig Prozent des globalen Gitarrenmarktes ab. Bak sagt, durch die Globalisierung habe Park aus sechs transnationalen Gitarrenfabriken Profite gezogen, er sei der 120.-reichste Mann Südkoreas. Als die Belegschaften, die seine Gitarren fertigten, ihre Rechte einforderten und sich organisierten, habe er die Betriebe in Südkorea in einem betrügerischen Bankrott geschlossen und vierhundert Beschäftigte auf die Straße geworfen.
Bak berichtet von zahlreichen Protesten, Demonstrationen und Sit-ins der Belegschaft. Ein Arbeiter habe sich selbst getötet, ein weiterer habe versucht, sich zu verbrennen, und einer der in Frankfurt Anwesenden habe einen dreißigtägigen Hungerstreik durchgeführt - alles ohne Erfolg. "Wenn wir hier keinen Erfolg haben, werden wir notfalls nach Amerika fahren, um mit den Künstlern Kontakt aufzunehmen, die unsere Gitarren benutzen", sagt Bak.
Obwohl die Kundgebung der CORT-Arbeiter eine Genehmigung vom Ordnungsamt hat, wird sie immer wieder durch den Sicherheitsdienst der Messe und durch Polizeipatrouillen gestört, die von der Messeleitung herbei gerufen werden. Die Koreaner dürfen sich schließlich nur auf einem schmalen öffentlichen Streifen zwischen Messegelände und Straße postieren. Ein Polizist dreht ihnen eigenhändig den Klangverstärker ab und droht mit Konfiszierung. Wegen Handzettel-Verteilens erhalten sie Hausverbot für das ganze Messegelände.
Einer Delegation der World Socialist Web Site geben die südkoreanischen Arbeiter bereitwillig Auskunft. Lee Ingeun berichtet, dass er elf Jahre in der Verpackerei von Cor-Tek in Daejeon gearbeitet hatte, ehe der Betrieb dicht gemacht wurde. Er hat eine Frau und zwei Kinder, und seit seiner Entlassung muss die Familie vom Lohn seiner Frau leben, die jedoch noch viel weniger verdient als er vorher.
"Wir mussten vierzehn Stunden am Tag arbeiten; es war eine sehr ermüdende Tätigkeit in einem fensterlosen, staubigen Raum" berichtet Lee. "Wir haben umgerechnet knapp fünfzehn Euro pro Tag dafür erhalten. Wir versuchten, uns gegen die schlimmen Bedingungen, gegen Unterdrückung und sexuelle Belästigung zu wehren. Wir hofften, die Entwicklung des Betriebs werde auch eine Entwicklung für uns alle bringen. Doch Cor-Tek machte die Produktion dicht, und wir wurden alle entlassen."
In dieser Situation habe sich Lee zu einer spektakulären Aktion entschlossen, erzählt der Dolmetscher. Er habe dreißig Tage lang einen Hungerstreik durchgeführt. Dazu sei er auf einen Starkstrommast geklettert und habe sich in vierzig Meter Höhe festgemacht. "Aber selbst das hat beim Chef keine Reaktion hervorgerufen", sagt Lee weiter. "Park will vor allem einen gewerkschaftsfreien Betrieb haben. Wir alle wollen arbeiten und Gitarren bauen", sagt Lee zum Schluss, "deshalb sind wir hier".
Auf die Frage, was sie über die Finanzkrise und die Zukunft des Kapitalismus dächten, antwortet ein Gewerkschafter der Koreanischen Metallarbeitergewerkschaft (KMWU), der die Delegation nach Frankfurt begleitet: "Die heutige Wirtschaftskrise ist die Krise der Kapitalisten. Wir hatten in Südkorea schon 1997 eine große Finanzkrise. Damals haben die Arbeiter dafür bezahlt. Aber diesmal müssen die Kapitalisten selbst die Verantwortung übernehmen."
Die Arbeiter stimmen dem zu, und der Übersetzer fügt hinzu: "Die Krise kann nicht in einem Land alleine gelöst werden. Alle Arbeiterinnen und Arbeiter müssen sich solidarisieren, um diese Krise zu überwinden."