In ihrer gestrigen Regierungserklärung im Bundestag verteidigte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das 500-Milliarden-Euro-Rettungspaket mit Nachdruck. Zwar seien die bereitgestellten Bürgschaften und Finanzhilfen außerordentlich hoch und erreichten eine "bislang unbekannte Größenordnung", dennoch seien sie auch in ihrem Umfang "unumgänglich", erklärte die Kanzlerin.
Die Größe des Rettungspakets müsse im Zusammenhang mit dem Ausmaß der Krise gesehen werden. Die Weltwirtschaft erlebe derzeit ihre schwerste Bewährungsprobe seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, betonte Merkel. In der vergangenen Woche seien die Geldmärkte faktisch funktionsunfähig gewesen, und der Kurssturz an den Aktienmärkten hätte eine "verhängnisvolle Spirale" in Gang setzen können.
Das "dringend notwendige Vertrauen zwischen den Finanzmarktteilnehmern" sei in den vergangenen Wochen ständig weiter erodiert, sagte die Regierungschefin. Kaum ein Institut sei noch bereit gewesen, einem anderen Geld zu leihen. Das gegenseitige Misstrauen habe die Banken "fast vollständig gelähmt mit unabsehbaren Folgen für Wachstum und Arbeitsplätze". Es habe sich herausgestellt, dass der Staat die einzige Instanz sei, die das Vertrauen zwischen den Banken wieder herstellen könne.
Merkel war sichtlich bemüht, die Milliarden für die Banken als "im Interesse der Bürger" liegend darzustellen. Mehrfach wiederholte sie, das Finanzpaket diene nicht der Rettung einzelner Banken, sondern "dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger". "Wir kommen damit unserer Pflicht nach, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden", rief die Kanzlerin und behauptete, es gebe für die Banken vom Staat "keine Leistung ohne Gegenleistung".
Merkel kündigte ein hartes Durchgreifen des Staates an und bezeichnete das Milliarden-Geschenk an die Banken als einen Schritt, um "Strukturen für eine menschliche Marktwirtschaft" zu schaffen.
Auffallend war, dass die Kanzlerin das angeblich "harte Durchgreifen des Staates" an keiner Stelle konkretisierte. Vor zwei Wochen hatte sie noch gefordert, verantwortungslose Manager zur Rechenschaft zu ziehen, und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte in den vergangenen Tagen die Beschränkung der Managergehälter auf ein Jahreseinkommen von 500.000 Euro gefordert.
In Merkels Regierungserklärung war davon nichts zu hören. Kein Wort über die kriminellen Machenschaften der Finanzelite und die persönliche Haftung der Verantwortlichen, kein Wort über die Beschränkung der Gehälter und die Abschaffung von Boni, kein Wort über die Rolle von Deutsche-Bank-Chef Ackermann, der im vergangenen Jahr 14 Millionen Euro kassierte und das informelle Regierungskomitee zur Rettung der Banken leitete, das den Milliarden-Rettungsplan entworfen hat.
Stattdessen lud Merkel die Kreditwirtschaft ein, sich "konstruktiv und selbstkritisch" an der Reformarbeit zur Stabilisierung der Finanzsysteme zu beteiligen.
Sie kündigte an, dass die Bundesregierung eine Expertengruppe einsetzen wolle, um Vorschläge für neue Regeln auf den Finanzmärkten zu erarbeiten. Vorsitzender sollte der frühere Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer werden. Merkel pries Tietmyer mit den Worten, er verfüge über "sehr viel Erfahrung".
Dass Tietmeyer dem Aufsichtsrat des Immobilienkonzerns Hypo Real Estate angehört, der Anfang des Monats mit einem Rettungspaket von 50 Milliarden Euro von Bund und Banken gerettet werden musste, sagte Merkel nicht. Als einige Abgeordnete darauf aufmerksam machten, zog sich Tietmeyer zurück.
Fest steht, dass die so genannte Expertengruppe vorwiegend aus Bankmanagern bestehen und damit der Einfluss der Banken auf die Entscheidungen der Regierung weiter zunehmen wird.
Diktat der Banken
Bereits bisher haben die Banken das Vorgehen der Regierung in der Finanzkrise weitgehend diktiert.
Als Merkel und Steinbrück vor zwei Wochen ein Rettungspaket nach dem Vorbild Washingtons ablehnten und ein Eingreifen der Regierung "von Fall zu Fall" ankündigten, reagierten die Spitzenbanker erbost und verlangten ultimativ einen Rettungsplan, der ihnen einen nahezu uneingeschränkten Zugriff auf die Staatskasse sichert. Bankchef Ackermann übte massiven Druck aus, um die Interessen der Hochfinanz durchzusetzen.
In seiner vorletzten Ausgabe berichtete Der Spiegel (Nr. 41), wie der Milliarden-Deal zur Rettung der Hypo Real Estate (HRE) zustande kam. Die Bankenvertreter verlangten von der Regierung die Übernahme der Verluste und faulen Kredite des größten deutschen Immobilienfinanzierers. Doch die Regierung wollte sich auf eine staatliche Bürgschaft beschränken und forderte eine finanzielle Beteiligung der Banken.
"Zweimal stand die Runde kurz vor dem Scheitern", heißt es im Spiegel -Bericht. Der Bankenverband habe daraufhin Vorbereitungen für die Insolvenz der HRE eingeleitet. "Die Wende brachte schließlich ein Telefonat zwischen Steinbrück und Ackermann kurz nach Mitternacht. Der Banker machte dem Finanzminister deutlich, dass ohne eine Rettung der HRE am nächsten Tag der komplette Pfandbriefmarkt zusammenzubrechen drohe." Um den Druck auf die Regierung zu erhöhen, betonte Ackermann, die HRE sei "die zuverlässigste Refinanzierungsquelle der deutschen Banken". Ihr Zusammenbruch bringe "eine Lawine ins Rollen", die niemand mehr kontrollieren könne.
Angesichts dieser Erpressung gab Steinbrück nach und akzeptierte die Bedingungen der Banken. Der Spiegel schildert die dramatischen Stunden in der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober mit folgenden Worten: "Um zwei Uhr nachts öffneten die asiatischen Börsen, bis dahin musste die Bank gerettet, die irische Tochter wieder an den Geldkreislauf angeschlossen sein. Um 1.30 Uhr telefonierten Merkel und Ackermann noch einmal miteinander und besiegelten den Deal."
Die Bundesregierung übernahm eine Bürgschaft in Höhe von 26,5 Milliarden Euro, während sich die Banken auf eine Bürgschaftssumme von 8,5 Milliarden Euro beschränkten.
Mit dem am Montag im Kabinett beschlossen Rettungsplan, der Regierungsbürgschaften und staatliche Finanzzuschüsse von einer halben Billion Euro umfasst, hat sich die Regierung vollständig in die Hand der Banken begeben. Die Erklärung der Kanzlerin und des Finanzministers, sie würden keine systemrelevante Bank bankrott gehen lassen, während sie gleichzeitig keinen Einfluss auf das operative Geschäft der Banken ausüben, macht die Regierung zur Geisel der Banken.
Die Banken, die selbst noch keinen Überblick über das Ausmaß der faulen Kredite haben, können jederzeit Milliardenverluste in ihren Bilanzen aufdecken und von der Regierung Stützungsgelder in entsprechender Höhe verlangen. Die Regierung hat sich verpflichtet, Steuergelder in nahezu unbegrenztem Ausmaß zur Verfügung zu stellen.
Bankmanager, die von niemandem gewählt wurden und ausschließlich dem eigenen Profitinteresse und dem ihrer Klientel verpflichte sind, diktieren damit die Finanzpolitik der Regierung. Sie bestimmen nicht nur über den Inhalt des Rettungsplans, der ihnen den Zugriff auf Hunderte Milliarden Euro an Steuergeldern ermöglicht. Sie setzten sich auch über die demokratischen Rechte der Bevölkerung und des Parlaments hinweg.
Das Eilverfahren, mit dem das 500-Milliarden-Paket für die Banken diese Woche durch die parlamentarischen Gremien gepeitscht wird, weckt Erinnerungen an die Notverordnungen, mit denen die Regierung des Zentrumspolitikers Brüning nach dem Bankenkrach von 1931 regierte. Die Beseitigung demokratischer Verfahrensweisen durch Brüning ebnete damals den Weg für die Halbdiktatur Papens und Schleichers und schließlich für die Diktatur Hitlers.
Ein Gesetz, das dieser und allen kommenden Regierungen jeden finanziellen Spielraum nimmt und das drastische Sparmaßnahmen zur Folge haben wird, die das Leben von Millionen Menschen und ihre Zukunft unmittelbar betreffen, wird in nur fünf Tagen ohne ernsthafte Diskussion durchs Parlament gepeitscht.
Für die Verabschiedung eines Bundesgesetzes sind im Grundgesetz genaue Fristen festgeschrieben (GG, Artikel 76/77). Danach muss die Bundesregierung ihre Gesetzesvorlage zunächst dem Bundesrat zuleiten, der dann sechs Wochen Zeit hat, dazu Stellung zu nehmen. Diese Frist kann gegebenenfalls um jeweils drei Wochen verkürzt oder verlängert werden.
Mit der Stellungnahme der Länderkammer und der Gegenäußerung der Bundesregierung geht die Gesetzesvorlage dann in den Bundestag, wo sie nach erster Lesung und Ausschussberatungen schließlich in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden kann. Dann wiederum hat der Bundesrat nochmals drei Wochen, um den Vermittlungsausschuss zu dem Gesetz anzurufen oder die Vorlage passieren zu lassen.
Dieses Verfahren kann die Bundesregierung nur abkürzen, wenn alle im Bundestag vertretenen Parteien zustimmen und für diesen Fall auf ihre im Grundgesetz verbrieften Rechte verzichten. Deshalb informierte die Kanzlerin direkt im Anschluss an die Kabinettssitzung am Montag die Vorsitzenden aller Parlamentsfraktionen und erhielt von allen, einschließlich der Linkspartei, die Zustimmung zum Eilverfahren.
In ihrer gestrigen Regierungserklärung bedankte sich Merkel daher ausdrücklich bei allen Fraktionen für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Nun sollen alle drei Lesungen des Bundestags, die Abstimmung im Bundesrat und die Unterschrift des Bundespräsident bis zum Wochenende durchgepeitscht werden.
Das Parlament hat also freiwillig auf seine Kontrollfunktion verzichtet, obwohl die Belange der Bevölkerung unmittelbar betroffenen sind. Diese Selbstkastration des Parlaments hat weitreichende Konsequenzen. Sie ermutigt diese und kommende Regierungen, Gesetze, die sie für dringend und unverzichtbar erachten, auf dem Weg von Verordnungen über die Köpfe der Parlamentarier hinweg durchzusetzen.
Das Doppelspiel der Linkspartei
Eine besonders üble und zynische Rolle spielt die Linkspartei bei der Verabschiedung des Milliardengeschenks an die Banken. Sie hätte das Gesetz stoppen können, wenn sie ihr Veto gegen das Eilverfahren eingelegt und auf die demokratischen Rechte des Parlaments gepocht hätte. Das hat sie nicht getan.
Nun will sie im Bundestag zwar gegen das Gesetz stimmen, doch das ist eine hohle Geste, da es bei der Abstimmung auf ihre Stimmen nicht ankommt. Wäre die Regierung auf die Stimmen der Linkspartei angewiesen, hätte sich diese anders entschieden. Das beweisen sämtliche Äußerungen ihrer führenden Vertreter, die das Paket im Grundsatz bejaht haben.
Noch bevor die Einzelheiten bekannt waren, hatte Oskar Lafontaine am Sonntag bei Anne Will die von den Banken diktierten Maßnahmen als "unvermeidlich und richtig" bezeichnet.
Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, kritisierte das lange Zögern der Regierung und warf ihr vor, "einiges von der Krise verschlafen" zu haben. Er lobte dann das Rettungspaket mit den Worten, nun sei "endlich die Entscheidung getroffen worden, dass man eine systematische Regelung für alle Banken in Deutschland braucht".
Herbert Schui, der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, sagte im Neuen Deutschland : "Der US-amerikanische Rettungsplan in Höhe von 700 Milliarden Dollar und der jetzt von der Bundeskanzlerin vorgelegte Plan sind besser als gar keine Lösung."
Der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion, Axel Troost, reklamiert sogar die Urheberschaft für das Rettungsprogramm. In einer Stellungnahme vom 14. Oktober übt er zwar Kritik an der Vorgehensweise der Bundesregierung, schreibt dann aber: "Vor wenigen Wochen hat die Linkspartei einen Sicherungsfonds für die privaten Banken vorgeschlagen. Alle anderen Parteien lehnten den Antrag am 24. September als unnötig ab..."
Erst als sichtbar wurde, wie stark der Widerstand in der Bevölkerung gegen den Rettungsplan ist, änderte die Parteiführung ihre Taktik. Nun kündigte Lafontaine an, seine Fraktion werde am Freitag dagegen stimmen. Das ist typisch. Wo es - wie bei der Entscheidung über das Eilverfahren - auf die Stimmen der Linkspartei ankommt, stimmt die Linksfraktion zu. Wo die Regierung auf ihre Stimmen nicht angewiesen ist, stimmt sie dagegen, in der Hoffnung ihre Spuren zu verwischen.
Doch Politik hat eine unerbittliche Logik. Die Linkspartei hätte am Montag das Gesetzesvorhaben blockieren können. Sie hätte auch zu einer Kundgebung dagegen aufrufen können. Doch genau das wollte sie nicht. Sie hält die Maßnahmen zur Rettung der Banken - wie Lafontaine sagte - für "unvermeidlich und richtig". Damit hat sie sich in die Regierungskoalition eingereiht. Weder die nachgeschobene Kritik, noch die Forderung nach einem parallelen Konjunkturprogramm oder ihr Aufruf zur Beschränkung der Managergehälter können daran etwas ändern.